Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXIII.
Lais an Ebendenselben.

Wenn eine Frau die Neugier eines Mannes geflissentlich erregt, so macht sie sich dadurch anheischig, sie zu befriedigen. Nicht wahr? Ihr andern nehmt das für eben so gewiß, als ob sie sich mit Brief und Siegel dazu verbindlich gemacht hätte, und – ihr habt Recht. Ich säume also nicht, lieber Aristipp, dir vor allen Dingen begreiflich zu machen, wie ich unter den großen Ahorn am Quell des Ilissus gerathen bin.

Meine Zurückkunft nach Korinth erneuerte die Ansprüche zweyer oder dreyer junger Eupatriden, die keinen schlimmen Handel zu treffen glauben, wenn sie sich mit dem Eigenthum meiner kleinen Person ein gesetzmäßiges Recht zu dem Nachlaß meines alten Patrons erkaufen könnten, der ihnen überaus gelegen käme, die Lücken ihrer verpraßten Erbgüter wieder auszufüllen. Weil ich alles gern auf eine decente Art mache, so dulde ich die Bewerbungen dieser spekulativen Köpfe, ohne sie weder aufzumuntern noch abzuschrecken; und hätte sich noch ein vierter gefunden, dessen Umgang etwas mehr Interesse für mich gehabt hätte, so möchte ich den Isthmus von acht oder neun Monaten, der mich von Ägina trennt, noch erträglich gefunden haben. – Ihr seyd so eitle Geschöpfe, ihr andern, daß ich dirs vielleicht nicht gestehen sollte; aber da du es doch von selbst errathen hättest, will ichs lieber frey bekennen, daß ich dich, bevor die sieben ersten Tage vorbey waren, schon lebhafter vermißte als ich mir selbst zugetraut hätte. Meine Liebhaber hatten freylich, nach der lästigen Unverdrossenheit ihrer Aufwartungen zu urtheilen, keine lange Weile bey mir; aber dafür machten sie mir deren so viel, daß ich des albernen Spiels endlich überdrüssig ward. Nein, sagte ich, es ist nicht länger auszuhalten; Aristipp läßt mich sitzen und schaukelt sich zwischen den Cykladen herum. Wie wenn ich ihm nachreiste? – Nachreisen? – Pfuy! das sähe ja gleich so aus, als ob eine verlaßne Ariadne ihren Ungetreuen verfolgen wollte? Nein, nicht nachreisen, aber reisen will ich, und zwar nach Athen, um, während er sich auf den Schauplätzen alter Götter- und Heldenmährchen herum treibt, seine Stelle bey dem weisen Sokrates einzunehmen. Gedacht, gethan! Es wird eingepackt, angespannt, ich setze mich mit meinen Grazien (wie du sie zu nennen pflegtest) in den Wagen und rolle davon, von drey wohl bewehrten Dienern zu Pferde begleitet, wiewohl die Landstraße zwischen Korinth und Athen nicht mehr so unsicher ist wie zu Theseus Zeiten. Ich verweile mich etliche Tage zu Megara, wo ich Geschäfte mit einem alten Gastfreund des Leontides abzuthun hatte, setze meine Reise fort, und lange an einem schönen Abend in einiger Entfernung von Athen auf einem mit Bäumen und Gebüschen bekränzten Hügel an, dessen Anmuth mich und meine Nymfen zum Absteigen einladet. Ich befehle meinen Leuten langsam fortzufahren, und mich bey einem gewissen Tempel, der an unserm Wege liegt, zu erwarten. Kaum sind wir auf dem weichsten Rasen ein paar hundert Schritte vorwärts gegangen, als ein prächtiger Ahorn von ungewöhnlicher Größe und Schönheit unsre Augen auf sich zieht, neben welchem in kleiner Entfernung eine kristallhelle Quelle, zwischen Rosen und Lorberbüschen rieselnd, unvermerkt zu einem Bach wird, der den durchgehenden kaum die Knöchel benetzt.Einem jeden, der den Fädrus des Plato im Original oder in der neuesten Übersetzung (von dem Herrn Grafen Friedrich Leopold zu Stollberg) gelesen hat, muß sogleich in die Augen springen, daß hier von keinem andern Ahorn die Rede seyn könne, als von dem, der durch die in seinem Schatten vorgefallne Unterredung zwischen Sokrates und dem schönen Fädrus einer der berühmtesten Bäume in der Welt geworden ist; und so hätte sichs durch ein sonderbares Spiel des Zufalls gefügt, daß die schöne Lais ihre erste Bekanntschaft mit Sokrates (um dessentwillen sie die Reise nach Athen unternahm) gerade unter diesem Ahorn an eben dem Abend, da jenes berühmte Gespräch vorgefallen, gemacht hätte. Unglücklicher Weise stößt sichs (wenn wir auch andere kleine Zweifel nicht achten wollen) an einen topografischen Umstand, der diese Zusammenkunft unmöglich zu machen scheint. Der besagte Ahorn nehmlich stand ganz nahe an dem kleinen Bach Ilyssus, der aus dem Berg Hymettus ostwärts von