Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Dir, versetzte Diagoras, hoffe ich, ohne deiner Vernunft etwas ungebührliches zuzumuthen, ziemlich begreiflich zu machen, wie ich gerade durch die vollständigste Befriedigung der besagten Schwärmerey zu dem Atheism gekommen bin, dessen ich mit und ohne Grund, je nachdem mans nimmt, beschuldiget werde. Alle Menschenkinder kommen, denke ich, mit mehr oder weniger Hang zum Wunderbaren auf die Welt. Bey mir äußerte sich dieser Naturtrieb von früher Jugend an sehr lebhaft, aber mit einer Gegenwirkung verbunden, die ihm alle seine Schädlichkeit benahm. Ich horchte nehmlich mit dem größten Vergnügen auf alle Erzählungen dieser Art; Milesische Mährchen, Zauber- und Gespenster-Geschichten, Theurgische Wunder, Theofanien, und alle die übernatürlichen Dinge, die sich täglich ereignet haben sollen, als die Götter noch unter den Menschen wandelten, und die Erde mit ihren Söhnen und Töchtern erfüllten, kurz, alle diese Kindereyen, wovon die Griechen immer so große Liebhaber waren, hatten auch für mich einen ungemeinen Reitz; aber ich glaubte kein Wort davon. Sie belustigten und beschäftigten bloß meine Einbildungskraft und meinen Witz; jenes desto mehr, je unglaublicher sie waren; dieses, indem sie mich zum Nachdenken anreitzten, wie es mit diesen Dingen natürlich habe zugehen können, d. i. woher wohl die dabey vorwaltende Täuschung gekommen, und wie es möglich gewesen, solche Albernheiten selbst den einfältigsten Menschen weiß zu machen. Diese Anlage bey mir vorausgesetzt, wird dir alles Übrige sehr begreiflich werden. Ich hatte von Kindheit an viel von Orakeln, besonders von dem zu Delfi, gehört; als ich heran gewachsen war, hörte ich auch zuweilen, wiewohl immer mit geheimnißvoller Zurückhaltung, von den Eleusinischen und andern Mysterien reden. Dieses Geheimthun der Eingeweihten reitzte meinen Vorwitz, hinter die wunderbaren Dinge zu kommen, die, wie ich nicht zweifelte, in diesen Mysterien zu sehen und zu hören seyn müßten. Ich versuchte es auf alle Weise, fand aber, daß ich auf keinem andern Wege zu meinem Zweck gelangen würde, als wenn ich mich selbst in diesen geheimen Gottesdiensten iniziieren ließe. An Gelegenheiten dazu konnte mirs nicht fehlen. Mein Vater war einer der ansehnlichsten Handelsleute in Melos. Er schickte von Zeit zu Zeit Schiffe nach den vornehmsten Häfen des Ägeischen, Ionischen und Karpathischen Meeres, und hatte allenthalben Korrespondenten, mit denen er in gastfreundlicher Verbindung stand. Frühzeitig mit dieser Art von Geschäften bekannt gemacht, wurde ich von meinem zwanzigsten Jahre an, unter der Führung eines alten Dieners bald dahin bald dorthin verschickt. Diese Reisen gaben mir Gelegenheit, mich mit den Orgien von Lemnos, Kreta und Cypern bekannt zu machen: aber was ich dadurch erfuhr, war so unbedeutend, daß es zu nichts diente, als meine Begierde nach wichtigern Entdeckungen desto stärker anzufeuern. Ich machte mir einen Plan, meine Nachforschungen bey den Priestern zu Memfis und Sais (welche nach dem gemeinen Wahn der Griechen in uraltem Besitz einer geheimen theurgischen Weisheit sind) anzufangen, sodann die von ihnen nach und nach zu den Persern, Syrern, Föniziern und Griechen übergegangenen Mysterien auf dem Wege den sie genommen