Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

1. Macht des Christophorus und Sergius in Rom. Stephan III. verbindet sich mit Desiderius. Der Langobardenkönig rückt vor die Stadt. Sturz jener Männer und Schuld des Papsts an ihrem tragischen Ende. Projekt einer Doppelheirat zwischen den Dynastien von Pavia und vom Frankenland. Intrigen des Papsts dagegen. Widerstand Ravennas gegen Rom. Wendung der Politik des fränkischen Hofs zugunsten des Papsts. Stephan III. stirbt 772.

Nach dem Sturze der Faktion Totos und der langobardischen Partei waren Christophorus und Sergius die mächtigsten Männer in Rom. Sie hatten die Gegenrevolution vollführt und den neuen Papst erhoben; selbst einem Optimatengeschlecht angehörend, geboten sie über einen großen Anhang in der Stadt und dem Landgebiet.

Beide standen dem Papst Stephan wie dem Könige Desiderius gleich sehr im Wege. Jenen, dessen Wahl an manche Zugeständnisse geknüpft worden war, wollten sie beherrschen; diesen erbitterten sie, weil sie von ihm abgefallen waren, die langobardische Partei unterdrückt, die fränkische erhoben und mit Karlmann ein enges Bündnis geschlossen hatten. Sie forderten vom Könige Güter und Einkünfte, aber weigerten sich, die Verbindlichkeiten zu erfüllen, die sie ihm für seine Hilfe zum Sturze Totos und Constantins schuldeten. Stephan III. selbst sah das Schutzverhältnis zu den Franken durch Pippins Tod erschüttert. Dessen Söhne lebten in Zwiespalt und ließen auch für Rom die Folgen eines geteilten Reichs befürchten. Der Papst fand sich daher in einer peinlichen Lage; weder in der Stadt, wo Christophorus und Sergius geboten, noch im Exarchat, wo der Erzbischof von Ravenna alle Macht besaß, war er wirklicher Herr, und deshalb näherte er sich wieder dem Langobardenkönige. Die natürlichen Feinde gingen ein Bündnis ein, dessen nächster Zweck der Sturz des Christophorus und Sergius und ihrer fränkischen Partei war.

Der König und der Papst bedienten sich als gemeinschaftlichen Werkzeuges des Kämmerers Paulus Afiarta, des Führers der langobardischen Faktion. Der Verabredung gemäß zog Desiderius nach Rom, vergeblich als Wallfahrer, doch mit einem Heer. Auf die Kunde seines Anmarsches riefen Christophorus und Sergius Milizen von Tuszien, Kampanien und Perugia in die Stadt; sie schlossen alle Tore und erwarteten den Angriff; dies beweist, daß sie und nicht der Papst die Gewalt besaßen. Auf ihrer Seite stand sogar der Graf Dodo mit den Franken, ein Bote Karlmanns, welcher nicht zufällig in Rom war. Der fränkische Abgesandte vertrat nur den Vorteil seines Herrn, wenn er Christophorus und Sergius unterstützte, welche die legitim gewordene Verbindung des Heiligen Stuhls mit der fränkischen Monarchie aufrechthielten.

