Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Wenn ich dir alles zugebe, versetzte ich, was du mit vieler Scheinbarkeit von den drey Epochen der Religion unsrer Väter gesagt hast, was gewinnt sie dabey in ihrem dermahligen Zustande? Wir leben in einer vierten Epoche, wo kein gebildeter Mensch mehr an Götter glaubt die nie gewesen sind, und unsre eben so ungläubigen Priester, mit den reichen Einkünften, die jedem sein Gott verschafft, zufrieden, sich eher um alles andere bekümmern, als um den sittlichen Einfluß, den die Religion auf das Gemüth der Menschen haben könnte.

Es sollte mir nicht schwer seyn, dir beides streitig zu machen, erwiederte Demokritus: aber, wenn ich dir auch gestehe, daß mir gerade kein Priester beyfällt, den ich deiner Behauptung entgegen zu stellen wagen möchte; so ist doch die Anhänglichkeit des großen Haufens an den Glauben ihrer Vorältern noch immer so augenscheinlich, daß ich niemand rathen wollte, ihn auf die Probe zu setzen. Sogar unter den ersten Männern unsrer Zeit kenne ich mehr als Einen, der so stark als seine Großmutter an Orakel, Vögel und Opferlebern glaubt, vor einer Mondfinsterniß oder einer Doppelsonne wie vor einem Unglückszeichen erschrickt, und mit dem größten Ernst einem ganzen Senat oder den versammelten Befehlshabern eines Kriegsheers erzählt, was ihm diese Nacht geträumt hat. Macht dieß die Sache unserer Priester nicht besser, so beweiset es wenigstens: daß unser alter Volksglaube noch bey weitem nicht so unwirksam ist als du dir einzubilden scheinst; und ich ziehe daraus die Folge, daß es, sowohl für einzelne Personen als für den Staat selbst, gefährlich wäre, sich über diesen Punkt zu täuschen. So lange die Religion, die bey Errichtung der bürgerlichen Gesellschaft eines der stärksten Bande der Ordnung und Sittlichkeit war, in dieser Eigenschaft noch nicht alle Kraft verloren hat, soll sie, denke ich, von den Weisen geschont und geachtet werden; wie löblich und nöthig es auch übrigens ist, den Aberglauben durch kluge Verbreitung richtiger Begriffe von der Natur der Dinge nach und nach dermaßen zu entkräften, daß er, wie die Spulwürmer durch gewisse Arzneyen, zuletzt unvermerkt und ohne Beschwerde, gleichsam von selbst von den Menschen abgeht. Du erlaubst mir alles, erwiederte ich, indem du mir das Recht zugestehst gegen den Aberglauben zu arbeiten. Denn was ist unsre Volksreligion anders als der gröbste und lächerlichste Aberglaube? Ich läugne nicht, daß er noch wirksam ist; aber daß er den wohlthätigen sittlichen Einfluß, den er ehmahls gehabt haben soll, noch in unsern Tagen habe, das ist was ich ihm gänzlich abspreche. Was hilft z. B. der Glaube an Zeus den Rächer des Meineides? Der ehrliche Mann schwört keinen falschen Eid, nicht weil er den Donner des Horkios fürchtet, sondern weil er ein ehrlicher Mann ist; und wer es nicht ist, sieht so viele Meineidige unangedonnert herumgehen, und findet überdieß bey den Priestern so viel Bereitwilligkeit ihn für die Gebühr mit Jupiter Horkios auszusöhnen, daß die Furcht vor seinen Donnerkeilen ihn keinen Augenblick zurück hält. Der noch immer im Schwange gehende Glaube an die Orakel, und die Vorbedeutungen die man aus den Eingeweiden der Opferthiere nimmt, ist, wenigstens auf Seiten unsrer bürgerlichen Obrigkeiten und Kriegsbefehlshaber, pure Heucheley, und kann also weder Gehorsam gegen göttliche Winke noch Zuversicht auf göttlichen Beystand wirken. Man hat schon lange Mittel gefunden, die Pythia sagen zu lassen was man will; oder ihre Aussprüche sind so geflissentlich räthselhaft und vieldeutig, daß man sie nach eignem Gefallen deuten kann; und wenn die Milzen und Lebern der Opferthiere nicht günstig sind, so schlachtet man so lange andre, bis die Vorbedeutung endlich nach Wunsch ausfällt. Demokritus behauptete: in den Händen kluger Regenten und Heerführer könne dieser Aberglaube, so lang' er noch seine Wirkung auf die Menge thue, in vielen Fällen den glücklichen Ausgang einer Unternehmung entscheiden, oder großes Unheil verhüten; und was ich ihm auch entgegen hielt, immer kam er auf den Grundsatz zurück: es sey unweislich gehandelt, ein durch die Länge der Zeit ehrwürdig gewordenes Institut zu vernichten, bevor man gewiß sey, etwas besseres an seine Stelle gesetzt zu haben. Ist das Bessere wirklich da, sagte er, so wird das Schlechtere von selbst fallen. Wer wird fortfahren wollen, in einem morschen, täglich den Einsturz drohenden Hause zu wohnen, wenn es nur auf ihn ankommt, ein bequemeres neugebautes zu beziehen? Aber ehe man sich Wetter und Winden unter freyem Himmel Preis giebt, behilft man sich lieber in einem baufälligen Hause, und stützt und flickt so lange daran als es gehen will.