zu verfolgen, und nicht eher zu ruhen, bis mir in diesem Fache nichts mehr zu ergründen übrig wäre. Ich führte diesen Plan aus, sobald ich durch den Tod meines Vaters das Vermögen dazu bekam. Ich brachte mehrere Jahre damit zu; und da wir natürlicher Weise nach dem, was an uns in die Augen fällt, beurtheilt werden, so konnt' es nicht fehlen daß ich mir durch eine so ungewöhnliche Anwendung meiner Zeit und meines Vermögens den Ruf eines bis zur Schwärmerey religiösen Menschen zuzog; einen Ruf, den ich selbst, so lang' er meinen Absichten beförderlich seyn konnte, auf alle Weise zu unterhalten beflissen war.«

»Auf der letzten Reise, die ich zu Vollendung meines Plans zu machen hatte, ward ich zufälliger Weise mit dem berühmten Abderiten Demokritus bekannt, den eine ähnliche Wißbegierde seit vielen Jahren in der Welt herum trieb; nur daß seine Absicht mehr auf Naturgeschichte, und auf die fysischen, astronomischen und medizinischen Geheimnisse der Ägyptischen Priester, Magier und Orfiker, als auf die religiösen gerichtet war. Wer die Mitbürger dieses außerordentlichen Mannes kennt, sollte glauben, sein Genius habe Mittel gefunden, sich alles Verstandes, den die Natur unter die Bewohner von Abdera vertheilen wollte, für ihn allein zu bemächtigen. Mir wenigstens ist unter so vielen merkwürdigen Männern, deren Bekanntschaft zu machen meine Reisen mir Gelegenheit verschafften, keiner vorgekommen, der mit einem so hellen und so viel umfassenden Geist einen so unermüdeten Fleiß in Erforschung der Natur, und mit beidem so viel Gutlaunigkeit und Anmuth im Umgang vereinigte wie Demokritus. Von der ersten Stunde unsrer Bekanntschaft an fühlte ich mich so stark von ihm angezogen, daß ich nie wieder von ihm getrennt zu werden wünschte; und auch Er faßte so viele Zuneigung für mich, daß er mir nicht nur erlaubte ihn auf seinen übrigen Wanderungen zu begleiten, sondern auch Vergnügen daran fand, mich in seinen eigenen Mysterien einzuweihen, welche mir, wie Du gerne glauben wirst, eine ganz andere Befriedigung gaben als die Priesterlichen, womit ich einige der besten Jahre meines Lebens vertändelt hatte. Die Bekanntschaft mit diesem Manne hätte mir viel Ungemach und die Nothwendigkeit, mein Daseyn in einer Felsenkluft zu verheimlichen, ersparen mögen, wenn ein Mensch seinem Schicksal entgehen könnte, oder richtiger zu reden, wenn ich meinen Eifer, die Menschen vernünftiger zu machen als sie zu seyn fähig sind, im Zaume zu halten gewußt hätte.
 

Was du mir da sagst, fiel ich ein, setzt mich desto mehr in Verwunderung, da ich nach dem Ruf, worin Demokritus steht, eher alles andere als einen Sachwalter der Götter von ihm erwartet hätte.

Der war er denn auch so eigentlich nicht, versetzte Diagoras; aber er hatte sich über diesen Punkt ein System gemacht, wobey er seine Vernunft zu retten glaubte, ohne mit den Priestern und Mystagogen, die den Glauben an ihre Götter und Mysterien zu einer Bürgerpflicht zu erheben gewußt haben, jemahls in offene Fehde zu gerathen.

Du würdest mich verbinden, sagte ich, wenn du mich mit seiner Denkart über diesen Gegenstand näher bekannt machen wolltest. – Dieß kann nicht besser geschehen, erwiederte Diagoras, als wenn ich dir eine Unterredung mittheile die über diese Materie zwischen uns vorfiel.

