Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXIV.
Aristipp an Lais.

Die gute Gesellschaft, die man gewöhnlich bey Hippias findet, hat sich seit kurzem um eine sehr interessante Person vermehrt. Sie nennt sich Timandra, und war die Gesellschafterin und Geliebte des schönen Alcibiades, in der letzten Zeit des herumirrenden Lebens dieses berüchtigten Abenteurers. Da ich so glücklich bin, eine Dame zu kennen, neben welcher jede andere erröthen wurde, wenn man sie schön nennen wollte, so sage ich bloß, daß diese Timandra eine der liebenswürdigsten Personen ist, die ich noch gesehen habe; und was sie in meinen Augen auch achtungswürdig macht, ist die Anhänglichkeit und Treue, mit welcher sie jenem im Guten und im Bösen unübertrefflichen Manne, auch im Unglück und bis in seinen Tod zugethan blieb.Was Plutarch am Schlusse seines Alcibiades von dieser Timandra sagt, paßt sehr gut zu der vortheilhaften Schilderung, welche unser Aristipp von ihr macht. Daß sie aber (wie eben dieser Autor im Vorbeygehen als etwas ungewisses erwähnt, der Scholiast des Aristofanes aber, wenn anders Epimandra nicht die rechte Lesart ist, positiv versichert) die Mutter der Lais von Hykkara gewesen, scheint dadurch schon hinlänglich widerlegt zu seyn, daß Timandra in diesem Falle wenigstens über vierzig Jahre gehabt haben müßte, als sie mit dem Alcibiades während seiner Verborgenheit in einem Frygischen Dorfe lebte. Die Lais, welche eine Tochter der Timandra gewesen seyn soll, müßte also, wofern die Sage Grund hätte, eine von den spätern Laissen gewesen seyn, die diesen durch die erste Lais so berühmt gewordenen Nahmen, vielleicht der guten Vorbedeutung wegen, angenommen haben mögen. Die unaffektierte Wärme, womit sie noch jetzt von ihm spricht, scheint die Aufrichtigkeit der Trauer zu bestätigen, worin sie etliche Jahre nach seinem Tode in einsamer Verborgenheit zugebracht haben soll. Nun hat sie sich mit dem, was sie aus den Trümmern der unermeßlichen Reichthümer ihres unglücklichen Freundes retten konnte, nach Athen begeben, wo sie sehr eingezogen lebt, und nur mit vieler Mühe vermocht werden kann, zuweilen in einer ausgesuchten kleinen Gesellschaft die Tafel des Hippias zu zieren; der (wenn ich dirs nicht schon gesagt habe) in seinen Talenten und in seiner Gewandtheit Mittel gefunden hat, sich zu einem der reichsten Sofisten in der ganzen Hellas zu machen, so wie er, mit deiner Erlaubniß, einer der ersten Virtuosen in der Kunst gut zu essen ist. Er hat der schönen Timandra Anträge gethan, die in ihrer Lage kaum zu verwerfen wären, wenn Hippias auch weniger von allem dem besäße, was sie über den Verlust eines Alcibiades trösten kann. Noch scheint sie unentschlossen; doch zweifle ich nicht, daß sie sich überreden lassen wird, uns auf der Reise nach Syrakus Gesellschaft zu leisten. Du siehst also, liebe Laiska, falls du etwa einen kleinen Anschlag auf meinen Reisegefährten gemacht haben solltest, daß du eine Rivalin zu bekämpfen haben wirst, die sich dermahlen, wo nicht seines Herzens (und rathe warum?) doch gewiß seines Geschmacks und seiner Fantasie gänzlich bemächtigt zu haben scheint.

Kleombrotus dauert mich. Er hat, als er hörte, daß wir nach Korinth gehen würden, alles versucht, um von der Gesellschaft zu seyn: aber Hippias, der mit einer natürlichen Antipathie gegen alle Arten der Schwärmerey und Schwärmer geboren ist, konnte nicht bewogen werden, seine Einwilligung dazu zu geben. Die Noth des armen Jungen stieg endlich so hoch, daß ich, wenn wir allein waren, sein Geheimniß schon mehr als Einmahl, unter dem heftigsten Grimmen und Würgen, sich schon ganz nah an seine Lippen hinauf arbeiten sah; aber immer hatte er doch Stärke genug es mit Gewalt wieder hinunter zu drücken. Da ich ihm nun geholfen wissen wollte, so sann ich so lange auf Mittel und Wege, bis mir endlich einfiel, ihn mit meinem edeln Freund Eurybates bekannt zu machen. Eurybates ist ein leidenschaftlicher Liebhaber der Dichter und der Kunst ihre Werke gut zu lesen; und Kleombrotus, außerdem daß er selbst Dithyramben von der ersten Stärke macht, deklamiert so vortrefflich, daß er es beynahe mit dem großen Rhapsodisten Ion aufnehmen könnte. Diese Talente haben ihn bereits in so hohe Gunst bey Eurybates gesetzt, daß ich gewiß bin, er wird ihn künftigen Frühling mit nach Ägina nehmen, und die beiden liebenden Seelchen werden sich dort unter deinem Schutze wieder – nach Herzenslust anschauen, durchdringen, und in Eine hermafroditische Seele zusammen fließen können. Kleombrotus ist von seinem neuen Freunde ganz bezaubert. – Ich bedaure nur, sagte ich diesen Morgen mit der arglosesten Miene zu ihm, daß ihr euch so bald wieder werdet trennen müssen; denn Eurybates wird den Frühling in Ägina zubringen. – Was thut das? versetzte Kleombrotus; warum sollt' ich ihn nicht nach Ägina begleiten können? – Das ist wahr, erwiederte ich, wenn dich deine Anhänglichkeit an Sokrates und Plato nicht zurück hält. – Du siehst, Laiska, ich wollte mir nur eine kleine Kurzweil mit dem verschwiegenen Liebhaber machen; aber meine letzten Worte verdarben alles. Sie fielen ihm so stark auf die Brust, daß er plötzlich den Kopf hängen ließ, und mit einem tiefen Seufzer traurig fortschneckte. Ich bin gewiß, es wird ihn harte Kämpfe kosten, bis ihn die Leidenschaft überzeugt haben wird, daß, in der Nothwendigkeit zwischen beiden zu wählen, Musarion doch den Vorzug haben müsse.

Hippias hat endlich über die Bedenklichkeiten der schönen Wittwe des Alcibiades gesiegt, und unsre Abreise ist auf einen der nächsten Tage angesetzt. Wenn uns der Gott der Winde nicht zuwider ist, hoffe ich noch vor dem Eintritt des nächsten Vollmonds, zur Feier unsrer ersten Zusammenkunft in Korinth, den Grazien mit dir zu opfern.


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