Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXVII.
Aristipp an Lais.

Ich glaube wirklich, daß ich dir jüngst in einer Art von Fieber geschrieben habe, Laiska. Was ich schrieb, mögen die Götter wissen! Ich weiß nichts weiter davon, als daß in den ersten acht Tagen nach der Abfahrt von Korinth die Erinnerung an dich mein ganzes Wesen dermaßen ausfüllte, daß keine andre Vorstellung Platz neben ihr finden konnte. Wenn du glaubst, daß ein solcher Zustand ziemlich nah an Wahnsinn grenze, so bin ich völlig deiner Meinung; oder vielmehr, um entschiedener Wahnsinn zu werden, hätte er vielleicht nur noch acht Tage dauern müssen. Indessen war's doch schon ein gutes Zeichen, daß mir nicht so ganz wohl bey der Sache war, als wenn ich Kleombrotus gewesen wäre. Ich stand schon im Begriff mit einem Arzt davon zu sprechen, als wir, zu gutem Glücke, von Hermokrates, einem der angesehensten Männer der Stadt, zu einem großen Gastmahl eingeladen wurden. Die Gesellschaft war auserlesen, die Bewirthung (um alles mit Einem Worte zu sagen) Sicilianisch; und wie die Fröhlichkeit nach und nach rauschender ward, gingen auch die großen Becher immer fleißiger herum. Ich schonte den herrlichen Syrakuser unsers reichen Wirthes nicht, und siehe da! am folgenden Morgen, als ich meinen kleinen Rausch ausgeschlafen hatte, stand ich so heiter, unbefangen und lichtstrahlend vom Lager auf, als Helios aus den Armen der Thalassa.

Du siehest, liebe Laiska, daß man an dem Gehirn eines echten Sokratikers nicht so leicht verzagen darf. Indessen sind wir, wie gesagt, über das Gefährliche der Nymfolepsie, über die du, Grausame, mich noch gar bespotten konntest, gänzlich einverstanden; nur gegen die Folge, die du daraus ziehest, hab' ich eine starke Einwendung. Der Satz, worauf du deinen Schluß gründest, mag in vielen Fällen gelten; aber auf die Liebe läßt er sich nicht anwenden. Mit dieser Leidenschaft ist es (übrigens ohne Vergleichung) wie mit gewissen Krankheiten, wo eine kleine Gabe eben derselben Arzney das Übel vermehrt, eine starke hingegen die trefflichste Wirkung thut. Auf diese Gefahr wag es also immerhin mit mir, schöne Hebe! Vergiß daß ich nur ein Sterblicher bin, reiche mir die Nektarschale so voll wie einem Olympier, und du wirst Wunder sehen!

Timandra, die dich – liebt wäre vielleicht zu viel gesagt, mehr als von irgend einem schönen Weibe gefordert werden kann – aber, die dich neidlos bewundert, ist auf dein Andenken und deine Theilnehmung stolz. Sie scheint sich in ihrer neuen Lage wohl zu gefallen, und mein Egoist lebt in einer sehr vergnüglichen Ehe mit ihr. Er kann sich keine bessere Hausfrau wünschen, sie keinen Mann, bey dem sie es in allen Stücken besser hätte; so daß ich nicht sehe, warum ihre Verbindung nicht bis auf den letzten Faden halten sollte. Timandra hat alles, bis zum Überfluß, was seine Sinnlichkeit befriedigen kann; dabey ist sie sanft, munter, und immer frohen Sinnes, ohne Laune, Eigensinn und Eifersucht; steht seinem Hauswesen mit Treue und Klugheit vor, kommt allen seinen Wünschen entgegen, versteht seine leisesten Winke, ist ihm nie beschwerlich, und erlaubt ihm stillschweigend, so viele kleine Seitensprünge zu machen als er Lust und Gelegenheit hat. Wie geneigt Hippias seyn mag, ihr gleiche Freyheit nachzusehen, weiß ich nicht, und werde ihm schwerlich jemahls Ursache geben sich darüber zu erklären. Indessen erkenne ich mit gebührendem Danke, daß du meiner Fantasie einen freyern Spielraum verstattest als sie selbst verlangt; ich gedenke einen so bescheidenen Gebrauch von deiner Großmuth zu machen, daß Sokrates selbst nicht mehr von seinen Jüngern fordern zu dürfen glaubt.

So viel ich bis jetzt zu sehen Gelegenheit hatte, scheint die öffentliche Meinung der Schönheit der Syrakuserinnen nicht zu viel zu schmeicheln. Vor wenig Tagen gab mir eines ihrer vornehmsten Feste Gelegenheit, mich mit meinen eigenen Augen davon zu überzeugen. Der lange Zug von jungen Mädchen, (den Töchtern der angesehensten und begütertsten Bürger) die in zierlich gefalteten, bis zu den schönen Knöcheln herabfließenden weißen Gewändern, Blumenkränze um das halb aufgewundne, halb auf die Schulter fallende volllockichte Haar, und den leicht umflorten Busen mit reich gestickten Bändern umgürtet, Paar und Paar mit leichtem Schritt und edelm Anstand dem Dianentempel zuwallten, alle in der ersten Entknospung der Jugend und Schönheit, keine die nicht einem Skopas zum Modell einer Grazie hätte dienen können – ich gestehe dir, Laiska, es war ein entzückender Anblick! Und als sie sich nun im feyerlich-ernsten Tanz, Hand in Hand, gleich einem lebendigen Blumenkranz um den Opferaltar herum wanden, in den reinsten Silbertönen einen Pindarischen Hymnus aus ihren Nachtigallkehlen anstimmend, – wahrlich ein vorbeyschwebender Gott hätte sich (wie der Dichter sagt) bey diesem Schauspiel verweilt! und nie dünkte mich einen solchen Triumf der weiblichen Schönheit und Anmuth gesehen zu haben. Das Auge irrte geblendet und alles Auswählens vergessend um den weit ausgedehnten Kreis dieser Zauberschwestern umher, unvermögend auf Einer zu verweilen, weil schon im nächsten Augenblick eine vielleicht noch schönere ihre Stelle eingenommen hatte, um sie im folgenden gleich wieder an eine eben so reitzende abzutreten. Du selbst, du Einzige, hättest auf einmahl mitten unter ihnen erscheinen müssen, um den Zauber zu vernichten, und hundert tausend Augen, die mit diesem lieblichen Reihen von mehr als hundert Grazien zugleich herum gedreht wurden, plötzlich an dich allein zu fesseln.


 << zurück weiter >>