Athen entspringt; Lais aber kam von Megara und Eleusis auf dem entgegen gesetzten Wege her, und hätte, ohne irgend einen denkbaren Grund, einen Umweg von mehreren Meilen nehmen müssen, um bey dem Ahorn, unter welchem Sokrates zufälliger Weise saß, vorbey zu kommen. Daß entweder sie selbst oder Plato in der Angabe des Orts so gröblich sich geirrt haben sollte, läßt sich um so weniger annehmen, da beide in der Bezeichnung desselben genau zusammen stimmen. Ich sehe also weder wie dieser Knoten, wofern unsre Aristippische Briefsammlung echt seyn sollte, aufgelöset, noch wie der Urheber derselben, falls sie erdichtet ist, von dem Vorwurf einer groben Unwissenheit oder Nachlässigkeit frey gesprochen werden könnte. Das einzige Mittel aus dieser Schwierigkeit herauszukommen, wäre, wenn der geneigte Leser sich gefallen lassen wollte, den Ahorn sammt dem Ilyssus und dem Berg Hymettus in Gedanken auf die Westseite vor Athen an die Straße von Eleusis zu versetzen: eine Gefälligkeit, die man ihm freylich, wofern er sich nicht aus gutem Willen dazu bequemt, nicht wohl ansinnen kann, ob sie gleich im Grunde nicht mühsamer wäre, als wenn Merkur und Charon beym Lucian, durch die magische Kraft etlicher Homerischer Verse den Ossa auf den Olymp, den Pelion auf den Ossa, und zuletzt noch gar den Oeta und den Parnaß auf den Pelion thürmen, um sich einen tauglichen Standpunkt zur Übersicht des Erdkreises zu verschaffen. Ein rüstiger, wiewohl glatzköpfiger Alter, an Gestalt und Gesichtsbildung, wie man die Silenen abzubilden pflegt, und ein schöner zum Manne heranreifender Jüngling, beide unbeschuht, der Alte nur mit einem kurzen hier und da ausgefaserten Mantel, der andere weniger spärlich und beynahe zierlich bekleidet, sitzen auf einer Rasenbank am Fuß des Ahorns, und scheinen, in einem lebhaften Gespräche begriffen, uns nicht eher gewahr zu werden, bis wir, völlig aus dem Gebüsche hervortretend, kaum noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt sind. Jetzt erblicken sie uns, stutzen, flüstern einander etliche leise Worte zu, und sehen aus, als ob irgend eine magische Gewalt es ihnen unmöglich mache aufzustehen und sich zu entfernen. Wir waren alle vier zwar so leicht, wie es die Hitze des Tages erforderte, aber (was sich ohnehin versteht) sehr sittsam und einfach gekleidet, und es begreift sich, daß der unerwartete Anblick vier solcher Figuren wie wir, an einem so einsamen und dichterischen Orte, etwas auffallendes und beynahe wunderbares für sie haben mußte. Ich gehe langsam auf sie zu, grüße sie, und frage, weil mir nicht gleich eine andere Einleitung beyfallen will, ob dieß der nächste Weg nach Athen sey? Mir däuchte, als ob sie sich durch diese Frage merklich erleichtert fühlten; denn ich wollte wetten, der alte Herr, der etwas abergläubisch seyn soll, würde verlegen gewesen seyn, wie er uns anreden müsse, um der Sache weder zu viel noch zu wenig zu thun. Nun übersah er mich aus seinen großen weit hervorstehenden Augen vom Kopfe bis zu den Füßen, und erwiederte in einem freundlichen Tone, wir könnten die Stadt auf keinem Wege mehr verfehlen. Dieser Ort ist so anmuthig, sagte ich, daß wir uns, wenn es euch nicht zuwider ist, einen Augenblick zu euch setzen, und an euerm unterbrochnen Gespräch, wofern es keine Geheimnisse betrifft, Antheil zu nehmen wünschen. Beides, versetzte er, steht euch frey, wiewohl der Gegenstand, womit wir uns beschäftigten, wirklich eine Art von Geheimniß ist. An einem den Musen geheiligten Orte wie dieser, sind Personen wie ihr nie zu viel. Nicht wahr, junger Mann? Der Jüngling erröthete, sah ihn lächelnd an, und nickte Beyfall. Geheimnisse, erwiederte ich, an denen man die ersten besten Antheil nehmen lassen kann, müssen wenigstens sehr unschuldig seyn. Das eurige war vermuthlich ein filosofisches? DER ALTE. Und gehört ganz besonders unter euere Gerichtsbarkeit; denn es betraf Schönheit und Liebe. Da die Liebe sich doch nur an das Schöne hält, so suchten wir dahinter zu kommen, was denn eigentlich das Schöne sey. ICH. Und was fandet ihr? DER ALTE. Daß, wiewohl jedermann das Schöne liebt, doch vielleicht nicht Einer sich selbst oder andern zu sagen weiß, was es sey. ICH. Vielleicht ist es mit dem Schönen wie mit der Farbe, die jeder Sehende kennt und unterscheidet, wiewohl er