Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Der junge Antipater, dem ich zur Belohnung seines Fleißes und guten Betragens das Glück ein paar Monate bey der schönsten Frau unsrer Zeit zu leben nicht versagen wollte, hat bereits, ohne es zu wissen oder wissen zu wollen, so viele Eroberungen gemacht, als weibliche Wesen in diesem Hause sind. Lais selbst begegnet ihm mit ausgezeichneter Achtung, und läßt ihm seit einigen Tagen sogar ziemlich deutlich merken, daß ihr die Art des Eindrucks, den sie auf ihn mache, nicht gleichgültig sey. Ich habe ihn auf nichts vorbereitet. Er soll alles mit eigenen Augen sehen, und sich in allem nach seinem eigenen Gefühl und Urtheil benehmen; und er sieht wirklich schärfer und beträgt sich männlicher, als man von einem Jüngling seines Alters erwarten sollte. Ich verberge ihm so viel möglich, daß ich ihn beobachte, und erforsche nichts von ihm was er mir nicht von freyen Stücken sagt. Bis jetzt habe ich noch keine merkliche Veränderung an ihm wahrnehmen können. Er spricht von dieser Frau, die noch alles, was in ihren Gesichtskreis gerieth, bezaubert hat, mit der ruhigen Bewunderung, womit er von einer schönen Bildsäule reden könnte, und scheint auch nicht mehr als für eine Bildsäule für sie zu fühlen. Er begegnet ihr mit einer Ehrerbietung, womit eine Göttin zufrieden seyn könnte; läßt sich aber dadurch nicht abhalten, bey allen Gelegenheiten herzhaft andrer Meinung zu seyn als sie, und scheint weder die mindeste Ahnung zu haben, daß er ihr durch seine kaltblütige Unbefangenheit mißfallen könnte, noch sich Kummer darüber zu machen, wofern dieß wirklich der Fall wäre.

Die Gewalt, welche die stärkste ihrer Leidenschaften, der Stolz, ihr über alle übrigen giebt, macht es schwer zu sagen, was sie bey einem ihr so ganz neuen Betragen wirklich fühlt; gewiß ist, daß man an dem ihrigen gegen ihn nicht das geringste Zeichen, daß sie sich dadurch beleidigt finde, bemerken kann. Je mehr sie sich ihm nähert, je vorsichtiger zieht er sich zurück, und je mehr er sich zurückzieht, desto eifriger verdoppelt sie ihre Bemühungen ihn anzuziehen. Keines von beiden scheint auf das Spiel des andern Acht zu geben, sondern bloß das seinige zu spielen, und es wäre seltsam genug, wenn eine so geübte Meisterin, mit so großen Vortheilen in der Hand, zuletzt doch das Spiel an einen so unerfahrnen Gegner verlieren sollte. Dein junger Landsmann, sagte sie einsmahls zu mir, ist in der That was du mich erwarten ließest; ich habe noch keinen Jüngling von zwanzig Jahren, mit einem Apollonskopf auf Schultern eines Meleagers, zugleich so trotzig und so schüchtern gesehen wie ihn. Er ist eine wahre Seltenheit. Nicht daß er mir darum weniger gefiele, fuhr sie lächelnd fort: aber meine närrische Fantasie hatte sich voreiliger Weise auf etwas ganz anders eingerichtet – als ob alle junge Cyrener so dreist und zuversichtlich seyn müßten, wie mein Freund Aristipp in diesem Alter war! – Du wirst ihn schon ein wenig aufmuntern müssen, sagte ich. – »Meinst du? Sey unbesorgt, Aristipp! Es wird sich wohl geben. Ist doch Omfale mit dem Löwen- und Drachenbezwinger Herkules fertig geworden.« – Aber dießmahl hatte sie sich in ihrer Rechnung geirrt; es gab sich nicht. Antipater blieb kalt und zurückhaltend, und schien es, zu meiner Verwunderung, immer mehr zu werden. Die arme Lais, der doch wahrlich nicht zuzumuthen war, sich so leicht überwunden zu geben, sah sich, da es ihr weder im Kostum einer Arkadischen Hirtin noch in ihrem gewöhnlichen gelingen wollte, zuletzt genöthigt, ihre reichsten Kleiderschränke und Juwelenkästchen aufzuschließen, das ganze Belagerungszeug des Putztisches in Bewegung zu setzen, und die schlauesten Dienste ihrer aufwartsamen Grazien zu Verstärkung ihrer angebornen Reitze zu Hülfe zu rufen. Sie erschien nun alle Tage in einer neuen Gestalt, bald im Glanz einer morgenländischen Fürstin, bald in der künstlich nachlässigen üppigen Zierlichkeit einer gefälligen Milesierin; sie dramatisierte sich selbst in alle mögliche mythische Personen, und entwickelte in prächtigen Tanzspielen ihre feinsten Verführungskünste als Selene und Aurora, Galatea und Ariadne, Leda und Io, kurz, zeigte sich unter allen Formen in allen Farben, in allen Arten von Licht und Helldunkel. – Und wofür das alles? Um den gedemüthigten Stolz ihrer sieggewohnten Schönheit an einem rohen jungen Halbwilden zu rächen, der wofern er ihr, wie alle andere Sterbliche, gleich beym ersten Anblick gebührend gehuldiget, d. i. den Verstand ein wenig verloren hätte, ihre Aufmerksamkeit schwerlich drey Tage lang fest gehalten haben möchte. Denn daß ich glauben sollte, sie habe mit allen diesen Vorkehrungen etwas andres beabsichtigst, als den Widerspenstigen erst zu überwältigen, und ihn dann, zur Strafe daß er ihr den Sieg so schwer gemacht, das ganze Gewicht ihrer Gleichgültigkeit fühlen zu lassen, dazu kenne ich sie zu gut.

