Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XVII.
Diogenes an Antipater.

Weder der hoffärtige Gedanke meinen alten Meister ersetzen zu wollen, noch ein Cynischer Trieb die Laster und Thorheiten der edeln Theseiden anzubellen, hat mich von Korinth nach Athen zurück gerufen, Freund Antipater. Die bloße Neigung zur Veränderung, die dem Menschen so natürlich ist, – wär' es nur um sich selbst eine Probe seiner Freyheit zu geben – ist allein schon hinlänglich eine so unbedeutende Begebenheit zu erklären; wenn auch der Reitz, womit Pallas Athene ihren Lieblingssitz vor allen andern Städten der Weit so reichlich begabt hat, für einen Weltbürger meiner Art weniger anziehendes hätte als für andre Menschen. Indessen kam doch noch ein anderer Bewegungsgrund hinzu, ohne welchen ich mich vielleicht dennoch nicht entschlossen hätte, meinem lieben Müßiggang zu Korinth – wo sich, Dank sey den Göttern! schon lange niemand mehr um mich bekümmert, und meinem kleinen sonnigten Winzerhüttchen (seines Umfangs wegen mein Faß genannt), aus bloßem Muthwillen zu entsagen.

Wisse also, mein Lieber, daß ich vor einiger Zeit, zufälliger Weise, mit einem jungen Thebaner in Bekanntschaft gerieth, der mit der vollständigsten Außenseite des Homerischen Thersites eine so schöne Seele und eine so frohsinnige Unbefangenheit verbindet, daß der tugendhafteste aller Päderasten, Sokrates selbst, seinem bekannten Vorurtheil für die körperliche Schönheit zu Trotz, sich in ihn verliebt hätte, wenn er dreyßig bis vierzig Jahre früher zur Welt gekommen wäre. Schwerlich ist dir jemahls eine so possierlich häßliche Gestalt vor die Augen gekommen, und es sollte sogar dem sauertöpfischen Heraklites kaum möglich gewesen seyn, über den komischen Ausdruck, womit alle Theile seines Gesichts einander anzustaunen scheinen, nicht zum ersten Mahl in seinem Leben zu lächeln. Glücklicher Weise für den Inhaber dieser seltsamen Larve leuchtet dem, der ihm herzhaft ins Gesicht schaut, ich weiß nicht was für ein unnennbares Etwas entgegen, welches zugleich Ernst gebietet und Zuneigung einflößt, und einen Jeden, dem es nicht gänzlich an Sinn für die energische Sprache, worin eine Seele die andere anspricht, fehlt, in wenig Augenblicken mit der Ungereimtheit seiner Gestalt und Gesichtsbildung aussöhnt.

