Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XX.
An Kleonidas.

In der Voraussetzung, daß ich dir dadurch einiges Vergnügen mache, fahre ich in meinem, wiewohl nur uneigentlich so genannten, Äginischen Tagebuche fort: denn es wäre deiner Gefälligkeit zu viel zugemuthet, wenn ich dich mit den abgeschiedenen Schatten aller Tage, die ich hier verlebt habe, in Bekanntschaft setzen wollte, in der Meinung, daß sie für dich eben so viel Interesse haben müßten, als sie in ihrem Leben für mich hatten. Von meinen glücklichsten Tagen und Stunden pfleg' ich gar nicht zu sprechen; ich betrachte sie als eine Art von heiligen Dingen, auf welchen, wie auf den Körben der Kaneforen an den Eleusinien, der Schleier des Geheimnisses liegen muß. Wird er weggezogen, so erblicken uneingeweihte Augen, wie in jenen mysteriösen Körben, nichts als – Honigkuchen, Granatkörner, Bohnen und Salz.

Skopas ist nun mit seiner Venus-Lesbia (vorerst nur aus gebranntem Thon, wie sich von selbst versteht) fertig, und hat sein möglichstes gethan, den Stolz der undankbaren Lais durch eine gefährliche Nebenbuhlerin zu kränken, die bey dem großen Haufen der Angaffer schon allein durch ihre vollständige Naktheit keinen geringen Vortheil über sie erhält. Die junge Sklavin aus Lesbos, die ihm (nicht ungern, wie es schien) zum Modell dabey diente, ist wirklich in ihren individuellen Formen von einer so seltenen Schönheit, daß es wohl, so lange uns ein allgemein anerkannter Kanon der Schönheit fehlt, unmöglich seyn dürfte, das Problem, welche von beiden Bildsäulen die schönere sey, rein aufzulösen. Meine Vorliebe für die erste beweist bloß für meinen eigenen Geschmack. Mehrere Anbeter der schönen Lais, die man in der Meinung ließ, sie wäre das Modell zu beiden, streiten für die zweyte, und Lais scheint sich so wenig dadurch beleidigt zu finden, daß sie, unter der Bedingung, das Exemplar, das aus Marmor gemacht werden soll, für sich zu behalten, so großmüthig gewesen ist, dem in sein eignes Werk verliebten neuen Pygmalion ein Geschenk – mit dem Urbilde zu machen. Da du dir, sagte sie scherzend zu Skopas, schwerlich Hoffnung machen darfst, daß Amor das Wunder, das er einst zu Pygmalions Gunsten that, dir zu Liebe wiederhohlen werde, so nimm meine Lesbia dafür, und bilde dir ein, sie sey dein eigenes, für dich von ihm belebtes Kunstwerk selbst. – Die Wahrheit ist, daß der arme Skopas, wofern die allzureitzende Sklavin nicht ein Mittel gefunden hätte, das gestörte Gleichgewicht seines äußern und innern Menschen, (nach der Sokratischen Maxime, deren du dich aus einem meiner Briefe erinnern wirst) bald möglichst wieder herzustellen, schwerlich jemahls mit seiner Arbeit fertig geworden wäre; so mächtig wirkte das zauberisch anziehende Lächeln, womit die gefällige Nymfe, um die ihr aufgetragene Rolle der Göttin mit der gewissenhaftesten Treue zu spielen, ihn unter der Arbeit anzusehen für ihre Schuldigkeit hielt. Skopas arbeitete nun immer besser je ruhiger er arbeitete, und wer weiß, ob er nicht am Ende das Modell selbst für das unter seinen Händen unvermerkt zum Ideal veredelte Nachbild ohne Aufgeld zurück