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Doch, dem sey wie ihm wolle, das große Wort ist nun Einmahl gesprochen, und wir können uns auf unsern Mann verlassen, daß er, seiner verstellten Schüchternheit oder Schamhaftigkeit ungeachtet, keinen Augenblick verlegen ist, wie er sich aus dem Handel ziehen wolle. Er hat sich eines mächtigen Zauberworts bemeistert, womit er sich gegen Hieb und Stich fest machen, womit er, wie man eine Hand umkehrt, Berge versetzen und Meere austrocknen, womit er Alles in Nichts, und Nichts in Alles verwandeln kann. Das Bild, das kein Bild ist – des Dings das kein Ding ist, weil es weder von den Sinnen ertastet, noch von der Einbildungskraft dargestellt, noch vom Verstande gedacht und bezeichnet werden kann, mit einem Wort, die Idee des Dings an sich, das wahre unaussprechliche Wort der Platonischen Mystagogie, die formlose Form dessen was keine Form hat. – Was ist unserm dialektischen Thaumaturgen nicht mit diesem einzigen Aski KataskiAski, Kataski, sind ein Paar Zauberworte von denen, die bey den Griechen Efesia grammata hießen, womit von Betriegern und abergläubischen Leuten allerley Alfanzerey getrieben wurde, und über deren Abstammung und Bedeutung viel vergebliches filologisiert worden ist. möglich? Ja, wenn unter dem Wort Filosof so ein Mensch gemeint wäre, wie unsre gewöhnlich so genannten Filosofen, Sofisten, Allwisser, Liebhaber und Kenner des vermeinten Wahren, Schönen und Guten, welches mit den Augen gesehen, mit den Ohren gehört, mit irgend einem äußern oder innern Sinn gefühlt, von der Einbildungskraft gemahlt, von der plastischen Kunst gebildet, vom Verstand erkannt, von der Sprache bezeichnet, und im wirklichen Leben als Mittel zu irgend einem Zweck oder als Zweck irgend eines Mittels, als Ursache irgend einer Wirkung oder Wirkung irgend einer Ursache, gebraucht werden könnte: wenn solche Filosofen die Welt regieren sollten, dann, meint er, würde sie freylich um kein Haar besser regiert werden als dermahlen. Aber der Filosof, der an der Spitze seiner Republik stehen soll und an der Spitze des ganzen menschlichen Geschlechts zu stehen verdient, ist ein ganz anderer Mann; der hält es unter seiner Würde, sich mit Betrachtung und Erforschung all des armseligen Plunders der materiellen und einzelnen Dinge, abzugeben, welche (wie der verkappte Sokrates dem ehrlichen Glaukon mit seiner gewöhnlichen dialektischen Taschenspielerkunst sehr wortreich und auf mehr als Eine Manier vorspiegelt) weder Etwas noch Nichts, sondern eine Art von Mitteldingen zwischen Nichts und Etwas sind. Das hauptsächlichste, wo nicht einzige Geschäft seines Lebens ist, sich auf den Stufen der Arithmetik, Geometrie und Dialektik zur Betrachtung der einfachen und unwandelbaren Ideen der Dinge, und von diesen übersinnlichen Wesen bis zum mystischen Anschauen des höchsten Ontôs On oder Urwesens aller Wesen zu erheben, über welches, als etwas an sich Unbegreifliches und Unaussprechliches, ihm eine deutliche Erklärung nicht wohl zuzumuthen ist; und da er durch diese gänzliche Versenkung seines Geistes in das, was an sich Wahr, Schön, Gerecht und Gut ist, nothwendig selbst durch und durch wahr, edel, gerecht und gut werden muß: wo könnten wir einen Sterblichen finden, welcher tauglicher und würdiger wäre, die Welt zu regieren, als Er?
