Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Ich gestehe dir unverhohlen, lieber Aristipp, daß ich seit diesem Rückzug, mit dessen Beweggrunde ich es nicht gar zu genau nehmen möchte, mich nicht erwehren konnte, Sie immer weniger schuldig zu finden, je mehr ich bedachte, wie wunderbar die Natur ihre Fehler mit dem, was das Liebenswürdigste an ihr ist, verwebt hat, und wie verzeihlich es überdieß seyn sollte, daß ein so lange von aller Welt vergöttertes Weib von dem vielen Weihrauch endlich schwindlicht ward, und in der Meinung, daß man ihr auch die Privilegien einer Göttin zugestehen werde, sich mehr herausnahm, als einer Sterblichen, die auf Achtung Anspruch macht, geziemt. Diese Betrachtungen bewogen mich, seit der Zeit, da sich beynahe ganz Korinth gegen sie erklärt hat, ihre Partey wieder mit aller Wärme eines alten Freundes zu nehmen. Was die natürliche Folge davon war, kannst du leicht errathen, und wirst hoffentlich nicht mehr als billig finden, daß dein Freund Learch eine Zeit lang der einzige Korinthier war, der das Vorrecht eines freyen Zutritts bey ihr mit Eufranorn und dem Arzt Praxagoras (der sich vor kurzem bey uns niedergelassen hat) und mit dem kurzweiligen Sohn des Momus und der Penia, Diogenes von Sinope, nicht nur theilte, sondern vielleicht noch etwas voraus hatte, was ihre Dankbarkeit seiner so lange und vielfach bewährten Freundschaft nicht länger vorenthalten konnte.

Aber höre nun auch, was uns der Götter und Menschen beherrschende Dämon Eros unversehens für einen verzweifelten Streich gespielt hat!

