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DIAGORAS. Mich selbst, und alles was wirklich ist, erwiederte er.
ICH. Das ist viel auf einmahl gesagt, Diagoras! Woher weißt du daß etwas wirklich ist?
DIAGORAS. Weil ich weiß daß ich selbst bin.
ICH. Und woher kannst du wissen daß du selbst bist?
Mein Mann schien ein wenig zu stutzen. – Eine seltsame Frage, sagte er lachend.
ICH. Es wäre noch seltsamer, wenn sie dir nie aufgestoßen wäre.
DIAGORAS. Nie in meinem ganzen Leben. Aber die Antwort ist auch so leicht, daß sie mir bloß deswegen nicht sogleich beyfiel. Ich weiß daß ich bin, weil ich sehe, höre, fühle, denke, mich selbst bewege, und – zwar nicht Alles, aber doch sehr Vieles kann, was ich will.
ICH. Könntest du das Alles, wenn du nicht schon da wärest?
DIAGORAS. Schwerlich!
ICH. Und wenn die Dinge nicht da wären, die dir zu diesen Äußerungen deines Daseyns Anlaß geben? –
DIAGORAS. Ohne Zweifel, nein.
ICH. Du weißt also, daß du bist, weil es Dinge außer dir giebt, die dieses Selbstbewußtseyn in dir erwecken; du könntest aber nicht wissen, daß es Dinge außer dir gebe, wenn du nicht wüßtest, daß du Selbst bist. Dieß, dünkt mich, heißt sich in einem Kreise herum drehen, der weder Anfang noch Ende hat, und du hast also keinen hinlänglichen Grund zu glauben, daß du selbst bist.
DIAGORAS. Pure Sofistereyen! Ich glaube nicht daß ich bin, und, genau zu reden, weiß ich es auch nicht; aber ich fühl' es, und das ist genug. Dieses Selbstgefühl, und das Gefühl daß Etwas außer mir ist, ist ein und eben dasselbe. Indem ich, zum Beyspiel, den Feigenbaum dort sehe, fühle ich daß ich ihn sehe, das ist, ich sehe ihn in mir selbst, und so fühle ich in einem und eben demselben Augenblick mein und sein Daseyn.
ICH. Sein Daseyn in dir, meinst du?
DIAGORAS. Ich sehe ihn zwar in mir selbst, aber als etwas außer mir Befindliches; und warum wäre das, wenn er nicht wirklich außer mir wäre?
ICH. Du siehst einen Centauren, eine Sirene, auch außer dir, und es sind doch bloße Geschöpfe deiner Fantasie. Woher weißt du, daß es mit dem Baum und allem andern, was du zu sehen meinest, nicht eben dieselbe Bewandtniß hat?
DIAGORAS. Allerdings ist es meine Fantasie, die aus der Hälfte eines Menschen und eines Pferdes einen Centauren, und aus einem Weibe, einem Vogel und einem Fische eine Sirene zusammen setzt: aber das könnte sie nicht, wenn ich nicht wirklich Menschen, Pferde, Vögel und Fische gesehen hätte.
ICH. Du hältst also alles für wirklich, was du in einer lebhaften künstlerischen Begeisterung siehest? Oder warum solltest du diese Einbildungen nicht für eben so wirkliche Dinge außer dir halten, wie die nehmlichen Vorstellungen, wenn sie unter der Beglaubigung deiner Sinne in dein Bewußtseyn kommen?
DIAGORAS. Weil ich einen sehr wesentlichen Unterschied zwischen ihnen fühle. Wenn ich mir z. B. die Lemnische Venus bloß in Gedanken vorstelle, so sehe ich sie in meiner Einbildung zwar auch außer mir, aber ungleich weniger klar und lebhaft, als wenn das Gebilde des Fidias wirklich vor mir stände; und was noch mehr ist, es hängt bloß von mir ab, ob ich das Gedankenbild sehen will oder nicht; stehe ich hingegen zu Lemnos vor dem wirklichen Bilde der Göttin, so muß ich es sehen, ich wolle oder wolle nicht.
ICH. Wie? auch wenn du die Augen zumachst?
DIAGORAS. Welche Frage!
ICH. Ich will bloß damit sagen: was du mit deinen Augen siehest, dringt sich dir nur so lange mit Gewalt auf, als du es wirklich ansiehest. Ist es aber mit dem, was du bloß in deiner Einbildung siehest, etwas anders? Sobald die Bedingung da ist, d. i. sobald deine Einbildung dir dieses Bild darstellt, mußt du es eben so wohl, obgleich weniger lebhaft, sehen, als wenn deine Augen es dir dargestellt hätten, und im letztern Falle steht es nicht weniger bey dir, die Augen wegzuwenden oder zuzuschließen, als im erstern deine Einbildungskraft auf etwas anderes zu richten.
DIAGORAS. Aber setze daß du, an eine Säule gebunden, gegeißelt werdest, steht es dann auch in deinem Belieben, ob du die Pein der Geißel fühlen wollest oder nicht?