nicht sagen kann, was Blau oder Grün ist. DER ALTE. Du meinst vermuthlich, jedermann kann sagen, dieses Kraut ist grün, diese Blume roth, diese blau; aber niemand kann sagen, was die Grüne, die Bläue, die Röthe sey? ICH. Es kann auch, dächte ich, niemanden viel daran gelegen seyn, ob ers sagen kann oder nicht. DER ALTE. Mit den Farben mag es immerhin diese Bewandtniß haben: aber was das Schöne betrifft, so möcht' es wohl gut, ja sogar nöthig seyn, sagen zu können, was es ist, damit wir immer sicher seyn könnten, nichts zu lieben als was wirklich und immer schön ist. ICH. Aber sollte dieß denn auch so nöthig seyn als du zu glauben scheinst? Verzeih, ehrwürdiger Unbekannter, wenn ich meine Meinung zu frey sage! DER ALTE. Ich ,werde die meinige eben so frey sagen, und so sind wir quitt. ICH. Man hat Beyspiele, daß auch Gegenstände, die entweder nie schön waren oder es zu seyn aufgehört hatten, leidenschaftlich geliebt wurden. DER ALTE. Gewiß! Aber diese Gegenstände werden dann geliebt, nicht weil sie häßlich, sondern weil sie, ungeachtet ihrer Häßlichkeit, dennoch liebenswürdig sind. Ich glaube nicht, daß jemahls ein Mensch war, dem ein Höcker etwas sehr liebreitzendes gedäucht hätte; aber daß eine höckerige Person demungeachtet sehr liebenswürdig seyn könne, ist wohl unläugbar. ICH. Nicht nur das; es giebt Leute welche behaupten, ein wahrer Liebhaber finde sogar den Höcker des Geliebten schön, und es soll wirklich solche bezauberte Virtuosen in der Liebe geben. DER ALTE. Was dir, schöne Dame, unbegreiflich ist; nicht wahr? DER JÜNGLING. Ich bekenne, daß ich einer von diesen Bezauberten bin. DER ALTE. Alles was du diesen Damen damit bewiesen hättest, wäre, daß es eine Liebe giebt, die eine Art von Wahnsinn ist. ICH. Sollte nicht jede wahre Liebe eine Art von Wahnsinn seyn? – Der Alte betrachtete mich, statt der Antwort, mit einem forschenden Blick; aber der Jüngling platzte heraus: Wenn dieß ist, schöne Fremde, so brauchst du nur zu reisen, um alle unsre Städte, vom Tänaros bis zum Athos, in lauter Irrenhäuser zu verwandeln. ICH. Wenn es wahr wäre, daß die Wahnsinnigen die glücklichsten unter den Menschen sind, so hättest du mir etwas sehr verbindliches gesagt. Wer wollte nicht wünschen, alle Menschen glücklich machen zu können? DER ALTE. Das wären sie schon lange, wenn Wahnsinn glücklich machte. Aber noch hab' ich keinen Menschen gesehen, der sich gewünscht hätte, wahnsinnig zu seyn. ICH. Vermuthlich auch keinen Liebhaber, der es zu seyn geglaubt hätte, wiewohl sie es alle sind. DER ALTE. Ich hätte große Lust, dir zu beweisen, daß du dich sehr an der Liebe versündigest; aber der Tag neigt sich, und es ist noch eine ziemliche Strecke von hier bis zur Stadt. ICH. Ich habe einen Wagen, der auf mich wartet. Er hat viel Raum, und doch darf ich es wohl schwerlich wagen, euch einen Platz darin anzubieten? DER ALTE. Wenn du einen Triumfeinzug in Athen halten willst, so wäre dieß das kürzeste Mittel; du würdest unfehlbar in wenig Augenblicken die ganze Stadt vor, neben und hinter dir her haben. Wir beide sind, wie du siehest, Fußgänger und ganz dazu eingerichtet. Aber, wenn die Frage nicht unbescheiden ist, gedenkst du dich in Athen zu verweilen? ICH. Der Zweck meiner Reise ist sehr einfach. Ich wollte von allem, was in Athen zu sehen ist, nur einen einzigen Mann kennen lernen, und der Zufall hat mich mehr als ich hoffen durfte begünstiget. Lebet wohl!

Und so eilte ich mit der Leichtfüßigkeit einer Waldnymfe von dannen, bestieg meinen Wagen wieder, und ließ meine beiden Bewunderer, vermuthlich sehr ungewiß, was sie aus mir machen sollten, bald so weit hinter mir, daß ich sie völlig aus den Augen verlor.

Wie gefällt dir dieser Anfang, Aristipp? Er ist, wie du nicht zweifeln wirst, mit großen Begebenheiten schwanger, und wenn du mich recht schön bittest – oder auch nicht bittest, so habe ich große Lust, dich mit der ganzen Geschichte meiner filosofischen Mystificierung in Athen zu beschenken. Ich bin nicht eitel genug mir im Ernst mit der einzigen Eroberung zu schmeicheln, die mich hoffärtig machen könnte – der Mann sieht mir zu hell aus seinen Delfinsaugen – Aber daß er die meinige gemacht hat, es mag ihm nun schmeicheln oder nicht, das hat seine Richtigkeit.


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