gegeben hätte, wenn Lais zum Tausche geneigt gewesen wäre. Man behauptet allgemein, sagte sie in ihrem gewohnten scherzhaften Ton, ein Künstler, der etwas Vollkommenes hervorbringen wolle, müsse mit Liebe arbeiten; aber Skopas hat noch mehr gethan, er hat mit Begierde gearbeitet; und vermuthlich ist dieß die Ursache, warum er in dieser Venus sein Urbild und sich selbst übertroffen hat.Wenn es Grund hätte, daß eine Venus des Skopas den Beynahmen Pothos (Begierde, Sehnsucht) geführt hätte, wie Caylus in seiner Abhandlung de la sculpture et des sculpteurs anciens selon Pline sagt, so könnte man glauben, dieser Scherz der schönen Lais hätte zu jenem Beynahmen Anlaß gegeben. Aber Afrodite konnte ohne einen Barbarism, den die Griechische Sprache nicht erträgt, keinen männlichen Beynahmen, wie ποθοσ ist, führen. Auch sagt Plinius nicht, daß die Venus des Skopas Pothos geheißen habe; er nennt bloß, indem er eine ziemliche Anzahl der vorzüglichsten Werke dieses Künstlers aufzählt, eine Venus, einen Pothos und einen Faethon, vor allen übrigen: is (Scopas) fecit Venerem et Pothon et Phaëthontem, qui Samothraciae sanctissimis ceremoniis coluntur. (H. N. XXXVI 5.) Wie dieser Pothos aber eigentlich gebildet gewesen, und vornehmlich wie er nebst dem Faethon zu der Ehre gekommen, die ihm auf jener durch die Kabirischen oder Orfischen Mysterien berühmt gewordenen Insel mit hochheiligen Ceremonien erzeigt worden seyn soll, gehört (meines Wissens) unter die noch unaufgelösten antiquarischen Probleme. In den alten Genealogien der Götter und Götterkinder findet sich kein Pothos; dem Homer ist er, als ein dämonisches Wesen, eben so unbekannt wie Eros; und wenn Plato in seinem (von wenigen recht verstandenen) Kratylus, den Sokrates einen spitzfündigen Unterschied zwischen Himeros, Pothos und Eros machen läßt, so spricht er von ihnen nicht als von Dämonen oder Genien, sondern betrachtet sie bloß als eine dreifache Modifikazion des Θυμοσ, d. i. der leidenschaftlichen Bewegung des Gemüths zu einem begehrten Gegenstand: so daß Pothos die Begierde nach einem abwesenden bezeichnet, Himeros und Eros hingegen sich auf ein gegenwärtiges Objekt beziehen, aber unter sich wieder darin verschieden sind, daß die Begier, womit Himeros die Seele wie durch einen heftigen Strom zu dem Begehrten hinreißt, sich aus ihm selbst ergießt, da sie hingegen im Eros erst durch den Gegenstand entzündet wird und von außenher durch die Augen in die Seele strömt (εισρεε εξωθεν, και ουκ οικεια εστιν η ροη αυτη τω̃ εχοντι, αλλ' επεισακτος δια τω̃ν ομματων.) So viel scheint indessen gewiß, daß der Pothos des Skopas eine allegorische Person, vermuthlich ein vom Eros und Himeros hinlänglich unterschiedener und die Sehnsucht nach einem abwesenden Geliebten symbolisierender Genius gewesen seyn müsse. Vielleicht war Skopas der erste Künstler, der diese Personifikazion unternahm; wenigstens scheint er sich darin gefallen zu haben, da, nach dem Berichte des Pausanias, (Libr. I. c. 43. §. 7. pag. 167. edit. Facii) auch in einem Tempel der Venus zu Megara neben den Bildsäulen des Eros und Himeros, auch eine des Pothos zu sehen war.