Nachdem Desiderius (im Sommer 769) vor dem St. Peter angelangt war, ließ er den Papst auffordern, zu ihm herauszukommen, was jene nicht hinderten. Stephan verabredete mit dem Könige die Mittel, sich der Aristokraten zu entledigen, während Desiderius alle Forderungen in betreff des zurückbehaltenen Kirchenguts zu befriedigen gelobte. Nach der Rückkehr des Papsts sollte Afiarta einen Volksaufstand erregen, um Christophorus und Sergius zu töten; man kannte also schon damals die Kunst, Aufstände in Szene zu setzen. Die Bedrohten kamen ihm zuvor; sie überfielen mit Dodo den Lateran, während sich der Papst in der Basilika Theodors an einen Altar flüchtete. Mit gezückten Schwertern drangen sie in diese Kapelle, doch Stephan beschwichtigte sie. Der feine Sizilianer spielte überhaupt seine Rolle so meisterhaft, daß sie seine Absichten nicht durchschauten. Sie ließen ihn am folgenden Tage nochmals zu Desiderius ziehen. Zum Schein wurde er jetzt mit seinen Begleitern im St. Peter eingeschlossen; denn die Aufopferung der beiden Mächtigen, die ihn erhoben hatten, sollte als von Desiderius erzwungen erscheinen und das Gerücht auf das Volk Eindruck machen, der Papst sei in der Gewalt der Langobarden und werde nicht eher freigelassen, bis man die Waffen niedergelegt und seine Gegner ausgeliefert habe. Um dies zu bewirken, schickte Stephan zwei Bischöfe vor das St. Peterstor an der Brücke, wo jene mit Bewaffneten lagerten, und ließ sie auffordern, entweder freiwillig sich in ein Kloster zurückzuziehen oder vor ihm im Vatikan zu erscheinen. Das wankelmütige Volk verließ furchtsam seine Führer und zerstreute sich; ein plötzlicher Umschwung trat ein, und jene waren verloren. Selbst Gratiosus, des Sergius eigener Schwager, gab ihre Sache preis und floh in den St. Peter zum Papst. Da ließ sich auch Sergius von der Mauer herab, um sich Stephan zu Füßen zu werfen; die langobardischen Wachen ergriffen ihn und seinen Vater, und der König übergab beide dem Papst.

Es ist mehr als schwierig, Stephan von der Schuld freizusprechen, Männer, welche Rom von der Tyrannei Totos erlöst hatten und denen er selbst die Papstkrone verdankte, der Rache der Langobarden oder Paul Afiartas verraten zu haben. Wenn er sie wirklich retten wollte, wie dies sein Lebensbeschreiber und er selbst in einem Briefe behauptet hat, warum führte er sie nicht unter seinem Schutz sofort nach Rom, als er vom St. Peter heimkehrte? Er ließ sie, so erklärte er, in der Basilika zurück, um sie in der Nacht sicher in die Stadt bringen zu lassen; aber Afiarta drang des Abends in die Kirche, in welche ihn die langobardischen Wachen auf Geheiß des Königs einließen, und vor der Brücke Hadrians erlitten die Unglücklichen das Schicksal ihres Opfers Waldipert: Christophorus starb im Kloster S. Agata am dritten Tage nach der Blendung; Sergius genas und schmachtete in einem Gewölbe des Lateran noch bis zum Tode Stephans. Dies waren die Künste des Papsts, mit denen er seine Gegner zu Falle bringen ließ.

In seinem Schreiben an Karl und dessen Mutter Berta behauptete er, daß er von der grausamen Mißhandlung jener Männer nicht Mitwissenschaft gehabt habe. Er schrieb jenen Brief in völliger Freiheit, vielleicht schon nach dem Abzuge der Langobarden; er übertrieb darin die Ereignisse, nannte Christophorus und Sergius Genossen des Teufels, die ihn mit Hilfe Dodos, den er ganz besonders anklagte, hätten ermorden wollen, und versicherte, daß er seine Rettung nur Desiderius verdankte, welcher gerade nach Rom gekommen sei, seine Verpflichtungen gegen St. Peter zu erfüllen. Sein Bericht läßt sich mit der Erzählung seines Lebensbeschreibers gut vereinigen, doch nicht mit anderen seiner Briefe. Darf man ein klareres Zeugnis von der Übereinstimmung zwischen ihm und Desiderius suchen wollen als die Worte des nachmaligen Papsts Hadrian? »Mein Vorgänger«, so sagte dieser den langobardischen Gesandten, »erzählte mir eines Tags, er habe nachher an den König seine Boten, Anastasius, den Ersten Defensor, und den Subdiakon Gemmulus geschickt, ihn aufzufordern, dasjenige, was er persönlich dem St. Peter versprochen habe, nunmehr zu erfüllen, aber der König habe ihm antworten lassen, es genüge dem Papst Stephan, daß ich ihm Christophorus und Sergius, die ihn beherrschten, aus dem Wege räumte, und mag er seine Rechte auf sich beruhen lassen. Denn wahrlich, wenn ich dem Papst nicht beistehe, wird ihn großes Verderben treffen. Der Frankenkönig Karlmann ist der Freund des Christophorus und Sergius und bereit, mit seinem Heer nach Rom zu ziehen, ihren Mord zu rächen und den Heiligen Vater selbst gefangen zu nehmen.«

