Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXIV.
Aristipp an Learch.

Lais ist dazu gemacht, in allem groß und außerordentlich zu seyn. Von ihrer ersten Jugend an, mit der unbeschränktesten Macht, sich ihren Neigungen zu überlassen und immer von ganzen Schwärmen von Anbetern umgeben, unter welchen gewiß nicht wenige sehr liebenswürdig waren, sogar im vertrautesten Umgang mit einigen von diesen eine so lange Zeit sich immer frey erhalten zu haben, war vielleicht ohne Beyspiel. Als aber diese Leidenschaft, deren Sie selbst sich immer für unfähig gehalten hatte, endlich doch noch Meister über die Widerspänstige ward, war nichts anders zu erwarten, als daß das Seelenfieber (wenn ich es so nennen kann) wovon sie begleitet ist, von der heftigsten Art seyn würde. Es scheint es sey mit der Liebe wie mit gewissen Krankheiten, die jeder Mensch Einmahl in seinem Leben gehabt haben muß, und die desto unschädlicher sind, je früher man davon befallen wird. Ich erinnere mich noch sehr wohl, daß ich in meinem fünften oder sechsten Jahr in eine meiner Basen, ein Kind von drey bis vier Jahren, sterblich verliebt war, und daß man, da sie im fünften starb, die größte Mühe hatte, meiner Verzweiflung Einhalt zu thun und mich mit dem Leben wieder auszusöhnen. Vermuthlich habe ich es dieser voreiligen Liebschaft zu danken, daß ich bis auf den heutigen Tag von dieser Art von Fieber nie wieder, wenigstens nicht gefährlich noch auf lange Zeit. befallen worden bin.

Wenn denn also die gute Lais einmahl wenigstens in ihrem Leben sich in ganzem Ernst verlieben mußte, so sehe ich nicht, warum der schöne und schlaue junge Thessalier nicht eben so gut dazu hätte taugen sollen als ein anderer; im Gegentheil, mich dünkt ich begreife vermittelst der bekannten Aristofanischen Hypothese recht wohl, warum gerade er, und kein anderer, der Einzige war, welcher den so lange in ihrem Busen verborgenen Krankheitsstoff entwickeln konnte. Ich glaube wahrgenommen zu haben, daß die heftigste Art von Liebe diejenige ist, da man, ohne es sich deutlich bewußt zu seyn, sich selbst, oder gleichsam ein zweytes aus dem Gegenstand in das unsrige hinein gespiegeltes und mit ihm zusammenfließendes Ich, in dem Geliebten anbetet. Sollte dieß nicht nahezu der Fall mit unsrer, immer ein wenig zu viel in sich selbst verliebt gewesenen, Freundin seyn? Wenn ich alle karakteristischen Züge des jungen Pausanias aus deiner Erzählung zusammen nehme, so scheint mir eine sehr entschiedene Ähnlichkeit der Naturen zwischen Ihr und Ihm vorzuwalten. Ich finde an beiden ungefähr dieselben Naturgaben, eine lebhafte Einbildungskraft, Witz, Gewandtheit und Geschmeidigkeit des Geistes, mit einer seltnen Schönheit und allem übrigen was beym ersten Anblick die Augen verblendet und die Neigung besticht; aber auch dieselben Leidenschaften, Fehler und Unarten: denn beide sind eitel, flüchtig, rasch, leichtsinnig, stolz, eigenwillig, prachtliebend und verschwenderisch, und in beiden bringen diese Eigenschaften ziemlich gleiche Wirkungen hervor. Den ganzen Unterschied (außer dem, was auf Rechnung der Verschiedenheit des Geschlechtes kommt) machte die Erziehung und das Glück. In Ihr wurden alle Naturanlagen von früher Jugend an entwickelt, bearbeitet, und durch einen seltnen Zusammenfluß glücklicher Umstände ausgebildet, abgeglättet, und gleichsam mit einem glänzenden Firniß überzogen: da die seinigen hingegen, aus Mangel an gehöriger Kultur und günstigen Glücksumständen, einen großen Theil von der Centaurischen Roheit behalten mußten, wodurch sich die Thessalier, im Durchschnitt genommen, von andern feiner gebildeten Griechen nicht zu ihrem Vortheil auszeichnen. Aber diese zufällige Verschiedenheit konnte die natürliche Wirkung des sympathetischen Instinkts nicht aufhalten; die schöne Lais spürte ihre Hälfte auf den ersten Anblick aus; und nun erfolgte alles, wie es uns Plato, im Nahmen des Aristofanes, (als des ersten Erfinders der Doppelmenschen) so unverschleiert beschrieben hat, daß Diogenes der Cyniker selbst nicht natürlicher von der Sache hätte sprechen können.

Aber wozu diese Erörterung? Du erinnerst sehr wohl, bester Learch, daß es hier nicht um eine begreifliche Erklärung des Geschehenen zu thun ist, sondern um ein Mittel größeres Unheil zu verhüten. Noch ist nicht alles verloren; und wofern auch Lais (wie ich ihr's zutraue) sich in den Kopf setzen sollte, ihrer ersten Liebe bis in den Tod getreu zu bleiben: so bin ich nicht ohne Hoffnung, daß Pausanias, in einen Kreis von edeln und guten Menschen versetzt, selbst noch ein besserer Mensch, und dessen, was Sie für ihn thut, würdiger werden könnte. Der beygelegte kleine Brief, um dessen Übergabe ich dich bitte, enthält den einzig möglichen Versuch, den ich machen kann; wiewohl mir ich weiß nicht was für eine Ahnung sagt – was ich weder denken noch aussprechen mag.

Es wird dir zugleich, nebst einem kleinen Xenion für dich selbst, ein mit Gold beschlagenes Kistchen von Ebenholz für die schöne Lais zugestellt werden. Es enthält einen Halsschmuck von rundgeschliffnen Granaten und Hyacinthen, und ein daran hängendes mit Saffieren und Rubinen besetztes goldnes Bruststück, worauf Kleone den Amor Anakreons gemahlt hat, wie er von drey Musen mit Rosenkränzen gebunden der Schönheitsgöttin ausgeliefert wird. Du wirst, wenn mich meine Vorliebe für alles, was aus Kleonens Händen kommt, nicht sehr verblendet, finden, daß sie in solchen kleinen Gemählden mit Parrhasius selbst um den Preis streiten könnte. Das Ganze ist ein Gegengeschenk von Musarion und Kleone für ein beynahe zu kostbares Geschenk, das Lais ihnen vor einiger Zeit zum Andenken überschickte, und das, wenn wir es annehmen sollten, mit keinem geringern erwiedert werden konnte.


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