Dem wackern Skopas muß ich es zum Ruhme nachsagen, daß er sich bey den kleinen Spöttereyen der schönen Lais ziemlich artig benahm; vielleicht weil er sie als Wirkungen einer geheimen Eifersucht betrachtete, und sich also schmeicheln konnte, eine Art von Triumf über sie erhalten zu haben. Übrigens hatte er Ursache mit seiner Reise nach Ägina sehr zufrieden zu seyn; denn er wurde – außer der reitzenden Lesbierin, in welcher er nun ein treffliches Modell eigenthümlich und ausschließlich besitzt, – noch mit baaren Dariken königlich belohnt.

Diese großherzige Freygebigkeit, und, um dem Kinde seinen rechten Nahmen zu geben, eine ungezügelte Neigung zum Verschwenden überhaupt, ist ein so starker Zug im Karakter meiner schönen Freundin, daß ich sehr besorge, er werde in der Folge, und nur zu bald, eine Änderung in dem Plane, dessen ich bereits erwähnt habe, nöthig machen. Ich hielt es für eine Pflicht der Freundschaft, ihr, da wir einsmahls allein waren, mit einigem Ernst davon zu sprechen. Ich sehe nur zu wohl, war ihre Antwort, daß deine Warnung nichts weniger als überflüssig ist; aber ich kann weder meine Art zu leben noch meine Sinnesart ändern. ICH. Noch nie fühlte ich so lebhaft als in diesem Augenblick, beste Laiska, daß meine Liebe zu dir Freundschaft ist. Ich würde mich selbst hassen, wenn ich der selbstsüchtigen Anmaßung fähig wäre, die Glückseligkeit die du zu geben fähig bist, zu meinem ausschließlichen Eigenthum machen zu wollen. Aber daß das, was nur die edelsten oder ganz besonders von den Göttern und dir begünstigten Sterblichen zu genießen würdig sind, jemahls wenn auch einen noch so hohen Marktpreis haben sollte, dieß nur zu denken, ist mir, in bloßer Rücksicht auf dich selbst, unerträglich. – SIE. So weit, lieber Aristipp, soll und wird es niemahls kommen. – ICH. Gewiß nicht, so lange ich selbst noch eine Drachme im Vermögen habe. SIE, lachend: Damit würdest du das Unglück, das du befürchtest, nicht lange verhüten. Ich denke einen für dich und mich bequemern Ausweg gefunden zu haben; und damit ich dich über dieses Kapitel auf einmahl und für immer ins Klare setze, so höre, wie ich über mein Verhältniß zu deinem Geschlecht denke, und was für eine Maßregel ich, zu meiner Sicherheit vor den Anmaßungen desselben, bey mir selbst festgesetzt habe. Ich sagte dir bereits mit der Offenheit, die du immer bey mir finden sollst, daß ich auf einen zwangfreyen Umgang mit welchen Männern es mir beliebt nicht Verzicht thun könnte, ohne ein wesentliches Stück meiner Glückseligkeit aufzuopfern; ich sagte dir auch die wahre Ursache, warum ein solcher Umgang Bedürfniß für mich ist. Denn daß die gewöhnliche Triebfeder der wechselseitigen Anmuthung beider Geschlechter gegen einander sehr wenig Antheil an diesem Zug meines Karakters habe, darf ich dir um so mehr gestehen, da ich mir nichts darauf zu gut thue, und wofern es der Natur beliebt hätte, mir das, was seine Besitzerinnen Zärtlichkeit und Bedürfniß zu lieben nennen, in einem reichern Maße mitzutheilen, mich dessen keineswegs schämen würde. Es wird dich also wenig befremden, wenn ich dir sage, daß, meiner Meinung nach, eine Frau, die ihre Unabhängigkeit behaupten will, euer Geschlecht überhaupt als eine feindliche Macht betrachten muß, mit welcher sie, ohne ihre eigene Wohlfahrt aufzuopfern, nie einen aufrichtigen Frieden eingehen kann. Dieß ist, däucht mich, eine nothwendige Folge der unläugbaren Thatsache, daß der weibliche Theil der Menschheit sich beynahe auf dem ganzen Erdboden in einem Zustande von Abwürdigung und Unterdrückung befindet, der sich auf nichts in der Welt als Überlegenheit der Männer an körperlicher Stärke gründen kann; da die Vorzüge des Geistes, in deren ausschließlichen Besitz sie sich zu setzen suchen, nicht ein natürliches Vorrecht ihres Geschlechts, sondern eine der Usurpazionen ist, deren sie sich kraft ihrer stärkeren Knochen über uns angemaßt haben. Bey allen Völkern ist der Zustand der Weiber desto unglücklicher, je roher die Männer sind: aber auch unter den polizierten Nazionen, und bey der gebildetsten unter allen, werden wir von den Männern überhaupt genommen entweder als Sklavinnen ihrer Bedürfnisse oder als Werkzeuge ihres Vergnügens behandelt, und die schönste unter uns müßte sehr blödsinnig seyn, wenn sie sich auf den Glanz oder die Zahl ihrer vorgeblichen Anbeter und Sklaven das geringste einbildete, und sich selbst verbergen könnte, was die Herren bey dem betrüglichen Spiele, das sie mit unserer Eitelkeit und Schwachherzigkeit treiben, gewinnen wollen. Anakreon meint, die