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»Es war einmahl ein König und eine Königin, ich weiß nicht in welchem Lande, weit von hier, die hatten eine Tochter, Psyche genannt, von so übermenschlicher Schönheit, daß Afrodite selbst eifersüchtig auf sie ward, und, um einer so gefährlichen Rivalin je eher je lieber los zu werden, ihrem Sohn befahl, ihr mit dem giftigsten seiner Pfeile irgend eine hoffnungslose Liebe in die Leber zu schießen, von welcher sie in kurzer Zeit zu einem so hagern blaßgrünen Gespenst abgezehrt würde, daß ihr die Eitelkeit, sich mit der Göttin der Schönheit vergleichen zu lassen, wohl vergehen müßte. Amor schickte sich an, seiner Mutter Befehl zu vollziehen; aber kaum hatte er einen Blick auf die schöne Psyche geworfen, die er im Garten ihres Vaters an einer murmelnden Quelle eingeschlummert fand, so verliebte er sich so heftig in sie, daß er von Stund an beschloß sich auf ewig mit ihr zu verbinden. Weil er aber seine Leidenschaft vor seiner Mutter auf alle Weise zu verbergen suchen mußte, bewog er seinen Freund und Spielgesellen, den Zefyr, durch vieles Bitten, sich seiner anzunehmen, und (nachdem ihm dieser beym Styx zugeschworen hatte sich recht ehrbar aufzuführen) die schlafende Psyche sanft aufzuheben, und auf einem gewissen Berg in einer menschenleeren Wildniß am Ende der Welt, wo niemand sie suchen würde, eben so sanft wieder nieder zu legen. Psyche, die, während dieß mit ihr vorging, immer ruhig fortgeschlummert hatte, erwacht endlich und erstaunt nicht wenig, sich, ohne zu wissen wie, an einem Ort zu finden, wo ihr alles was sie sieht, neu und fremd ist. Mitten in einem unermeßlichen Lustgarten, der schon dem ersten Anblick alle Schönheiten der Natur in der reitzendsten Vereinigung darstellt, erblickt sie einen herrlichen Palast, dessen offne Pforten sie einladen, hineinzugehen, wiewohl die tiefste Stille, die um und in demselben herrscht, sie vermuthen läßt, daß er ohne Bewohner sey. Amor ist ein so großer Zauberer, daß es ihn nur einen Wink gekostet hatte, diesen Palast aufzuführen, und mit allem nur ersinnlichen zu versehen, was zur Einrichtung und Ausschmückung einer eben so bequemen als prachtvollen Wohnung gehört; und da er in eigner Person, wiewohl unsichtbar, um seine junge Geliebte schwebte, vergaß er nicht, eine Art von Zauber auf sie zu legen, der die Schüchternheit vertrieb, von welcher sie natürlicher Weise befangen seyn mußte. Um ihr noch mehr Muth zu machen, rief ihr eine liebliche Stimme aus der Luft herunter zu: Sey getrost, schöne Psyche, dieser Palast und alles was du siehest, ist dein; du bist hier unumschränkte Gebieterin; unsichtbare Hände werden dich bedienen, deinen leisesten Wünschen zuvorzukommen suchen, und jeden deiner Winke aufs schleunigste vollziehen. Durch einen so schmeichelnden Zuruf beherzt gemacht, ging sie in den Palast hinein, und gerieth ganz außer sich vor Erstaunen und Freude, indem sie in den prächtigen Sählen und Zimmern umher irrte, in welchen alles von Silber und Gold und kostbaren Steinen dermaßen glänzte und funkelte, daß ihr die Augen davon übergingen. Unvermerkt befand sie sich in einem runden, auf Säulen von Jaspis ruhenden und mit großen Blumengewinden behangenen Sahl, wo so eben in einer mit Elfenbein ausgelegten goldnen Kufe ein warmes Bad für sie zubereitet worden war. Sogleich wurde sie von schwanenweichen unsichtbaren Händen ausgekleidet, ins Bad gehoben, mit köstlichen Wassern begossen, mit Rosenöhl eingerieben, abgetrocknet, wieder angekleidet und aufgeschmückt, alles mit einer Leichtigkeit und Zierlichkeit, daß sie von den Grazien selbst bedient zu seyn glaubte. Als sie aus dem Bade hervor ging, öffnete sich ihr ein Speisezimmer, wo ein wahres Göttermahl auf sie wartete. Sie setzte sich, und aß von den köstlich zubereiteten Speisen, die von den Unsichtbaren aufgesetzt und wieder abgetragen wurden, während die lieblichste Musik, von gleich unsichtbaren Sängerinnen und Saitenspielern aufgeführt, ihr Gemüth wechselsweise bald in eine fröhliche bald wollüstig schmachtende und unbekannte Freuden ahnende Stimmung setzten. Endlich, da die Nacht hereingebrochen war, und ihre Augenlieder zu sinken begannen, wurde sie von den Unsichtbaren in ein anderes Gemach geleitet, ausgekleidet und in das weichste und prallste aller Betten gelegt, wozu jemahls Schwanen ihren Flaum und Kolchische Lämmer ihre Wolle hergegeben. Sie war eben im Begriff einzuschlummern, als ein leises Getön die Furchtsame wieder aufschreckte; aber in eben demselben Augenblick verlosch die Lampe, die von der Decke herab einen dämmernden Schein über das Schlafzimmer verbreitet hatte, und bald darauf blieb ihr keine Möglichkeit zu zweifeln, daß ein unbekanntes Wesen an ihrer Seite lag, und durch die zartesten Liebkosungen ihr zugleich seine Zuneigung, wiewohl stillschweigend, zu entdecken, und um ihre Gegengunst zu bitten schien. Wir wissen ungefähr alle, wie viel Bescheidenheit und Zurückhaltung sich unter solchen Umständen dem verwegensten aller Götter zutrauen läßt, und ob von der zitternden, zwischen Grauen und Erwartung wie an einem Haare schwebenden Psyche etwas anders als ein leidendes Verhalten zu erwarten war.
