Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXII.
Aristipp an Lais.

Es bedarf wohl keiner Betheurung, schöne Lais, daß wenn ich meiner Neigung Gehör gäbe, Kleonidas nicht ohne mich nach Milet zurückreisen sollte; auch schmeichle ich mir, nach dieser neuen Probe von Selbstüberwindung für einen tapfern Mann bey dir zu gelten. Ich würde nicht wenig stolz darauf seyn, wenn ich mir verbergen könnte, daß das Vergnügen, in meinen eigenen Augen einen desto größern Werth zu haben, auch mit in Rechnung gebracht werden muß, und daß bey allen meinen Aufopferungen am Ende doch niemand gewinnt als ich selbst. Wird nicht die Freude des Wiedersehens um so überschwänglicher seyn, je länger sie aufgespart wird?

Ich habe hier unvermuthet Gelegenheit gefunden, mich in einigen Wissenschaften zu üben, die mit in meinen Plan gehören, und einem Manne, der nach der möglichsten Ausbildung trachtet, nicht nur zur Zierde gereichen, sondern der Seele selbst einen höhern Schwung und eine ganz andere Ansicht der Natur und des großen Ganzen, in welches wir eingefugt sind, geben, als diejenige an welche wir durch ununterbrochnes Herumtreiben in dem engen Kreise des alltäglichen Lebens unvermerkt gewöhnt werden. Ich liebe, wie du weißt, die Vielseitigkeit; ich kann zu gleicher Zeit die verschiedensten Dinge treiben, und mich mit den ungleichartigsten Menschen so gut vertragen, daß jeder mich für seinesgleichen, oder wenigstens für ein Subjekt von ganz guter Hoffnung gelten läßt. Hippias, bey welchem ich gewöhnlich den Abend zubringe, würde nicht begreifen, wie ich so viele Zeit mit Pythagoräischen Fantasten verderben könne, wenn er nicht glaubte, es geschehe bloß um sie auszuhohlen und mich am Ende desto lustiger über sie zu machen: diejenigen hingegen, die er Fantasten nennt, wissen sich meinen Umgang mit Hippias nicht anders zu erklären, als durch die Voraussetzung, daß ich hinter alle seine Sofistenkünste und Blendwerke zu kommen suche, um ihn und seinesgleichen zu seiner Zeit mit desto besserm Erfolge bekämpfen zu können. Das Wahre ist indessen, daß ich von den Pythagoräern rechnen und messen lerne, und bey Hippias mich dem Vergnügen einer freyen genialischen Unterhaltung überlasse, die, ungeachtet ihrer anscheinenden Frivolität, für einen, der alles an seinen rechten Ort zu stellen weiß, immer lehrreich und nützlich ist.

Du wirst finden, liebe Lais, daß Kleonidas durch seine zeitherige kleine Reisen unter den Griechen viel gewonnen hat. Mit seinen herrlichen Anlagen bedurft' es nur einiger äußern Veranlassungen, um sich zusehens zu entwickeln und auf einmahl als ein vollendeter Mensch da zu stehen. Ich rechne darauf, daß er Dich meine Abwesenheit so wenig bemerken lassen wird, daß ich vielmehr bey jeder andern, als bey dir, Gefahr liefe gänzlich vergessen zu werden.


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