Natur, die jedes ihrer Geschöpfe mit irgend einer Waffe zu seiner Vertheidigung versehe, habe dem Weibe zur Schutzwehr gegen die Stärke des Mannes die Schönheit verliehen; aber ohne den Verstand, einen klugen und weisen Gebrauch von ihr zu machen, ist die Schönheit selbst eine sehr zweydeutige Gabe, und ihrer Besitzerin meistens mehr nachtheilig als nützlich. Ich für meinen Theil danke der guten Mutter Natur, daß sie mich gerade mit so viel Verstand bewaffnet hat, als ich nöthig habe, um den Mann, im Allgemeinen, als den natürlichen Feind meines Geschlechts anzusehen, gegen welchen wir nie zu viel Vorsichtsmaßregeln nehmen können. Der gesellschaftliche Zustand hat zwar einen anscheinenden Frieden zwischen beiden Geschlechtern gestiftet; aber im Grund ist dieser Friede auf Seiten der Männer bloß eine andere Art den Krieg fortzusetzen; und da ihnen von der Stärke ihrer Knochen und Muskeln gewaltsamen Gebrauch gegen uns zu machen untersagt ist, so lassen sie sichs desto angelegener seyn, die treuherzigen Vögelchen durch Schmeicheley und Liebkosungen in ihre Schlingen zu locken. Und uns sollte nicht eben dasselbe gegen sie erlaubt seyn? Wir sollten die Betrüger nicht wieder betrügen, und falls wir klug genug sind, uns vor ihren Schlingen zu hüten, das einzige, wodurch wir an ihre schwache Seite kommen können, unsre Reitzungen, nicht auf jede uns beliebige und vortheilhafte Art gegen sie gebrauchen dürfen? Bey der großen Nemesis! ich mache mir so wenig Bedenken darüber, daß ich mich selbst verachten würde, wenn ich mir jemahls ein anderes Verhältniß gegen das Männergeschlecht geben wollte, als das, wozu uns sein Verfahren gegen uns einladet, und, wenn wir anders unsre alberne Gutherzigkeit nicht zu spät bereuen wollen, nöthiget. Da sie uns keine andere Wahl gelassen haben, als entweder ihre Sklaven zu seyn oder sie zu den unsrigen zu machen, was hätt' ein Weib, das seine Freyheit liebt, hier lange zu bedenken? – Du siehst die Grundlage meines Plans, lieber Aristipp; ich habe dir ohne Zurückhaltung gezeigt, wie ich über die Männer denke, weil du für mich kein Mann, oder, wenn du lieber willst, mehr als ein Mann, weil du mein Freund, ein mir verwandtes kongenialisches Wesen bist. Was ich noch hinzuzusetzen habe, erräthst du vermuthlich von selbst. Ich opfre meiner Liebe zur Unabhänglichkeit und dem Verlangen nach meiner eigenen Weise glücklich zu seyn, einen Nahmen auf, und unterziehe mich dadurch den Folgen des nicht ganz ungerechten Vorurtheils, das alle Arten von Personen drückt, die sich dem Vergnügen des Publikums widmen und dafür belohnt werden; aber meine Meinung ist nicht, diesen Nahmen anders als auf eine eignen Bedingungen zu tragen. Diesen sich zu unterwerfen, kann ich niemand zwingen; wer sie sich also gefallen läßt, sollt' es ihm auch am Ende dünken, daß er einen schlechten Handel gemacht, und das Vergnügen mich zu sehen, zu hören und etliche fröhliche Stunden unter Scherz, Musik und Tanz, mit Komus und Bacchus, oder mit Amorn und den Grazien in meinem Hause zugebracht zu haben, allzu theuer bezahlt habe, der würde von mir und allen Verständigen ausgelacht werden, wenn er sich über Unrecht beklagen wollte. Ich setze einen ziemlich hohen, wiewohl unbestimmten Preis auf das Vorrecht, freyen Zutritt in meinem Hause zu haben, mache aber kein Geheimniß daraus, daß ich mich durch die Geschenke, die ich von meinen Liebhabern, wie die morgenländischen Fürsten von ihren um Gehör bittenden Unterthanen, annehme, zu keinen besondern, geschweige ihnen selbst beliebigen Gefälligkeiten verbunden halte. Es steht einem jeden frey, seine Eitelkeit, oder seinen Wetteifer mit reichen und freygebigen Nebenbuhlern, so weit zu treiben als er will; und wer an der Zulänglichkeit seines persönlichen Werths zu zweifeln Ursache hat, mag immerhin versuchen, ob er diesen Mangel durch den Werth der Opfergaben ersetzen könne, die er seiner Abgöttin zu Füßen legt. Sie befindet sich, wiewohl sie ihre Gottheit bloß der Thorheit ihrer Anbeter zu danken hat, in diesem Stück in dem nehmlichen Falle wie alle andre Götter, welche sehr wohl wissen, warum die Menschen ihnen Opfer bringen, aber sich durch die Annahme derselben keineswegs verpflichten, alle Wünsche der Opfernden zu erfüllen, oder auch nur das, warum gebeten wird, zu gewähren. – Was sagst du zu diesem Plan, Aristipp? Denkst du nicht, daß er mir im Nothfall hinlängliche Mittel verschaffen könne, meine dermahlige Lebensweise fortzusetzen, ohne jemahls, wie du vorhin besorgtest, genöthiget zu seyn, mich unter mich selbst herabzuwürdigen?