Du bist, sagte Demokritus zu mir, vermuthlich der einzige Mensch in der Welt, der so viel Zeit und Geld aufgewandt hat, um hinter die Geheimnisse der Priesterschaft zu kommen: darf ich fragen, was der reine Gewinn deiner Entdeckungen ist? – Immer so viel (war meine Antwort) daß ich die Unkosten nicht bereue. Ich weiß nun mit einer Gewißheit, die ich schwerlich auf einem andern Wege erlangt hätte: daß Götter und Priester Synonymen sind; daß alle unsre Götter (die bloß allegorischen ausgenommen) Menschen waren, die ihre Standeserhöhung und den ihnen angewiesenen Antheil an der Weltregierung den Priestern, durch welche sie regieren, zu danken haben; und daß der Tartarus mit allen seinen Feuerströmen und Schreckgespenstern, so wie die Inseln der Seligen mit aller ihrer Wonne, schlaue Erfindungen sind, wodurch die Priesterschaft sich der beiden mächtigsten Leidenschaften, und durch sie der Herrschaft über die Welt bemächtigt hat. Ich begreife nun wie der Götter und der Menschen Vater Zeus zu Kreta geboren und begraben seyn kann; warum Delos die Wiege des Apollo und der Artemis ist, und woher die unendliche Menge von Söhnen und Töchtern kommt, womit unsre Götter und Göttinnen die ganze Hellas so überschwänglich bevölkert haben, daß keine alte Familie ist, die ihr Stammregister nicht mit irgend einem göttlichen Bastard anzufangen die Ehre hätte. Ich begreife nun, warum eine Religion, die in sich selbst so übel zusammen hängt, und deren höchstes Geheimniß ist daß die Götter Nicht-Götter sind, so wenig zur Veredlung der Menschheit beytragen kann. Und wenn auch das alles nicht wäre (setzte ich hinzu) rechnest du etwa für Nichts, daß ich weiß wohin Isis ihren Sohn Horus vor dem wüthenden Tyfon verbarg, was das alte Mütterchen Baubo der Ceres zeigte, um sie in der höchsten Betrübniß zum Lachen zu bringen, und was in dem verdeckten Korbe war, den Pallas Athene den Töchtern des Cekrops in Verwahrung gab? – O gewiß, versetzte Demokritus lachend, zu diesen Wissenschaften hättest du schwerlich auf einem andern Wege gelangen können; aber alles übrige war wohlfeiler zu haben. – Ich muß bekennen, sagte ich, daß mir die Wissenschaft – Nichts oder was wenig besser als Nichts ist, zu wissen, hoch genug zu stehen kommt; zumahl, da mir, bey aller Aufklärung die ich über unsre Mysterien erhalten habe, der Hauptpunkt noch immer unbegreiflich geblieben ist. – Was könnte dieß wohl seyn? fragte Demokritus. – Weiter nichts, als wie es möglich ist, daß bey der unendlichen Menge von – Iniziirten es noch einen einzigen vernünftigen Menschen geben kann, der sich durch ein so grobes Gewebe von Betrug, Gaukeley, Kindermährchen und Kinderpossen, wie die Religion unsrer Väter ist, noch einen Augenblick täuschen lassen kann. Denn wirklich thut die Priesterschaft ihr Möglichstes uns die Augen zu öffnen. – Ich sehe, erwiederte er, daß du mit allen deinen Nachforschungen noch immer nicht auf den Grund der Sache gekommen bist. Wir machen uns fast allemahl einer Ungerechtigkeit schuldig, wenn wir irgend etwas Menschliches, sey es – Glaube, Gewohnheit, Sitte, oder – Lehre, Gesetz, Institut, eher für ganz ungereimt und verwerflich erklären, bevor wir unbefangen erforscht haben, ob es nicht in seinem Ursprung, zu seiner Zeit und in seiner ersten Gestalt, gut, schicklich und zweckmäßig war. Ich bin gänzlich deiner Meinung, daß der Gebrauch, den die Priesterschaft heut zu Tage von ihren Orakeln und Mysterien macht, die Verachtung, die du dagegen gefaßt hast, mehr als zu sehr rechtfertigt: nichts desto weniger scheinen mir beide zur Zeit ihrer Einsetzung schickliche Mittel zu einem löblichen Zweck gewesen zu seyn, und um dieser Ursache willen einige Schonung zu verdienen. Die undurchdringliche Finsterniß, die auf der ältesten Geschichte aller Völker liegt, hat mich nicht abgeschreckt, in den Alterthümern des Unsrigen so weit zu forschen als irgend ein hier und da hervorbrechender Lichtpunkt mir vorzudringen erlaubte. Dem, was ich darin wahrzunehmen glaubte, zu Folge, nehme ich drey verschiedene Epochen an, in welchen unsre Volksreligion sich nach und nach zu dem, was sie noch zu unsrer Väter Zeit war, gestaltet hat. Denn über das, was sie jetzt ist, sind wir, denke ich, ziemlich einverstanden. Der erste dieser Zeitpunkte ist der, da unser Land noch von ganz rohen Naturmenschen, oder richtiger gesagt, Thiermenschen bewohnt war. So lange der Mensch auf dieser untersten Stufe steht, kann man von ihm so wenig, als von irgend einem andern Thiere, sagen, daß er eine Religion habe: es ist etwas der Religion ähnliches, wie man einigen Thieren etwas der Vernunft ähnliches zuschreibt. Ein dumpfes Gefühl der gewaltigen, ihm unbegreiflichen Kräfte der Natur, das bey ungewöhnlichen, vorzüglich bey furchtbaren Naturbegebenheiten in ihm erregt wird, ist der rohe Stoff, woraus der finstre, schwermüthige und schreckhafte Aberglaube, in welchem wir die Kindheit des Menschengeschlechts befangen sehen, sich nach und nach hervorarbeitet. Das Wort Deisidämonie scheint in unsrer Sprache ganz eigentlich für diesen Zustand gemacht zu seyn; etwas bestimmteres von der besondern Gestalt, welche dieser noch so sehr unförmliche, dem Zufall und einer ungebändigten Einbildungskraft gänzlich überlaßne Dämonism, unter den Autochthonen unsers Landes angenommen haben mag, weiß ich nicht zu sagen.