Damit es aber nicht das Ansehen habe, als ob das alles einem so unbedeutenden Menschen als Antipater, geschweige denn ihm allein gelte, hatte sie mehrere Tage vorher zu Argos, Trözene, Korinth, Megara und Athen, unter der Hand bekannt werden lassen, daß es ihr angenehm seyn würde, während ihres Aufenthalts auf dem Lande so viele gute Gesellschaft zu sehen, als die Schönheit der Jahreszeit und die Vergnügungen, womit sie sich und ihre Freunde zu unterhalten gedenke, nur immer nach Ägina zu locken vermochten. Du kannst dir leicht einbilden, mit welchem Wetteifer eine solche Einladung angenommen wurde, und welche Schwärme von müßigen Fäaziern und Penelopensfreyern, deren Ansprüche oder Wünsche sie aufzumuntern schien, herbeygeflogen kamen, in der Hoffnung die gefällige Laune der bisher so stolzen Schönen vielleicht dießmahl zu ihrem Vortheil benutzen zu können. Antipater indessen schien an allen den Lustbarkeiten, die jetzt so rasch auf einander folgten, nur wenig Theil zu nehmen, und anstatt in einem so lebhaft unterhaltenen Feuer endlich zu schmelzen, vielmehr mit jedem Tage spröder und unempfindlicher zu werden. Ich gestehe, daß mir eine so hartnäckige Kälte oder Zurückhaltung an einem so kräftigen und ungeschwächten Jüngling zu wenig natürlich schien, um nicht verdächtig zu seyn. Aber wohin ich auch meine Vermuthungen richtete, nirgends zeigte sich eine Spur, die mich auf den Grund seines unerklärbaren Benehmens hätte leiten können. Er selbst zeigte sich bey allem was vorging so ruhig, und schien eine ihm so natürliche Rolle zu spielen, daß ich mich endlich gezwungen sah, entweder das seltsame Problem unaufgelöst zu lassen, oder anzunehmen, der junge Mensch besitze bereits so viel Stärke des Karakters, daß er sein Verhalten gegen Lais bloß nach reinsittlichen Grundsätzen bestimme, und die Würde unsers Geschlechts gegen die übermüthigen Anmaßungen einer von der Natur und dem Glücke allzu sehr verzärtelten Hetäre behaupten wolle, die ihr höchstes Vergnügen daran findet, so viel Sklaven als nur immer möglich vor ihren Triumfswagen zu spannen, und Begierden und Leidenschaften zu erregen, welche sie weder zu befriedigen gesonnen noch zu erwiedern fähig ist. Wahrscheinlich war eine solche Voraussetzung nicht; aber wenn ich irgend einem jungen Manne Stolz und Kaltblütigkeit genug, um so zu denken, und Stärke genug, um ein dieser Denkart angemessenes Betragen sogar gegen eine Lais auszuhalten, zutrauen durfte, so war es Antipater.