Ich weiß nicht wie es zuging, daß er, ohne an den Fransen meines ziemlich abgelebten Mantels Anstoß zu nehmen, nicht weniger Geschmack an meiner Person zu finden schien als ich an der seinigen. Genug, wir fühlten uns gegenseitig von einander angezogen, und in wenigen Stunden war der Grund zu einer Freundschaft gelegt, welche vermuthlich länger dauern wird als unsre Mäntel. Krates (so nennt sich mein junger Böotier) ist der einzige Sohn eines sehr reichen Mannes, der sein Leben unter rastlosen Anstrengungen, Sorgen und Entbehrungen mit der edeln Beschäftigung zugebracht hat, sein Vermögen alle zehn Jahre zu verdoppeln; und der nun, da ihm nächst seinem Geldkasten nichts so sehr am Herzen liegt als das Glück seines Sohnes, alles mögliche thut, um diesen zu eben derselben Lebensweise, in welcher er das seinige gefunden, anzuhalten. Zu großem Schmerz des alten Harpagons zeigt der junge Mensch so wenig Lust und Anlage dazu, daß, im Gegentheil, unter allen möglichen Dingen, womit der menschliche Geist sich befassen kann, die Rechentafel ihm gerade das verhaßteste ist; und nur aus Gehorsam gegen einen beynahe achtzigjährigen Vater, – der zwar noch immer wachend und schlafend auf seinen Geldsäcken zählt und rechnet, aber nicht Kräfte genug übrig hat, seinen Geschäften außer dem Hause nachzugehen – unterzieht er sich den Aufträgen, womit ihn der Alte überhäuft, um ihm keine Zeit zu solchen Beschäftigungen zu lassen, die in seinen Augen nichts als zeitverderbender Müßiggang sind. Der Auftrag, eine alte Schuld zu Korinth einzufordern, gab indessen Gelegenheit zu unsrer Bekanntschaft, welche Krates als den einzigen wahren Gewinn betrachtete, den er von dieser Reise mit nach Hause bringe. Wirklich fühlte er sich stark versucht die Rückreise gar einzustellen, und ich mußte alle meine Macht über sein Gemüth aufbieten, um ihn zu bewegen, daß er die Ausführung seines neuen Lebensplans wenigstens nur so lange aufschieben möchte, als sie mit der Pflicht gegen seinen alten Vater unvereinbar war. Vor kurzen berichtete mich mein junger Freund, daß der Tod des Alten ihm endlich die Freyheit gegeben habe, seiner Neigung zu folgen, und seinen Geist aller der schweren Gewichte zu entledigen, die ihm, so lange er sie an sich hangen hätte, den reinen Genuß seines Daseyns unmöglich machten. Er habe, um der verhaßten Last je eher je lieber los zu werden, bereits seine ganze Erbschaft, die sich auf nicht weniger als drey hundert Talente belaufe, mit Vorbehalt dessen, was er etwa selbst zu Bestreitung des Unentbehrlichsten nöthig haben könnte, unter seine Verwandten und Mitbürger ausgetheilt, und sey nun im Begriff, Athen – wofern ich mich entschließen würde, es mit dem üppigen und geräuschvollen Korinth zu vertauschen – oder, widrigenfalls, das Letztere, wiewohl ungern, zu seinem künftigen Aufenthalt zu wählen.