Die zweyte Epoche scheint mir die ebenfalls unbestimmbare, uralte Zeit zu seyn, da die Titanen, vermuthlich vom Kaukasus her, sich eines großen Theils der nachmahligen Hellas bemächtigten, und ein Reich stifteten, das von keiner langen Dauer gewesen zu seyn, aber doch den ersten Grund zur Civilisierung dieser Gegenden gelegt zu haben scheint. Durch die Länge der Zeit mußte unter einem Volke, dem die Kunst, Gedanken und Worte mittelst einer leichten Art von Bezeichnung zu verkörpern und festzuhalten, noch unbekannt war, die Geschichte der Titanen, durch bloße mündliche Überlieferung fortgepflanzt, nach und nach zu Sagen, und, durch eine Kette von Veränderungen, Revoluzionen und zufälligen Ursachen aller Art, endlich zu Volksmährchen werden, wovon unsre übel zusammenhängende ältere Götter- und Heroengeschichte ein verworrenes Chaos ist. Unzählige Spuren setzen indessen ihr ehmaliges Daseyn und ihre Verdienste um die ältesten Bewohner Griechenlands außer allen Zweifel. Mit ihnen kamen die zu einem menschlichen Leben unentbehrlichen Künste zuerst in diese Gegenden; und, aller Wahrscheinlichkeit nach, schreibt sich auch die Einführung der ältesten Religion des obern Asiens, die Verehrung des Himmels und der Erde, der Sonne und des Mondes, von ihnen her. Wie es nun zuging, daß in der Folge die Titanen selbst für Söhne des Himmels und der Erde gehalten und kraft eines Erbrechtes, das ihnen von Niemand streitig gemacht wurde, theils an die Stelle der Sonne und des Mondes, theils in den Besitz der Oberherrschaft über Luft und Erde, Wasser und Feuer gesetzt, theils, als die Urheber der ersten Anfänge des bürgerlichen Lebens, des Feldbaues und der dazu nöthigen Künste, lange nach ihrem Tode göttlich verehrt wurden; ingleichem wie die Regierungsveränderungen, die sich in diesem vergötterten Geschlechte ereignet haben sollen, zu erklären sind, übergehe ich, als zu dem, wovon jetzt die Rede ist, nicht gehörig, und bemerke nur, daß die spätern Ägyptischen und Fönizischen Stifter oder Wiederhersteller der Städte Athen und Theben, Cekrops und Kadmus, als sie nach Griechenland kamen, unsre vornehmsten Götter, Zeus und Here, Poseidon, Apollo und Artemis, Pallas Athene und Afrodite, Demeter und Persefone, Ares, Hermes und Hefästos (sämmtlich aus dem Titanengeschlechte) vermuthlich schon im Besitz der öffentlichen Anbetung gefunden und um so mehr ungestört darin gelassen haben, da sie ihre eigenen Götter, nur unter andern Nahmen, in ihnen wiederfanden; wiewohl ich nicht zweifle, daß ein großer Theil der Verwirrung und Widersprüche, die in der Genealogie und Geschichte der Griechischen Götter herrschen, sich von den mannigfaltigen Vermischungen älterer und späterer, einheimischer und ausländischer Sagen herschreibt, wozu die fremden Kolonisten die Veranlassung gegeben haben mögen. Nichts desto weniger setze ich die dritte Epoche unsers alten Religionswesens in die Zeit des Ägypters Cekrops, in so fern ich ihn als den wahren Stifter der Eleusinischen Mysterien betrachte, von welchen alle übrigen, (die Ägyptischen des Osiris und der Isis, welche jenen selbst zum Muster dienten, ausgenommen) bloße Nachahmungen sind. Bis dahin war die Religion unsrer theils wild gebliebenen, theils nach und nach wieder verwilderten Griechen bloße Deisidämonie gewesen; und wiewohl zu glauben ist, daß wenigstens die Schutzgötter jedes Volkes, Stammes und Ortes schon lange vor Cekrops und Kadmus öffentliche Altäre, Tempel und Priester