Indes gab Desiderius die Kirchengüter, welche Stephan beanspruchte, nicht heraus; der Papst aber suchte die naturgemäße Verbindung mit den schwerbeleidigten Frankenkönigen herzustellen und wendete sich deshalb klagend an sie, indem er ihnen zugleich Glück wünschte, daß ihre Uneinigkeit geschlichtet sei. Denn Berta hatte ihre Kinder versöhnt; sie selbst war im Jahre 770 nach Italien und sogar als Pilgerin nach Rom gekommen. Ihre Anwesenheit hatte die Hoffnungen des Papsts belebt, aber bald vernahm er, daß diese Königin zu Desiderius gegangen sei, um eine Doppelheirat zwischen beiden Dynastien zustande zu bringen. Sie kamen überein, den Prinzen Adelgis mit Gisela zu vermählen, dem Könige Karl Desiderata (Irmingard) und seinem Bruder Karlmann eine andere Tochter des Langobardenkönigs zur Gemahlin zu geben. Dieser Plan erschreckte den Papst. Er sah, daß die Söhne Pippins keineswegs die Gesinnungen ihres Vaters teilten, vielmehr gegen die weltlichen Bedürfnisse der römischen Kirche sich kühl verhielten. Er mahnte sie durch einen Brief von jener Heirat ab, versuchend, Zwiespalt zwischen den Königen auszusäen. »Es ist«, so schrieb er, »zu meiner Kenntnis gelangt und erfüllt mein Herz mit großem Kummer, daß der Langobardenkönig Desiderius Eure Herrlichkeit zu überreden sucht, seine Tochter einem von Euch Brüdern anzuvermählen; wenn dem so wäre, so würde das eine wahrhaft teuflische Eingebung und nicht eine eheliche Verbindung, sondern ein Konkubinat sein. Die Geschichten der Heiligen Schrift lehren, daß manche Fürsten durch ihre frevelhafte Verbindung mit einer fremden Nation von Gottes Geboten abgewichen und in große Sünde gefallen sind. Welch ein Wahnsinn wäre es, wenn Euer ruhmvolles Frankenvolk, welches alle anderen Völker überstrahlt, wenn ein so glänzender Sproß Eurer königlichen Macht sich durch Verbindung mit dem schmählichen Volk der Langobarden beflecken sollte, welches nicht einmal unter die Zahl der Völker gerechnet wird und aus deren Nation das Geschlecht der Aussätzigen hervorgeht. Und schon seid Ihr durch Gottes Ratschluß und den Befehl Eures Vaters in gesetzmäßiger Ehe vermählt, indem Ihr, wie es erlauchten Königen geziemt, aus Eurem eigenen Vaterlande, nämlich aus dem edelsten Volk der Franken selbst die schönsten Gemahlinnen erhalten habt, deren Liebe Ihr treu anhänglich bleiben müßt.« Der Papst nahm an, daß beide Könige sich bereits vermählt hatten, aber nur von Karlmann ist bekannt, daß Gerberga seine Gemahlin war, während von einer gesetzmäßigen Ehe Karls nicht gesprochen wird. Stephan machte sogar sarkastische Bemerkungen über die Natur des Weibes im allgemeinen; er erinnerte an die Sünde Evas, die das Menschengeschlecht um das Paradies gebracht habe; er gemahnte die Könige an alles, was sie einst als Jünglinge dem Apostel gelobt hatten, Freunde den Freunden der Päpste, ihren Feinden aber Feinde zu sein. Um den Brief mit Zauberkraft zu durchdringen, legte er ihn auf das Grab Petri und nahm über ihm das Abendmahl. Er schloß mit folgender Drohung: »Wenn jemand gegen den Inhalt dieser unserer Beschwörung zu handeln wagen sollte, so soll er wissen, daß er durch die Kraft meines Herrn, des heiligen Apostelfürsten Petrus, mit der Fessel des Anathems umstrickt ist, ausgestoßen vom Reiche Gottes und verurteilt, mit dem Teufel und seinem schrecklichen Höllenpomp und den übrigen Gottlosen im ewigen Feuer zu verbrennen.« Die Zeit, in welcher der Oberpriester der Christenheit einen solchen Brief schreiben durfte, war in Wahrheit barbarisch; die damalige Religion Christi erscheint als ein wirklicher Zauberdienst.