Alles dieß aus einander zu setzen, und nach seiner Manier zu beweisen, d. i. seinen gläubigen Zuhörern durch weit ausgeholte Fragen, Indukzionen, allegorische Gleichnisse und subtile Trugschlüsse weiß zu machen, beschäftigt unsern Sokrates in dem größten Theil des sechsten und siebenten Buchs; und da die Natur des Dialogs ihm völlige Freyheit läßt sich nach Belieben vorwärts und seitwärts zu bewegen, und sich über Dieses und Jenes, was er mit Vortheil in ein helleres Licht zu setzen glaubt, mit Gefälligkeit auszubreiten, so war natürlich, daß er – bey Gelegenheit der Schilderung des ächten Filosofen, der bis zum Wahren und Schönen selbst vorzudringen und es in seinem Wesen anzuschauen vermag, im Gegensatz mit den eingebildeten Allwissern und Filodoxen, die ihre Meinungen von den Dingen für die Wahrheit selbst ansehen – über die Quellen der Vorurtheile, welche der große Haufe, besonders in den höhern Klassen, gegen die ächten Filosofen heget, über die Ursachen, warum man sie mit anscheinendem Recht für unnütze und vornehmlich zum Regieren ganz untaugliche Leute halte, und über den Grund, warum auch die Filosofen ihres Orts mit Verwaltung solcher heilloser Republiken, wie die gegenwärtigen alle seyen, nichts zu thun haben mögen – sich alles dessen, was er vermuthlich schon lange auf dem Herzen hat, mit vieler Freymüthigkeit entledigt. Dieser Theil des sechsten Buchs, wo Adimanth wieder an die Rede kommt, und durch den Versuch einer Rechtfertigung des popularen Vorurtheils gegen die Filosofen den Sokrates auffordert, sich umständlicher über diese Materie vernehmen zu lassen, scheint mir (dem persönlichen Antheil, welchen Plato an der Sache nimmt, gemäß) mit vorzüglichem Fleiß ausgearbeitet zu seyn; und ausnehmend schön ist unter andern, was er den Sokrates (den ich hier wieder erkenne und reden zu hören glaube) von den Ursachen sagen läßt, woher es komme, daß wahrhaft weise und gute Menschen so selten sind, und so manche Jünglinge, mit den herrlichsten Anlagen, der hohen Bestimmung, zu welcher die Natur sie ausgerüstet hatte, unglücklicher Weise für den Staat und für sich selbst, gänzlich verfehlen, ja desto schädlichere Bürger und Regenten werden, je glänzender die Naturgaben und Talente sind, wodurch sie sich der Liebe und des Vertrauens ihrer Mitbürger zu bemächtigen wissen. Weniger die Probe einer strengen Prüfung haltend, wiewohl mit einem leidenschaftlichen Feuer geschrieben, das den auf sich selbst zurück sehenden und seine eigene Sache führenden Plato verräth, scheint mir die Stelle zu seyn, wo er die Gründe angiebt, »warum die Wenigen, die im Besitz der wahren Weisheit sind, sich in die möglichste Verborgenheit zurück ziehen und mit den öffentlichen Angelegenheiten unserer verdorbenen Republiken nichts zu schaffen haben wollten, sondern, in ihren eigenen vier Wänden gegen alle Stürme des öffentlichen Lebens gesichert, beym Anblick der allgemein herrschenden Gesetzlosigkeit, genug gethan zu haben glauben, wenn sie, selbst rein von Unrecht und lasterhaften Handlungen, ihr gegenwärtiges Leben in Unschuld hinbringen, um dereinst mit guter Hoffnung freudig und zufrieden aus demselben abzuscheiden.« – Wenn Aristipp und seines gleichen diese Sprache führten, möchte wohl nichts erhebliches dagegen einzuwenden seyn; aber von dem Platonischen Weisen sollte man mit vollem Recht eine heroischere Tugend fordern dürfen; und ich zweifle sehr, ob irgend eine Republik verdorben genug seyn könne, daß ihm eine solche Verzweiflung an ihrer Besserung erlaubt wäre, oder daß Rücksicht auf seine persönliche Sicherheit und Furcht vor dem Haß und den Verfolgungen der Bösen für einen zuverlässigen Beweggrund gelten könnte, sich seiner Pflicht gegen das Vaterland zu entziehen. Der wirkliche Sokrates war wenigstens ganz anders gesinnt, und ließ es sich, als er mit sehr guten Hoffnungen aus diesem Leben ging, keinen Augenblick gereuen, das Opfer der entgegen gesetzten Denkart geworden zu seyn.
Aber freylich ist Platons Weiser kein Sokrates; und ihm, der sein höchstes Gut im Anschauen des Schönen und Guten an Sich, und in der dazu erforderlichen Ruhe und Abgeschiedenheit findet, möchte jene Sinnesart um so eher zu verzeihen seyn, da er sich nothwendig sehr lebhaft bewußt seyn muß, daß er nirgends als in seiner idealischen Republik am rechten Ort ist, und wahrscheinlich als Staatsmann in jeder andern eine traurige Figur machen würde.
Ich bin, gegen meinen anfänglichen Vorsatz, indem ich durch ich weiß nicht welchen Zauber, den unser dichterischer Filosof um sich her verbreitet, mich gezogen fühlte, ihm in seinem mäandrischen Gang beynahe Schritt vor Schritt nachzuschlendern, unvermerkt so weitläufig geworden, daß ich nur so fortfahren dürfte, um über ein unmäßig dickes Buch ein noch dickeres geschrieben zu haben. Die Versuchung ist nicht gering und nimmt mit jedem Schritt eher zu als ab; aber sey ohne Furcht, Eurybates, ich will es gnädig mit dir machen; und wenn du dich entschließen kannst, mir nur noch in die wundervolle unterirdische Höhle unsers Mystagogen zu folgen, so verspreche ich dir, dich mit allem übrigen zu verschonen, was du noch zu lesen bekämest, wenn ich meine bisherige Umständlichkeit bis ans Ende beybehalten wollte.