ICH. So vieler Gewalt über meine Sinne rühme ich mich keinesweges. Aber setze du dagegen einen verrückten Menschen, der sich in seinem Wahnsinn einbildet, daß er gegeißelt werde: fühlt er die Pein der bloß eingebildeten Geißel nicht eben so lebhaft als wenn sie wirklich wäre? Dem Wahnsinnigen thut seine kranke Fantasie eben dieselbe Gewalt an, welche in dem Falle, den du setztest, dem Gesunden geschieht.
DIAGORAS. Und was schließest du aus dem Allen?
ICH. Daß du keinen hinlänglichen Grund hast, von deinem Gefühl auf die Realität dessen was du fühlst zu schließen.
DIAGORAS. Deiner Meinung nach gingen also alle meine Vorstellungen aus mir selbst hervor, und ich hätte keine Ursache zu glauben, daß Etwas außer mir wäre?
ICH. Ich behaupte nicht daß es wirklich so sey; aber aus dem Gesagten scheint es wenigstens so. Wie kämen auch die vermeinten Dinge außer dir dazu, Vorstellungen in dich zu bringen, die sich nicht in deiner Seele selbst erzeugt hätten? Gesetzt aber auch, dieser Feigenbaum werfe ein kleines Bild seiner Gestalt in dein Auge, und es reflektiere aus deinem Aug' in deine Seele, so wäre zwischen einem solchen Bild und dem Bewußtseyn, womit du es siehest, nicht das geringste Kausalverhältniß; und doch wird es bloß dadurch, daß du dir bewußt bist es zu sehen, etwas in dir Wirkliches. Kurz, um Dinge außer dir wahrzunehmen, muß deine Seele so viel thun, daß du wenigstens Ursache hast zu zweifeln, ob sie nicht Alles thue.
DIAGORAS. Aber, wie wär' es möglich, Aristipp, daß du nicht sehen solltest, in welche Ungereimtheiten ein solcher Zweifel führen würde? Wenn alle meine Vorstellungen bloße Geschöpfe der denkenden Kraft in mir sind, bin ich nicht genöthiget, mich für das einzige wirkliche Wesen zu halten? Nun sind aber alle andre Menschen in dem nehmlichen Falle, und wenn sie alle so räsonnieren wollten, was sollte aus dreyßig oder vierzig tausend Myriaden Narren werden, deren jeder sich einbildete, alle übrigen seyen nichts als in ihm selbst erzeugte Gedankenbilder?
ICH. Es käme darauf an daß sie sich darüber mit einander verglichen. Da einer so viel Recht hätte als der andere, warum sollten sie nicht in Güte übereinkommen können, einander, um der Bequemlichkeit des gesellschaftlichen Lebens willen, vermittelst einer Art von Prosopopöie die Existenz zuzugestehen?
DIAGORAS. Und so möchten wir, dächte ich, eben so wohl thun, wenn wir auch allen übrigen Dingen, die in unser Bewußtseyn gerathen, die nehmliche Billigkeit wiederfahren ließen?
ICH. Das könnten wir ohne Bedenken; aber was hätten wir damit gewonnen, wenn wir uns selbst von dem Grund ihres und unsres Daseyns Rechenschaft geben sollten?
DIAGORAS. Kann uns denn nicht genug seyn daß wir da sind? Wozu brauchen wir nun eben den Grund zu wissen?
ICH. Diese Frage hast du dir selbst schon beantwortet, Diagoras, da du mir auf die meinige »was du an die Stelle der Götter setzest?« zur Antwort gabst: »Mich selbst und alles was wirklich ist.« – Es ist nun einmahl in unsrer Natur, sobald sich uns etwas als außer uns darstellt, zu glauben es sey, und wissen zu wollen, was und woher und wie und warum es ist. Das kürzeste Mittel, sich hierüber zu beruhigen, schien den Menschen von jeher zu seyn wenn sie Götter glaubten, in deren Macht und Willkühr der Grund des Daseyns und der Zusammenordnung der Dinge liege. Du willst mit diesem Behelf nichts zu thun haben, und setzest dich selbst und alles was wirklich ist an ihre Stelle. Aber bey näherer Untersuchung der Sache hat sich gefunden, daß dein eigenes Daseyn eine sehr zweifelhafte Sache ist, da das Gefühl desselben lediglich auf dem vorausgesetzten Daseyn anderer Dinge beruht, für deren Daseyn du keine andere Gewähr hast als dein eigenes. Gesetzt aber auch es hätte mit deinem Daseyn seine Richtigkeit, so ist es doch eine bloße nakte Thatsache und du hast auf die Frage, woher, wie, und warum du da bist, noch immer keine Antwort. Denn daß du nicht immer da warest, und daß der Grund deines Daseyns nicht in dir selbst seyn kann, wirst du schwerlich in Abrede seyn wollen.