Was dünkt dich von diesem jungen Menschen, Antipater? Hier ist mehr als Antisthenes und Diogenes, mehr als Plato und Aristipp, nicht wahr? – Ich gestehe dir unverhohlen, hätte mich die wackelköpfige Göttin Tyche nicht, sehr gegen meinen Willen, um mein väterliches Erbgut betrogen, ich würde so wenig als Aristipp daran gedacht haben, mir diese Last, die mir ehemahls sehr erträglich vorkam, vom Halse zu schaffen. Wir wollen es indessen einem weisen Mann' eben nicht übel nehmen, wenn er von den Gütern, die ihm das Glück freywillig zuwirft, einen zugleich sehr edeln und so angenehmen Gebrauch macht, wie Aristipp. Eben so wenig soll es dem von Kindheit an zur Dürftigkeit gewohnten Antisthenes, oder dem Sinopenser, den der Zufall um sein Vermögen brachte, zu einem großen Verdienst angerechnet werden, daß sie lieber von Wurzeln und Wolfsbohnen leben, als Karren schieben, rudern, oder das schmähliche Parasiten-Handwerk treiben wollten. Auch Plato hat sich wenig auf eine Genügsamkeit einzubilden, die ihm das Glück, unabhängig in seinem eigenen Ideenlande zu schweben, und die erste Stelle unter den Filosofen seiner Zeit in der öffentlichen Meinung, verschafft hat. Aber, wie Krates, in dem Alter, wo alle Sinnen nach Genuß dürsten, die Mittel zu ihrer vollständigsten Befriedigung, die uns das Glück mit Verschwendung aufgedrungen hat, von sich werfen, und jedem Anspruch an Alles, was dem großen Haufen der Menschen das Begehrenswürdigste scheint, von freyen Stücken entsagen, um sich mit völliger Freyheit der Liebe der Weisheit zu ergeben: dieß, dünkt mich, ist etwas bis itzt noch nie Erhörtes, und setzt einen Grad von Heldenmuth und Stärke der Seele voraus, den ich um so bewundernswürdiger finde, da derjenige, der sich zu einem solchen Opfer entschließt, zum Voraus gewiß seyn kann, von der ganzen Welt (den Diogenes vielleicht allein ausgenommen) für den König aller Narren erklärt zu werden. – Und das mit Recht, höre ich dich sagen; denn was sollte aus den Menschen werden, wenn der Geist, der diesen jungen Schwärmer so weit aus dem gewöhnlichen Gleise treibt, in alle Köpfe führe, und die Begriffe und Grundsätze, nach welchen er handelt, allgemein würden? – Auf alle Fälle etwas Besseres als sie itzt sind, antworte ich, und getraue mirs von Punkt zu Punkt mit wenigstens eben so stattlichen Gründen zu behaupten, als die, womit uns Plato beweiset, daß ein Staat nicht eher gedeihen könne, bis er von lauter Filosofen regiert werde. Leider hat die Natur selbst dafür gesorgt, daß es mit den Menschen nie so weit kommen wird, und die Freunde des dermahligen Weltlaufs können sich, der Gefahr halben die von der ansteckenden Kraft des Beyspiels meines jungen Freundes zu besorgen ist, ruhig auf die Ohren legen. Sie ist desto geringer, da du ihm wirklich großes Unrecht thust, wenn du ihn für einen Schwärmer hältst. Er ist vielmehr der ruhigste, besonnenste, heiterste Sterbliche, der mir je vorgekommen ist; und wie außerordentlich sein Verfahren auch immer seyn mag, so fällt wenigstens das Wunderbare weg, wenn ich dir sage, daß nebst einem sehr kalten Temperament, die von Kindheit her gewohnte beynahe dürftige Lebensart im väterlichen Hause, eine durch beides ihm zur andern Natur gewordene Gleichgültigkeit gegen alle Vergnügungen der Sinne, und eine noch tiefer liegende Verachtung der Urtheile des großen Haufens, der einen Menschen nicht nach seinem persönlichen Gehalt, sondern nach dem Gewichte der Attischen Talente, die er werth ist, zu schätzen pflegt, – daß, sage ich, das alles nicht wenig zu der Entschließung beygetragen habe, sich eines ihm wirklich mehr überlästigen als brauchbaren Erbgutes zu entschlagen. Denn was hätte er, der von drey oder vier Obolen zu leben gewohnt war, mit drey hundert Talenten anfangen sollen, da es seine Sache nicht war, nach dem Beyspiel seines Vaters sechs hundert daraus zu machen? Von allem, wozu der Reichthum seinen Besitzern gut ist, hatte er entweder keine Kenntniß, oder keinen Sinn dafür. Gänzliche Unabhängigkeit und sorgenfreye Muße war schon damahls, da ich ihn zuerst kennen lernte, das höchste Gut in seinen Augen: und so ging es, dünkt mich, ganz natürlich zu, daß der Umgang mit deinem Freund, Diogenes, in sehr kurzer Zeit tausend schlummernde Ideen in seiner Seele weckte; daß die Harmonie der Vorstellungsart desselben mit seiner eigenen das Verlangen sich nie wieder von ihm zu trennen erzeugte, und die durch unmittelbaren Augenschein bewirkte Überzeugung, daß es keinen glücklichern Menschen gebe als den Diogenes, und daß er zufriedener mit seinem Loose sey als zehentausend vermeinte Glückliche mit dem ihrigen, seinem Beyspiel einen unwiderstehlichen Reitz zur Nachfolge gab. Ich denke du wirst dieß desto begreiflicher finden, Antipater, da du noch nicht vergessen haben kannst, wie wenig ehemahls daran fehlte, daß du selbst den Cynischen Mantel und Schnappsack übergeworfen hättest, wenn nicht, glücklicher Weise für dich, der Genius Aristipps den Reitzungen der zuthulichen Nymfe Penia, unsrer Schutzgöttin, das Gegengewicht gehalten hätte. Denn nicht alles, was dem einen gut ja sogar das Beste ist, ist es darum auch dem andern; und ich bin ziemlich gewiß, daß unsre Lebensweise, so bald der Ehrenpunkt, nicht in Widerspruch mit dir selbst zu gerathen, jede andere unmöglich gemacht hätte, dir nicht halb so wohl bekommen wäre als meinem Thebaner. – Wiewohl es ein launisches Ding um den Menschen ist, daß ich mich nicht dafür verbürgen möchte, daß Krates selbst, wie glücklich er sich gegenwärtig auch in seinem neuen Götterleben fühlt, auf immer vor allen Anwandlungen der Nachreue sicher sey.


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