Vor ungefähr einem Monat läßt sich in meinem und Eufranors Beyseyn ein fremder Sklavenhändler bey Lais melden, und bietet ihr einen jungen Sklaven zum Verkauf an, den er (seinem Vorgeben nach) als Kind von Seeräubern gekauft und mit beträchtlichen Kosten so erzogen habe, daß man weit und breit wenige Seinesgleichen finden werde. Der Mann machte so viel Rühmens von der Gestalt und Wohlerzogenheit seines Sklaven, und von seiner Geschicklichkeit im Vorlesen, Abschreiben, Rechnen, und in der Musik, daß wir Lust bekamen, seine Waare in Augenschein zu nehmen. Dorylas (so nannte er den Sklaven) wurde also vorgeführt. Lais stutzte, glaube ich, nicht weniger als wir beide, da wir einen schlanken, zierlich gewachsnen Jüngling mit einer edlen Gesichtsbildung, großen funkelnden Augen und goldgelbem dichtgelocktem Haupthaar, vor uns sahen, etwas bräunlich aber frisch und rosig von Farbe, kurz, einen jungen Menschen von neunzehn oder zwanzig Jahren, den Eufranor auf der Stelle zum Modell eines von den Mantineern bey ihm bestellten Hermes erwählte. Der junge Mensch schien beym Anblick seiner künftigen Gebieterin nicht weniger betroffen, als wir bey dem seinigen, und machte (unfreywillig oder absichtlich) eine Bewegung, wie einer der unversehens von einem Blick in die Sonne geblendet wird. Ich beobachtete ihn von diesem Augenblick an scharf, und konnte mich kaum erwehren, den ganzen Handel verdächtig zu finden. Du nennst dich Dorylas? fragte ihn Lais, mit einem Blick, der mir ähnliche Zweifel zu verrathen schien. Er bejahete es mit sittsam niedergeschlagenen Augen. – »Woher bist du gebürtig?« – Ich weiß es nicht; meine Erinnerungen reichen nicht so weit zurück. Ich war noch Kind, als ich meinen Ältern geraubt wurde. – »Du bist im Vorlesen geübt?« – Wenigstens hatte ich einen berühmten Lehrmeister. – »Und dieser Mann hier hat dich erzogen?« – Ich kaufte ihn (fiel der Sklavenhändler ein) bloß in der Absicht, ihn, wenn er erwachsen und gehörig ausgebildet seyn würde, mit einem ansehnlichen Gewinn an irgend eine Herrschaft, die einen solchen Sklaven zu schätzen wüßte, wieder zu verhandeln. – »Was forderst du für ihn?« fragte Lais mit ihrer gewöhnlichen Raschheit. – Einen sehr mäßigen Preis in Betracht dessen was er werth ist; nicht mehr als drey tausend Drachmen: aber davon geht auch kein Triobolon ab. – Der Handel wurde auf der Stelle geschlossen, der Verkäufer ausgezahlt, und der schöne Dorylas in das Amt eines Vorlesers seiner neuen Gebieterin eingesetzt. Aber, sagte sie lachend, indem sie sich gegen mich und Eufranor wandte, woher wissen wir daß er lesen kann? Billig hätten wir ihn vorher prüfen sollen. Ich glaube daß ich ihr mit einem unfreywilligen Achselzucken antwortete. Auf alle Fälle, sagte Eufranor, bitte ich mir zur Gnade von dir aus, ihn zum Modell für eine Gruppe des jungen Achilles und der schönen Tochter des Fürsten Lykomedes von Skyros zu nehmen, die ich eben in der Arbeit habe. – Sehr gern, wenn du ihn dazu gebrauchen kannst, versetzte sie lachend, vermuthlich um die plötzliche Röthe zu verhehlen, die über ihr ganzes Gesicht hin loderte. Zufällig lag ein Anakreon auf einem Tischchen. Ich schlug die Ode an den Mahler seiner Freundin auf, und sagte zu Lais: gefällt es dir etwa, deinen Vorleser eine kleine Probe seiner Kunst machen zu lassen? – Wie du willst, erwiederte sie gleichgültig. Sobald Dorylas vernahm, wovon die Rede war, bat er sich eine gestimmte Cither aus, und sang uns das Lied mit einer ziemlich angenehmen Stimme, nach der bekannten Melodie von Antigenidas, indem er sich selbst auf der Cither begleitete. Lais schien mit den Talenten ihres neuen Hausgenossen sehr zufrieden zu seyn; sie empfahl ihn ihrem Hausverwalter, und winkte ihm abzutreten. Es erfolgte eine kleine Stille. Da habe ich nun einmahl wieder in der Laune des Augenblicks eine Thorheit begangen, sagte sie mit einer ziemlich merklichen Bemühung, ihrer Miene mehr Unbefangenheit zu geben als sie sich bewußt seyn mochte. Vielleicht ein gutes Werk, versetzte ich; der junge Mensch scheint mir nicht zu seyn wofür er dir gegeben wurde. »Wie so, Learch?« – Ich sollte denken es fiele sogleich in die Augen, daß er weder das Aussehen noch den Anstand eines Sklaven hat, sagte ich. – Ich kann eben nichts besonders an ihm sehen, erwiederte Sie, abermahls erröthend. – Du hast diesen Morgen vergessen Roth aufzulegen, liebe Lais; auch wär' es sehr überflüssig gewesen, da die schönsten Rosen freywillig auf deinen Wangen blühen. – Learch ist heute sehr scherzhaft, sagte Sie zu Eufranorn: aber findest du wirklich, daß Dorylas in Weiberkleidern einen leidlichen Achill zu Skyros abgeben könnte? Wir wollen auf der Stelle die Probe machen. Sie rief ihrer Vertrauten. Sorge gleich dafür, Eudora, daß der Sklave, den ich so eben gekauft habe, in ein Mädchen verkleidet und so schön herausgeputzt werde, wie es das Kostum der Fürstentöchter in der heroischen Zeit erfordert, und führe ihn dann in die große Rosenlaube. Das Mädchen eilte hinweg, Lais fing von andern Dingen zu reden an, und wir folgten ihr in den Garten. Nach einer Stunde erschien die Vertraute mit dem verweiblichten jungen Achill an der Hand, welcher seine Rolle für einen Anfänger nicht übel spielte, und sich seiner Vortheile in dieser Verkleidung sehr wohl bewußt zu seyn schien. Die Mädchen hatten ihn prächtig herausgeputzt, und Eufranor schwur bey allen Göttern, so müßten die Atalanten, Deianiren und Penthesileen der Heldenzeit ausgesehen haben. Da sagst du ihnen eben nichts sehr schmeichelhaftes, versetzte Lais; aber die Frage ist, ob du ihn noch zum Modell deines verkleideten Achills nehmen willst? – Ich wünsche mir kein besseres, sagte der Künstler; und du, Dorylas, hast gar nicht nöthig so trotzige Gesichter zu schneiden; das Wahre ist, daß du wie Achill aussehen mußt ohne es zu wissen. – »Aufrichtig zu reden. Eufranor, wenn der junge Achill in Frauenkleidern einem Mädchen nicht ähnlicher sah, so hätte es des erfindungsreichen Odysseus nicht bedurft, um ihn aus den Gespielen der Deidamnia heraus zu wittern.« – Indem Lais dieß in einem spöttelnden Ton sagte, bemerkte ich sehr wohl, daß ihre großen Augen, mit einem Ausdruck den ich noch nie darin gesehen hatte, auf dem schönen Dorylas verweilten; und daß die vorgebliche Pyrrha nicht ermangelte, die ihrigen in einer Sprache antworten zu lassen, deren Sinn der scharfsichtigen Lais nichts weniger als unverständlich seyn konnte.