DIAGORAS. Es scheint in der That ich müßte auch etwas davon wissen, wenn ich immer gewesen wäre, und die Mutter die mich gebar, der Vater der mich auferzog, und der Schulmeister der mich im Homer lesen und die Melodien des alten Terpander plärren lehrte, müßten sich auf eine seltsame Weise getäuscht haben. Aber wozu braucht es aller dieser Leptologien? Die Formel, über welche du mich schikanierst, soll nichts weiter sagen als: die Natur enthält alles was ist, war, und seyn wird, und es bedarf keines andern Grundes für mein und aller übrigen Dinge Daseyn als Sie.
ICH. Die Natur! – Ein großes viel umfassendes Wort! Und was denkst du dir eigentlich dabey?
DIAGORAS. Wie ich sagte, das, woher alles was ist, war, und seyn wird, seinen Ursprung und die Nahrung seines Wesens zieht.
ICH. Ich glaube die Bedeutung jedes einzelnen Wortes dieses Satzes zu wissen; aber bey dem ganzen kann ich mir nichts deutliches denken.
DIAGORAS. Ich, die Wahrheit zu sagen, eben so wenig.
ICH. Du hättest also ungefähr so viel als gar nichts damit gesagt?
DIAGORAS. Ist es meine Schuld daß die Natur etwas Unbegreifliches ist?
ICH. Irgend eine dunkle Vorstellung muß denn doch wohl mit diesem unbegreiflichen Worte verbunden seyn. Denkst du dir die Natur vielleicht als eine unendliche Reihe an einander geketteter einzelner Dinge?
DIAGORAS. Ich sehe wohin du willst, Aristipp, und ich will dir die Mühe ersparen, mir die Ungereimtheit einer unendlichen Reihe von Eiern und Hühnern darzuthun. Ich denke mir die Natur als das einzige, ewige, unendliche Urwesen, und alles was ist als eine Art von Erzeugnissen, die es ewig aus sich selbst hervorbringt.
ICH. Da hätten wir den Kronos der Dichter, der seine eignen Kinder aufißt, um immer neue zeugen zu können?
DIAGORAS. Oder, wenn du lieber willst, so stelle sie dir als den Proteus vor, der sich selbst in alle mögliche Gestalten wandelt.
ICH. Für poetische Darstellungen mögen diese Bilder brauchbar genug seyn: aber dem Verstande erklären sie nichts, und wir sind noch um kein Haar breit weiter als Anfangs. Alles was ich sehe ist, daß du dich so gut als wir andern genöthigt fühlst, Etwas Erstes, Unerklärbares, Unendliches, mit Einem Worte, Göttliches zu glauben, um dich nicht in einem Labyrinth von Fragen und Zweifeln zu verlieren, aus welchem kein Ausgang ist. –
DIAGORAS. Und weiter wollen wir uns, wenn dirs gefällig ist, nicht versteigen.
Mit diesen Worten führte mich Diagoras zu seinen Götterbildern zurück, um (wie er sagte) die Spinneweben wieder los zu werden, womit uns der sofistische Dialog über Seyn und Nichtseyn den Kopf angefüllt habe. Er ließ mich eine Menge possierlicher Dinge bemerken, welche meiner Aufmerksamkeit entgangen waren, und überzeugte mich durch sein herzliches Wohlgefallen an den Mißgeburten seiner witzelnden Fantasie immer mehr, wie lächerlich es von mir gewesen wäre, über einen Gegenstand, für welchen er keinen Sinn hatte, in einem ernsthaftern Tone zu sprechen. Übrigens muß ich dir sagen, daß mein Ton ungefähr der nehmliche war, worin Sokrates mit den Sofisten, und allen andern, denen es (wie er glaubte) nicht ernstlich um Wahrheit zu thun war, von solchen Dingen zu disputieren pflegte; und ich wollte diese Gelegenheit nicht vorbey lassen, dir eine kleine Probe zu geben, daß ich nicht drey Jahre lang mit einem solchen Meister in der subtilsten Dialektik gelebt habe, ohne ihm auch in diesem Stück etwas abzulernen; wiewohl ich gern gestehe, daß die ihm eigene ironischeinfältige Miene, die er in solchen Fällen anzunehmen wußte, schlechterdings dazu gehört, wenn diese Manier zu filosofieren ihre ganze Wirkung thun soll.
Ich werde erst jetzt gewahr daß meine Erzählung unvermerkt zu einem Buch angeschwollen ist, und der Griffel in meiner Hand zu zittern anfängt. –
In wenigen Tagen, lieber Kleonidas, hoffe ich die schöne Minervenstadt wieder zu sehen, zu welcher ich mich, nach einer langen Trennung, von einer Art verliebter Sehnsucht hingezogen fühle. Daß vielleicht auch die Nähe von Ägina Antheil an dieser Gemüthsstimmung haben mag, warum sollt' ich es vor einem Freunde wie du verheimlichen wollen?