Da es bey Streitigkeiten dieser Art beiden Theilen nie an Antwort fehlt, so erneuerten wir den Kampf bey jeder Gelegenheit, und Demokritus, der mir ernstlich wohl wollte, gab sich viele Mühe, mich zu bewegen, daß ich dem Gedanken, den Göttern und Priestern öffentlich den Krieg anzukündigen, auf immer Abschied geben möchte. Aber der Haß, den die Betrügereyen der letztern und der vielfache Mißbrauch ihres Einflusses auf den großen und kleinen Pöbel in mir angezündet hatten, war ein Feuer, das sich nicht lange heimlich im Busen herum tragen ließ; und kaum hatte ich mich von meinem weisern Freunde wieder getrennt, so warf ich die Larve, die zu meinem Zwecke bisher nöthig gewesen war, von mir, und zeigte mich überall in meiner wahren Gestalt. Alles was seine Warnungen über mich gewonnen hatten, war, daß ich Anfangs mit einiger Behutsamkeit zu Werke ging. Indem ich alle Arten von Aberglauben theils zu untergraben, theils geradezu lächerlich zu machen suchte, schonte ich wenigstens die Polias zu Athen, die Juno zu Argos und Samos, den Apollo zu Delfi, und Jupitern überall. Nirgends gelang mir dieß besser als zu Athen, wo der glückliche Erfolg des ungezügelten Muthwillens, womit Aristofanes Götter und Menschen dem Gelächter des Pöbels Preis gab, mich aufmunterte, mir größere Freyheiten heraus zu nehmen. Wirklich können die Athener, denen ein witziger Einfall über alles geht, viel mehr ertragen als andere Griechen, und so lange ich mich begnügte über Götter, Orakel und Orgyen nur zu scherzen, ließ man meine Einfälle für absichtlose Ergießungen einer komischen Laune gelten, wobey mehr Unbesonnenheit als böser Wille sey. Als ich aber immer kühner ward, und meine Lehrsätze und Meinungen, nicht nur in vertrautern Gesellschaften sondern sogar auf öffentlichen Versammlungsplätzen, in einem ernsthaften Tone zu behaupten anfing; geschah, was ich hätte voraussehen können, und was mir Demokritus mehr als einmahl vorher gesagt hatte. Ich bekam zwar einen Anhang von Jünglingen, für welche die bloße Kühnheit einer Filosofie, die sich über alle Vorurtheile hinwegsetzt, und auf das, was Andern das Ehrwürdigste ist, mit tiefer Verachtung herabsieht, schon die Kraft des vollständigsten Beweises hatte: aber gerade dieser Umstand verschlimmerte meine Sache in den Augen der Alten. Die Priester fingen an zu murren, und ehe ich mirs versah, erklärte sich beynahe ganz Athen gegen den Melier, der die Vermessenheit hatte, von Göttern, welche ein uralter Besitz gegen alle Beeinträchtigungen sicher stellte, zu fordern, daß sie die Titel der Rechtmäßigkeit desselben vorzeigen sollten. Zu allem diesen kam endlich noch das bekannte Unglück meiner armen Vaterstadt, und unfehlbar würde ich den Haß, den die Athener, (um ihr ungerechtes und grausames Verfahren vor sich selbst zu rechtfertigen) auf alle Melier geworfen hatten, desto schwerer gebüßt haben, wenn mein gutes Glück mir nicht wenige Tage vor dem Ausbruch des Ungewitters, das sich seit einiger Zeit über mir zusammen zog, einen Weg zur Flucht eröffnet hätte. Denn ich wurde gleich nach meiner Entfernung von den Eumolpiden gerichtlich angeklagt, die heiligen Mysterien verrathen, und die Jugend von der Iniziazion abgehalten zu haben. Beide Beschuldigungen wurden gerichtlich erwiesen, und hätten in der That nicht geleugnet werden können; und so würde, anstatt daß ich jetzt in dieser stillen Freystätte sicher athme, der Sturz in das furchtbare Barathron mein Loos gewesen seyn, wenn ich mich nicht lieber auf die Behendigkeit meiner Fersen verlassen hätte, als auf die Güte meiner Sache, von welcher ich meine Richter schwerlich hätte überzeugen können.