Als Dorylas wieder entfernt worden war, konnt' ich mich nicht enthalten, ihr noch deutlicher als ich schon gethan hatte zu sagen, daß mir der Sklavenstand des jungen Menschen verdächtig vorkomme, und daß irgend ein sonderbares Geheimniß hinter dieser Sache stecken müsse. – Ich fange selbst zu vermuthen an, sagte Lais, daß ich für meine drey tausend Drachmen einen albernen Kauf gethan habe. Und doch seh' ich nicht, was der junge Mensch, wenn er etwas besseres wäre, für ein Vergnügen daran finden könnte, sich mir für einen Sklaven verkaufen zu lassen. – Wenn es nicht eine Art von Liebeserklärung ist, sagte ich, so wüßte ich auch nicht, was ihn dazu hätte bewegen sollen. – Du könntest mir mit deinen Grillen den ganzen Spaß verderben, erwiederte sie. – Da hättest du Unrecht, schöne Lais, sagte Eufranor; giebt es denn nicht der schönen jungen Sklaven bey Tausenden in Griechenland? oder ist es so unerhört, daß man einem jungen Sklaven, den man zu etwas besserm als gemeinen Knechtsdiensten bestimmt, eine Erziehung giebt, die ihn über andere seines Standes erhebt? – »Das lustigste wäre, wenn mein Vorleser am Ende nicht lesen könnte. Da hätt' ich freylich seine gelben Locken und seine Achillesmiene ein wenig zu theuer bezahlt. Indessen, wenn Eufranor ihn als Modell gebrauchen kann, bleibt mir doch das Verdienst, etwas zum Wachsthum der Künste beygetragen zu haben. Der einzige Achill im Frauengemach der Tochter Lykomeds, den du aus ihm machen willst, wäre die Summe, die ich für das Modell gegeben habe, zwiefach werth.

Sie lenkte nun das Gespräch auf etwas anders, und in den nächst folgenden Tagen war keine Rede mehr von Dorylas. Doch erfuhr ich von unsrer gemeinschaftlichen Vertrauten: Dorylas habe am dritten Morgen seiner Anstellung, während Lais sich unter den Händen ihrer Aufwärterinnen befand, zur Probe seiner Kunst ein Stück aus Xenofons Symposion vorlesen müssen; er habe sich aber, entweder aus Zerstreuung, oder Mangel an Sinn für die feinsten Schönheiten dieses Meisterstücks von Attischer und Sokratischer Urbanität, nicht zu seinem Vortheil aus der Sache gezogen. Es hätte ihr gedäucht, als ob Lais wenig auf die Vorlesung Acht gebe; und da sie, sobald sie sich mit ihrer Gebieterin allein gesehen, sich über die Ungeschicklichkeit des neuen Vorlesers ein wenig lustig gemacht, habe Lais etwas trocken versetzt: Dorylas scheine noch schüchtern zu seyn, und, anstatt unzeitigen Tadels, vielmehr Aufmunterung nöthig zu haben. Am folgenden Tage sey eine ziemlich lange Unterredung ohne Zeugen zwischen Lais und Dorylas vorgefallen. Ihre Gebieterin habe, wider ihre Gewohnheit, sich nichts davon gegen sie verlauten lassen, sey aber den ganzen Abend etwas finster und einsylbig gewesen, und habe sich eher als sonst in ihre Schlafkammer eingeschlossen.
 

Zufälliger Weise mußte sichs treffen, daß mich um diese Zeit ein unverschiebliches Geschäft nach Argos rief, und beynah einen ganzen Monat da zu verweilen nöthigte. Nach meiner Zurückkunft glaubte ich unsre Freundin sehr verändert zu finden. Es däuchte mich als ob sie in Verlegenheit sey, etwas vor mir zu verbergen, das sie mir gern entdeckt hätte, wenn sie nur mit sich selbst einig werden könnte, wie sie anfangen und wie weit sie gehen wolle. Zwischen so vertrauten Freunden, wie wir seit geraumer Zeit waren, konnte ein solcher Zwang nicht anders als peinlich, und also von keiner langen Dauer seyn. Wiewohl sie sich geflissentlich hütete allein mit mir zu seyn, fand ich endlich doch Gelegenheit, sie in einem abgelegenen Plätzchen ihres Gartens zu überraschen, und sie dahin zu bringen, daß sie sich des Geheimnisses, wovon sie gedrückt zu werden schien, gegen mich entledigen mußte. Ich bin in der Kunst zu erzählen so wenig geübt, daß ich dir lieber den Dialog, der sich nun zwischen uns entspann, in seiner eigenen Form, so getreu als mir möglich ist, mittheilen will.


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