Als sie des folgenden Tages gegen die Mittagsstunde aus den angenehmen Träumen, die ihr Amor zur Gesellschaft zurückgelassen hatte, erwachte, fand sie sich wieder allein, in einem Labyrinth von Gedanken und Erinnerungen verloren, aus welchem sie sich nicht zu helfen wußte. Endlich stand sie auf, die Unsichtbaren stellten sich wieder ein, sie ins Bad zu führen, und alles was die sorgfältigste Bedienung der Geliebten ihres Herrn erforderte, mit ihrer gewöhnlichen Zierlichkeit und Gewandtheit zu verrichten – kurz, der Tag ging unter mancherley abwechselnden Vergnügungen unvermerkt vorüber; die Nacht, die ihm folgte, glich in allem der vorigen; und eben so war es mit einer Reihe folgender Tage und Nächte. Die unsichtbaren Dienerinnen wußten den Unterhaltungen, die sie ihr verschafften, immer den Reitz der Neuheit zu geben; der unsichtbare Liebhaber ward immer verliebter, und Psyche gewöhnte sich unvermerkt an das Wunderbare ihres Zustandes so gut, daß sie ihn mit keinem andern in der Welt vertauscht hätte. Und dennoch hatte sie kaum zehen Tage in diesem glücklichen Zustande zugebracht, als sie zu fühlen begann, es fehle ihr etwas, ohne welches sie nicht glücklich seyn könne. Mit jedem Tage, mit jeder Stunde wurde dieß Gefühl schmerzlicher; es verbreitete Unruhe und Unbehaglichkeit über ihr ganzes Wesen; die Unsichtbaren konnten ihr nichts mehr recht machen; sie fand die artigsten kleinen Feste, die man ihr gab, geschmacklos und langweilig, und es währte nicht lange, so verriethen übel verhaltene Seufzer ihrem Gemahl selbst, sogar in den süßesten Augenblicken der Zärtlichkeit, daß ihr etwas schwer auf dem Herzen liege. Er sah sich genöthiget, sein bisheriges Schweigen zu unterbrechen, und, da er sie einsmahls ungewöhnlich kalt und zurückhaltend fand, sagte er zu ihr: Liebste Psyche, du bist mißmüthig, und fühlst dich unglücklich. Ich kenne die Ursache deiner Unzufriedenheit, denn ich lese in deiner Seele. Der Vorwitz zu wissen wer ich bin, plagt dich; aber wenn du wüßtest, in welche Verlegenheit du mich durch die unglückliche Wißbegierde setzest, und welche Schmerzen du mir, welches Elend du dir selbst dadurch bereitest, du würdest sie mit Entsetzen und Abscheu aus deinem Gemüthe verbannen. Wisse also, von dem Augenblick an, da du erfährst wer ich bin, hast du mich auf immer verloren, dein bisheriges Glück ist dahin, und Jammer und Leiden ohne Maß sind dein Loos, bis du dein unglückseliges Daseyn in Verzweiflung endigest. Glaube mir, liebe Psyche, und habe Mitleiden mit dir selbst; denn wenn du mein Geheimniß entdeckt hast, so steht es nicht in meiner Macht, wie groß sie auch ist, dich zu retten. Du kannst nicht zweifeln, daß ich dich liebe; ich thue alles Mögliche dich glücklich zu machen; du würdest es seyn, wenn du dir genügen ließest, mich und alles was ich für dich thue ruhig zu genießen, ohne mehr wissen zu wollen als dir erlaubt ist; und vielleicht ist dir noch ein viel herrlicheres Loos in der Zukunft aufbehalten, wenn du die Probe, worauf ich deine Mäßigung zu setzen genöthigt bin, weislich bestehest. Also nochmahls, Geliebte, verbanne den Vorwitz mich genauer zu kennen, beruhige dich im Genuß meiner Liebe, und erspare mir den endlosen Schmerz, dich elend zu sehen, und dir nicht helfen zu können.