Diagoras endigte hier seinen Bericht, und du wirst vermuthlich gern sehen, daß ich ebenfalls eine Pause in meiner Erzählung mache.

Ich wage es, lieber Kleonidas, in Hoffnung dir durch die Länge dieser Epistel nicht lästig zu seyn, in meiner angefangenen Erzählung fortzufahren. Sollte sie dich nicht müßig genug antreffen, um sie nicht zu lang zu finden, so kannst du sie ja bey Seite legen. Es giebt auch in dem thätigsten und genußreichsten Leben doch zuweilen eine Stunde, mit der man nichts anzufangen weiß, und es müßte nicht gut seyn, wenn sie dir in einer solchen Stunde nicht einige Unterhaltung verschaffen könnte.

Mein alter Wirth schien sich das Betragen, welches ihm die Verbannung aus allen Griechischen Staaten zugezogen hatte, so wenig gereuen zu lassen, und sich bey seiner Ohngötterey so wohl zu befinden, daß mir auch nicht einfallen konnte, ihn darüber anzufechten. Meine Denkart über diese Dinge ist ungefähr dieselbe, wozu der Weise von Abdera ihn vergeblich zu bereden gesucht hatte. Es würde zu nichts geholfen haben, die seinige mit den nehmlichen Gründen zu bestreiten; zumahl da er, in seiner gegenwärtigen Abgeschiedenheit, von den Menschen eben so wenig zu besorgen hat, als von den Göttern; und überhaupt ist es einer meiner Grundsätze, mit niemanden über das, was er von den überirdischen und dämonischen Dingen glaubt, oder nicht glaubt, zu hadern. Uns in allen den Gesetzen und Gebräuchen der Völker, unter welchen wir wohnen, zu unterwerfen, oder wenigstens nicht mit dem Kopf vorwärts gegen sie anzurennen, macht uns schon die bloße Urbanität zur Pflicht, wenn es auch die Sorge für unsre eigene Ruhe nicht so gebieterisch forderte. Wer sich, wie Diagoras, den Haß der Priesterschaft geflissentlich zuziehen will, thut wohl, wenn er die unangenehmen Folgen desselben auch wie Diagoras trägt, als etwas das eben so unfehlbar zu erwarten war, als daß man gebrannt wird, wenn man dem Feuer zu nahe kommt. Will er es demungeachtet darauf ankommen lassen, wer kann's ihm wehren? Wie gleichgültig mir also in dieser Rücksicht die Religion des Diagoras seyn konnte, so hatte doch ein Wort, das ihm im Laufe seiner Erzählung entfallen war, meine Neugier rege gemacht: und da wir einmahl auf dieser Materie waren, erinnerte ich ihn jenes Wortes, woraus ich schließen müßte, sein Atheism sey nicht so unbedingt, daß er allen Glauben an etwas Göttliches aufhebe. Du scheinst, sagte ich, in deinem Gedankensystem an die Stelle der Götter, die du läugnest, etwas anderes zu setzen. Darf man fragen was?


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