ICH. Ich sage, wenn er dir nicht gelänge, so würde ich keiner andern rathen, den Versuch zu machen. Aber es hat keine Noth; ich bin vielmehr überzeugt, du wirst auf diesem Wege, selbst durch den Ruf, daß es eine höchst mißliche Sache sey, deinetwegen nach Korinth zu reisen, in Gefahr kommen, nach und nach Deukalions und Hellens ganze edle Nachkommenschaft, Dorier, Ionier und Äolier, vor deiner Thür liegen zu sehen.Einige Leser werden sich vielleicht bey dieser Stelle des

Non cuivis homini contingit adire Corinthum

aus Horazens Epistel an Scäva, und des

Ad cujus jacuit Graecia tota fores

des Properz (L. II. El. 6.) erinnern. Aristipp konnte sie freylich nicht im Sinne gehabt haben; aber das erste ist auch bloß die Übersetzung des Griechischen Sprüchworts, ου παντος ανδρος εις Κορινθον εστιν ο πλου̃ς, welches älter als Lais und Aristipp war; und das andere könnte, möglicher Weise, für eine Anspielung des sehr belesenen Römischen Dichters auf diesen Scherz des Aristipp gehalten werden, wenn man nicht zugeben will, daß zwey Personen auf eben denselben Gedanken und Ausdruck gerathen können, ohne daß die eine ihn nothwendig der andern abgestohlen haben muß.

SIE lachend. Das soll ihnen herzlich gern erlaubt seyn, vorausgesetzt, daß es immer von mir abhange, wem ich sie öffnen lassen will.

ICH. Einer Theodota möchte ich deinen Plan nicht rathen. Um ihn mit Erfolg auszuführen, muß man im Besitz deiner Schönheit, deiner Talente, deines Verstandes und deiner – Kälte seyn.

SIE. Wie, mein schöner Herr? Solltest du dich über meine Kälte zu beklagen haben?

ICH. Nicht zu beklagen, liebe Laiska! denn sie ist es eben, was deinen kleinsten Gunstbezeugungen einen so hohen Werth giebt, daß die Grazien dem Manne nie gelächelt haben müßten, der nicht den leisesten Händedruck von dir den freygebigsten Liebkosungen einer jeden andern vorzöge. Auch ist dieß eine der nothwendigsten Bedingungen der Ausführbarkeit deines Plans. Denn kein Liebhaber dient lange ohne allen Sold, und eine Schöne, die nicht gesonnen ist, viel zu geben muß die Gabe besitzen, das Wenige mit einer Art zu geben, daß es viel scheint. Du, schöne Lais, besitzest diese Gabe in einem so hohen Grade, daß ich keinen Augenblick zweifle, du würdest dir mit dieser Kunst, deine Liebhaber durch den Zauber einer sich immer annähernden und entfernenden Hoffnung bey gutem Muthe und in deiner Gewalt zu erhalten, so gut als die berühmte Thargelia ein Diadem verschaffen können, wofern dich je die Lust anwandelte, deine Freyheit gegen ein Diadem zu vertauschen. SIE. So hoch fliegen meine Wünsche nicht. ICH. In der That würdest du einen schlimmen Tausch treffen. SIE. Das denke ich auch.

Diese Lais – höre ich dich sagen, Kleonidas – ist in der That eine Hetäre, wie vermuthlich noch keine war und vielleicht in tausend Jahren keine wieder erscheinen wird; aber mit aller ihrer Filosofie doch – nur eine Hetäre, und eine um so viel gefährlichere, je mehr sie vor andern voraus hat. Nimm dich in Acht, Aristipp! – Ich bin so ziemlich deiner Meinung, Freund Kleonidas; sie ist ein gefährliches Geschöpf. Sie wird manchen Kopf verrücken, der vorher recht stand, manchen Narren noch närrischer machen, und manchen vollen Beutel leeren. Was sie aus mir und dir machen wird, (denn auch du wirst, wie ich hoffe. nach Korinth kommen) wird die Zeit lehren.

Der Tag meiner Trennung von dieser Circe, in der ich gleichwohl mehr einen Freund als ein Weib liebe, rückt immer näher. Sie geht nach Korinth zurück, und ich mache mich zu einer Reise in die Inseln fertig, von wannen ich in einigen Monaten etwas leichter an Dariken, und reicher an Kenntnissen der Natur und der Kunst, nach der schönen Athenä zurückkehren werde. Bewunderst du mich nicht, daß ich mich mit so leichtem Herzen von der reitzendsten aller Zauberinnen trennen kann?


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