Indessen hat sichs am Ende doch gezeigt, daß man in dergleichen Fällen am sichersten geht, wenn man zu ihrer Erklärung die natürlichste Ursache annimmt. Antipater hatte sie mir bisher verschwiegen, aus unnöthiger Furcht, die schöne Lais möchte Mittel finden mir sein Geheimniß abzulocken. Da ich ihm aber vor etlichen Tagen seines Heldenthums wegen eine kleine Lobrede hielt, konnte der wackere Jüngling den Gedanken nicht ertragen, mich durch sein Schweigen um eine Achtung, die er nicht verdiene, zu betrügen; und so that er mir ein Geständniß, wodurch mir nun freylich alles sehr begreiflich ward, und wovon ich nichts weiter sage, da er dir das Nähere selbst geschrieben zu haben versichert.

Lais belustigt sich inzwischen damit, sich durch eine ziemlich kostbare Selbsttäuschung nach Sardes in die Zeiten ihrer höchsten Glorie zu versetzen. Von drey oder vier Kreisen hoffender und betrogener Anbeter umgeben, lebt sie wie eine unumschränkt regierende Königin unter ihren Höflingen, verschwendet das Persische Gold wie eine ächte Griechin, und findet sich reichlich entschädiget, wenn sie sich in ihren Ruhestunden mit mir und Eufranor über die Unterhaltung lustig macht, die ihr so viele verzauberte Gecken, Thoren und Narren von allen Altern, Ständen, Karaktern und Figuren auf ihre eigene Kosten verschaffen; während diese vielleicht über die Thörin lachen, die das eitle undankbare Vergnügen, ihre Liebhaber mit weit offnen Schnäbeln in die leere Luft schnappen zu sehen, theurer erkauft, als eine andere an ihrer Stelle sich dafür bezahlen lassen würde jedermann zufrieden nach Hause zu schicken. Übrigens muß ich ihr nachrühmen, daß sie in der Kunst kleine Gunsterweisungen zu vervielfältigen und weit über ihren wahren Werth auszubringen, eine unübertreffliche Meisterin ist. Wäre sie so gewinnsüchtig und raubgierig, als sie im Gegentheil freygebig und verschwenderisch ist, wahrlich mit diesem einzigen Talente könnte sie die reichste Person auf dem ganzen Erdboden seyn. Über den ungefügigen Antipater hat sie endlich ihre Partie wie eine weise Frau genommen. Sie bemerkt jetzt sein Daseyn nur selten; wenn es geschieht, beträgt sie sich eben so unbefangen und verbindlich gegen ihn wie gegen jeden andern, scheint sich aber, so oft sie ihm etwa ein paar Worte sagt, nicht zu erinnern, ihn jemahls zuvor schon gekannt zu haben.

Nach allem, was du bisher gelesen hast, lieber Kleonidas, ist es wohl überflüssig, dir zu sagen was aus meinem Anschlag auf die schöne Lais geworden ist. Ich komme mir jetzt selbst mit meiner leichtgläubigen Treuherzigkeit gewaltig lächerlich vor, und gelobe der weitherrschenden Afrodite Pandemos und allen ihren Grazien, mich in meinem Leben nie wieder so schwer an ihnen zu versündigen, um aus einer Lais, und wenn sie noch liebenswürdiger wäre als diese, eine – gute ehrliche Hausfrau machen zu wollen. Alles ist nun wieder zwischen uns wie es seyn soll, und wie es auf ihrer Seite immer war. Aber, wiewohl ich die Hoffnung, sie jemahls nach meiner Idee glücklich zu sehen, auf ewig aufgebe, so erneuere ich doch zugleich den Schwur, so lange ich athmen werde ihr Freund zu bleiben. Da ihr mit dem Mehr, was ich für sie zu thun fähig gewesen wäre, nicht gedient ist, so ist dieß das Wenigste was ich ihr schuldig bin.

Um dir eine Probe zu geben, wie wir uns in den zwey ersten Dekaden, so lange unsre Gesellschaft noch klein und auserlesen war, zu unterhalten pflegten, schicke ich dir die Abschrift eines großen Briefes an unsern Freund Eurybates, der in diesem Jahr einer von den sechs Thesmotheten von Athen ist, und, dieser Würde wegen, des Vergnügens den schönsten Theil des Jahres in Ägina zuzubringen entbehren mußte. Dieser lege ich noch die Abschrift einer großen Epistel bey, die ich von Lais, kurz vor unsrer Zusammenkunft in Ägina, erhielt. Sie enthält die sonderbare Geschichte einer von ihr an einem jungen Aspendier verrichteten Wunderkur; eines von den Abenteuern, die nur ihr begegnen, und woraus sich keine andere so wie sie zu ziehen wüßte.

In drey Tagen kehre ich nach Athen zurück, mit einer Art von dunkelm Vorgefühl, daß ich – zum letzten Mahl in Ägina gewesen bin.


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