« So sprach Amor mit einem leisen traurigen Vorgefühl, daß sein Zureden fruchtlos seyn würde. Die geschreckte Psyche fuhr ihm in die Arme und gelobte ihm heilig, seiner Warnung immer eingedenk zu seyn. Aber kaum sah sie sich wieder allein, so kehrte das unruhige Verlangen, sich durch ihre Augen nach der Beschaffenheit ihres Gemahls zu erkundigen, mit dreyfacher Stärke in ihren Busen zurück. Sie hatte sich ihn bisher unter einer liebenswürdigen Gestalt vorgebildet; jetzt regten seine eigene Worte und die schrecklichen Drohungen, womit er sein Verbot begleitet hatte, tausend Zweifel in ihrer Seele auf, und es war ihr unmöglich den Gedanken los zu werden, daß er vielleicht in seiner wahren Gestalt ein häßlicher Zauberer oder sonst ein mißgeschaffner Unhold sey, der sie durch seine Unsichtbarkeit um ihre Liebe betrüge. Kurz, die Unglückliche faßte den Entschluß, die Qualen dieser Ungewißheit nicht länger zu ertragen, sondern noch in dieser Nacht zu erfahren, wer der Unsichtbare sey, dem sie bisher die Vorrechte und die Zuneigung, die einem Gemahl gebühren, so unbesonnen zugestanden; und sie hielt sich selbst Wort. Um ihn desto sicherer zu machen, erwiederte sie in der nächsten Nacht seine Liebkosungen mit heuchlerischer Innigkeit: aber kaum merkte sie, daß er eingeschlafen war, so stand sie von seiner Seite auf, schlich sich mit bloßen Füßen in ein Vorzimmer, wo sie wußte, daß eine brennende Lampe stand, kam mit der Lampe in der Hand zurück, näherte sich dem Bette, und erblickte – den schlafenden Liebesgott in seiner ganzen ewig jugendlichen Schönheit. Mitten in ihrer Entzückung bey diesem unverhofften Anblick überfällt sie die Angst daß er erwachen möchte; ihre Hand zittert, die Lampe schwankt, ein Tropfen heißes Öhl fällt auf Amors schöne Brust; er erwacht, wirft einen schmerzlich zürnenden Blick auf Psyche, und fliegt davon. Und hiermit, lieben Freunde, ist mein Mährchen zu Ende. Der Milesischen Amme ihres fing hier erst recht an; aber was weiter folgt, gehört nicht zu meinem Zweck, und die Lehre aus meinem Mährchen zu ziehen, überlasse ich einem jeden selbst.
Mit diesen Worten erhob sie sich von ihren Polstern, und die ganze Gesellschaft stand auf, sagte ihr viel Schönes über ihr Milesisches Mährchen, und wünschte ihr gute Nacht.
Als die übrigen alle sich entfernten, blieb ich noch allein bey ihr zurück, um sie auf ihr Zimmer zu begleiten.
Wir waren kaum angelangt, so wandte sie sich mit einer unbeschreiblich reitzenden Miene gegen mich, und sagte in einem leise spottenden Tone: du glaubst also im Ernst, daß Liebe ohne Begierde möglich ist?
Da ich sie sogleich errieth, (was ich ohne Anspruch an eine große Scharfsinnigkeit oder Divinazionsgabe gesagt haben will) so antwortete ich bescheiden aber zuversichtlich: Allerdings, und desto gewisser, je schöner der Gegenstand ist.
LAIS. Auch dann, wenn er unmittelbar vor uns steht?
ICH. Auch dann.
LAIS. Auch wenn Zeit und Ort und alle übrigen Umstände sich vereinigen den schlummernden Pothos zu wecken?
ICH. Allerdings.
LAIS schalkhaft lächelnd. Wir reden, denk' ich, im Ernst, Aristipp? Der arme Pothos könnte freylich auch aus Erschöpfung schlummern!
ICH. Es versteht sich, daß dieß nicht der Fall seyn darf.
Lais schwieg, und fing an eine Nadel, womit ein Theil ihres in kleine Zöpfe geflochtnen Haars zusammengesteckt war, heraus zu ziehen, die Perlenschnur um ihren Hals abzunehmen, und sich, so sorglos unbefangen als ob sie allein wäre, der Binde, die ihren Busen fesselte, zu entledigen; kehrte sich dann wieder zu mir und sagte: ich glaube wirklich, Sokrates hätte die Probe unfehlbar ausgehalten; meinst du nicht?
O Lais, Lais, rief ich in einer unfreywilligen Bewegung aus, welch ein himmlischer Anblick würde dieser Busen einem einzigen Auserkohrnen seyn, wenn er die mütterliche Ruhestatt eines kleinen menschlichen Amorino wäre!
Grillenhafter Mensch! sagte sie, indem sie mir einen leichten Schlag auf die Schulter gab. Aber es ist Zeit zum Schlafengehen; gute Nacht, Aristipp! – und mit diesem Wort entschlüpfte sie in ihr Schlafgemach und zog die Thür sanft hinter sich nach. Ob sie auch den Riegel vorschob, weiß ich nicht; denn gleich darauf hörte ich etliche von ihren Mädchen, die zu ihr hereinkamen, und begab mich weg; unzufrieden mit mir selbst, daß es mir gleichwohl einige Anstrengung kostete, mich von dieser allzu liebenswürdigen Sirene zu entfernen.