Die Behauptung, daß ein Staat nur durch ächte Filosofen wohl regiert werden könne, hatte die Darlegung des Unterschieds zwischen dem unächten und ächten Filosofen herbey geführt. In dieser bis auf den Grund zu kommen, sah sich Plato (denn mit diesem allein, nicht mit Sokrates haben wir es nun zu thun) genöthigt, seinen Zuhörern einen Blick in das innerste Heiligthum seiner Filosofie zu erlauben. Da er aber hier keine Eingeweihte vor sich hat und dieser Dialog unter die exoterischen, d. i. unter diejenigen gehört, welche weniger für seine auserwählten Jünger als für die immer zunehmende Menge müßiger und wißbegieriger Leser, bey denen ein gewisser Grad von Bildung voraus gesetzt werden kann, geschrieben sind: so war nicht schicklich, und in der That auch nicht wohl möglich, seine Geheimlehre anders als in Bildern vorzutragen, um uns andre Profanen wenigstens durch einen, wiewohl nicht sehr durchsichtigen, Vorhang in die Mysterien derselben blinzeln zu lassen. Hierzu macht er nun zu Ende des sechsten Buchs den Anfang, indem er uns – mit vieler Behutsamkeit, damit nicht zu viel Licht auf Einmahl in unsre blöden Augen falle – die Existenz einer zwiefachen Sonne offenbart: der bekannten sichtbaren, die uns zum Wahrnehmen körperlicher Dinge, Gestalten und Schattenbilder verhilft, und einer rein geistigen, folglich auch bloß dem reinen Geist, ohne Beyhülfe der Sinne, der Einbildungskraft und des Gedankens, anschaulichen, (welche er die Idee des Guten und das selbstständige Gute, Auto-Agathon, nennt) in dessen Licht allein das an sich Wahre, Schöne und Gute unserm Geiste sichtbar werden kann. Die neu entdeckte übersinnliche Sonne scheint den wißbegierigen Glaukon so freundlich anzustrahlen, daß Sokrates sich aufgemuntert fühlt, die Vergleichung eine Weile fortzusetzen. Beide Sonnen, sagt er, sind »die Könige zweyer Welten;« die eine dieser sinnlichen, theils aus körperlichen Dingen, theils aus mancherley vergänglichen, unwesentlichen Erscheinungen zusammen gesetzten Welt; die andere der übersinnlichen, dem reinen Verstand allein in dem Lichte des selbstständigen Guten sichtbaren. wesentlichen Dinge. So wie die materielle Sonne über uns aufgeht, erscheinen uns in ihrem Lichte die körperlichen Dinge klar und deutlich; so wie uns dieses Licht entzogen wird, verfinstert sich alles um uns her, wir erblicken nur zweifelhafte, farbenlose, unförmliche Gestalten und wissen nicht was wir sehen. Eben so wird uns, so bald unser Geist in das Lichtreich des Auto-Agathon eindringt, auf Einmahl die ganze Welt der Ideen, oder der ewigen, unwandelbaren Wesen (ontôs ontôn) aufgeschlossen, wie uns hingegen dieses Licht entzogen wird, sehen wir im Reich der Wahrheit Nichts, und alles um uns her ist Dunkelheit, Ungewißheit, Irrthum und Täuschung. – So wie uns die Sonne in der materiellen Welt zweyerley Arten von Gestalten sichtbar macht, die wirklichen Körper, und die bloßen Schatten und Abspieglungen derselben, z.B. blauen Himmel, Wolken, Bäume, Gebüsche u. s. w. in einem klaren Wasser: eben so erlangt unser Geist durch das übersinnliche Licht, das von dem Auto-Agathon über das ganze Reich der Wahrheit ausstrahlt, eine doppelte Art von Erkenntniß: eine rein wahre, von Plato Nöesis genannt, und eine mit Wahn und Täuschung vermischte, die ihm Dianoia heißt; jene, durch unverwandtes Aufschauen in das Reich der Ideen, als die allein wahrhaft wirkliche Welt, in welcher kein Trug noch Irrthum Statt findet; diese durch das Herabschauen in die Welt der Erscheinungen und Täuschungen, wo wir nichts als die Abspieglungen und Schatten der wesentlichen Dinge erblicken; daher denn auch, natürlicher Weise, nicht mehr Wahrheit in dieser Art von Erkenntniß seyn kann, als in der Vorstellung, die wir von einem Körper bekommen, wenn wir seinen Schatten, oder höchstens seine Gestalt im Wasser erblicken. Unser Sokrates konnte leicht bemerken, daß es dem guten Glaukon, mit dem besten Willen von der Welt, dennoch schwer werde, sich die übersinnlichen Wahrheiten, die durch diese Vergleichungen angedeutet werden sollten, klar zu machen. Er läßt sich also herab, der Blödigkeit seines geistigen Auges durch eine allegorische Darstellung der Sache zu Hülfe zu kommen. Und nun hören wir ihn selbst!