hatten, so findet sich doch keine Ursache, auch nur zu vermuthen, daß man bey den Opfern und Gelübden, die man ihnen darbrachte, etwas anders abgezielt habe, als sich ihrer Gnade und ihres Schutzes zu versichern, oder ihren Zorn, welchem man alle fysischen und moralischen Übel zuschrieb, zu besänftigen. Der Glaube, daß Zeus selbst unmittelbarer Schirmherr des gastlichen Rechts und Rächer des Meineides sey, und daß jeder, sogar unvorsetzliche Mord von den Erinnyen rastlos verfolgt werde, war damahls alles, was die Religion zu Beförderung der Humanität unter den ungeschlachten Horden, welche nach und nach mit vieler Schwierigkeit zum bürgerlichen Leben vermocht worden waren, beytrug. Aber die neuen Gesetzgeber fanden, (den Begriffen gemäß, die sie aus ihrem Lande mitgebracht,) theils zur Erhaltung und Aufnahme ihrer neu errichteten Kolonien, theils überhaupt zur Befestigung der bürgerlichen Ordnung unter einem ungeschlachten Volke nöthig, das schwache Ansehen der Gesetze durch den Glauben zu stützen, »daß die Götter unmittelbare Kundschaft von dem Thun und Lassen der Menschen nähmen, und, nicht zufrieden schon in diesem Leben die Bösen zu strafen und die Guten zu belohnen, auch die Seelen der Verstorbenen vor ein unerbittlich strenges Gericht forderten, und je nachdem sie entweder unsträflich gelebt, oder sich mit noch ungebüßten Verbrechen befleckt hätten, in jenem Falle in einen wonnevollen Zustand versetzten, in diesem durch die schrecklichsten Peinigungen zur Strafe zögen.« Diese Lehre, dem Volk als Glaubenspunkte bloß durch mündlichen Vortrag eingeschärft, würde wenig Eindruck gemacht haben: aber durch die Mysterien symbolisiert, und unter einer Menge Ehrfurcht gebietender Feierlichkeiten den Sinnen selbst unmittelbar dargestellt, mußte sie auf äußerst sinnliche und abergläubische Menschen, die man in den unterirdischen Wölbungen des Tempels zu Eleusis durch künstliche Täuschungen erst in den Tartarus, dann in die Elysischen Haine versetzte, die größte Wirkung thun. Du wirst nicht vergessen haben, Diagoras, wie dir selbst, trotz deinem Unglauben, dabey zu Muthe war, und du kannst von dem Eindruck, den das, was du hörtest und sahest, auf deine Einbildung machte, auf denjenigen schließen, den solche Anschauungen auf ungebildete Menschen machen mußten, die sich nicht, wie du, in ein Schauspiel, sondern übernatürlicher Weise in die wirkliche Unterwelt versetzt glaubten. Ich gestehe, sagte ich, daß sich, bey dem feierlich langsamen Durchgang durch die labyrinthischen Windungen des Tartarus, über das was ich hörte, und in einer durch zuckende Blitze und wirbelnde Rauch- und Flammenwellen erleuchteten sichtbaren Dunkelheit zu sehen glaubte, alle Haarspitzen auf meinem Kopfe und an meinem ganzen Leibe empor richteten. Aber freylich wird der Eindruck, den dieß allenfalls auf ein weiches Gemüth machen könnte, durch den geheimen Unterricht, den man bey der zweyten großen Weihe empfängt, wieder rein ausgelöscht. Daher, sagte Demokritus, wurden ehemahls keine andern zu dieser hohen Weihe zugelassen, als Männer, die man stark genug glaubte starke Wahrheiten zu ertragen, und edel genug, sie gehörig zu gebrauchen. Überdieß zweifle ich nicht, daß die zweyte Iniziazion bey den Eleusinischen Mysterien in ihrem Ursprung entweder noch gar nicht Statt gefunden, oder wenigstens eine andere, der Einfalt jener Zeiten angemessenere Beschaffenheit gehabt habe.


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