Vielleicht ließ sich Karlmann von dem Gedanken abschrecken, sich von Gerberga zu trennen. Er vermählte sich nicht mit des Desiderius Tochter, aber Karl nahm Desiderata zu seinem Weibe, ohne das Anathem des Papsts zu fürchten.

Die Lage Stephans wurde zugleich von einer anderen Seite hier schwieriger. Seit der Schenkung Pippins hatten die Päpste ihre eigenen Beamten, Duces, Magistri Militum, Tribunen in die ehemals griechischen Provinzen geschickt, aber sie waren dort keineswegs Herren geworden. Die Ravennaten erinnerten sich zu lebhaft der alten Bedeutung ihrer Stadt, welche Rom lange Zeit beherrscht hatte; ihr Erzbischof begann seinen Einfluß bald über den Exarchat auszudehnen, in welchem die Metropole viele Güter und Kolonen besaß. Sergius, von Paul I. in sein Amt wieder eingesetzt, schaltete dort ohne Rücksicht, und nach seinem Tode (im Jahre 770) trotzte ein Usurpator ein Jahr lang den Bannstrahlen des Papsts. Ein großer Teil des Klerus hatte dort den Archidiaconus Leo auf den erzbischöflichen Stuhl erhoben, aber Michael, der Bibliothekar jener Kirche, bemächtigte sich desselben mit Zustimmung des Königs Desiderius und mit Hilfe des Dux Mauritius von Rimini, der größten Stadt der Pentapolis, die dem Papst damals nicht Gehorsam leistete. Leo wurde nach Rimini in den Kerker gebracht, Michael in den Besitz des Erzbistums gesetzt, und er wie Mauritius und die Judices Ravennas sandten Boten an den Papst, ihn mit großen Geschenken zur Bestätigung der Usurpation zu bewegen. Stephan befahl ihm, vom bischöflichen Stuhl herabzusteigen; der Eindringling verwandte die Kirchenschätze, ihn zu behaupten, bis er am Ende des Jahres 771 gestürzt ward. Die fränkischen und römischen Boten vereinigten sich zur Wiederherstellung der Ordnung; das Volk überlieferte Michael den päpstlichen Gesandten zur Abführung nach Rom, und Leo ging dorthin, die Ordination zu holen.

Ein großes Glück widerfuhr unterdes dem Papst im Frankenlande; denn Karl trennte sich von Desiderata, und Karlmann starb am 4. Dezember 771. Was Karl zur Verstoßung seines Weibes bewogen hatte, scheint weniger Wankelmut als Berechnung gewesen zu sein. Er löste die gesetzmäßige Ehe ohne Zweifel auf Betreiben des Papsts und vermählte sich mit der Schwäbin Hildegard. Doch die Franken hörten nicht auf, Desiderata als seine rechtliche Gemahlin zu beklagen, noch hörte die Königin Berta auf, ihre Schmach mit frommen Tränen zu beweinen.

So war das Bündnis zwischen den Franken und Langobarden durch die Künste des Papsts getrennt, die römische Kirche wieder in die engsten Beziehungen zu Karl gebracht und Desiderius dem Untergange geweiht. Stephan III. erlebte diesen nicht mehr; der gewissenlose, in allen Listen und Ränken weltlicher Politik erfahrene Sizilianer starb am 24. Januar 772.


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