Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XV.
Learch an Aristipp.

Ich will dir nicht verbergen, lieber Aristipp, daß es (wie du zu vermuthen scheinest) Dionysius selbst war, von dem ich durch einen Freund in Syrakus ersucht wurde, mich bey dir nach Filisten zu erkundigen. Wie wenig dieser auch bisher durch sein Betragen während seiner Verbannung aus Sicilien Anlaß gegeben, ihm heimliche Anschläge und Vorkehrungen zu einer eigenmächtigen Rückkehr zuzutrauen, so gewiß scheint es doch, daß der alte Tyrann (der mit dem zunehmenden Gefühl der Abnahme seiner Kräfte immer mißtrauischer und argwöhnischer wird) durch das schnelle Verschwinden Filists aus Italien und durch seinen Aufenthalt in einem weit entfernten Freystaat (wo es um so leichter scheint, die Anstalten zu einer solchen Unternehmung zu verheimlichen) merklich beunruhigt worden ist; zumahl da sein Bruder Leptines zeither neue sehr ernstliche Versuche gemacht hat, ihn zur Zurückberufung seines Schwiegersohnes zu vermögen. Mehr bedurfte es nicht, um den Verdacht bey ihm zu erregen, daß man mit einem Entwurf schwanger gehe, dessen Ausführung seine Einwilligung allenfalls entbehrlich machen könnte. Wenn ich den Dionysius recht kenne, ist es indessen doch weniger die Furcht, daß Filist etwas gegen seine Person zu unternehmen fähig sey, als sein Widerwille, einem so schwer beleidigten ehemahligen Freund wieder ins Gesicht zu sehen, und wenigstens stillschweigende Vorwürfe eines kaum verzeihlichen Undanks in seinen Augen zu lesen, was den stolzen alten Selbstherrscher so unbeweglich gegen die Vorstellungen seines Bruders und die anhaltenden Bitten der Frauen des Palastes macht. Bey so bewandten Dingen habe ich für gut befunden, ihm deinen Brief an mich in der Urschrift mitzutheilen, um ihn desto eher zu überzeugen, daß er sich von dieser Seite völlig sicher halten könne. Er hat mir eine für dich und mich sehr schmeichelhafte Antwort geben lassen; aber daß ich meine Absicht nur sehr unvollkommen erreicht habe, davon werdet ihr in kurzen einen Beweis in der Erscheinung eines Abgesandten sehen, der bey euerer Republik um die Erlaubniß ansuchen soll, hundert Freywillige, aber geborne und angemessene Angehörige von Cyrene, unter sehr annehmlichen Bedingungen zu Vermehrung der Leibwache des Tyrannen anzuwerben. Daß der Abgeordnete neben diesem öffentlichen noch einen geheimen Auftrag hat, wozu jener nur der Vorwand ist, nehmlich Filisten aufs genaueste zu beobachten, brauche ich dir nicht erst zu sagen; denn auf alle Fälle ist die bisherige Leibgarde stark genug, um durch den Zuwachs von hundert Cyrenischen Bauerjungen nicht viel furchtbarer zu werden. Inzwischen ist auch Leptines überall von Späheraugen umringt, und ihm sowohl als allen andern Syrakusiern ist alle Gemeinschaft mit Filisten von neuen aufs schärfste untersagt. Dieser wird also wohl thun, sich mehr als jemahls ruhig zu verhalten. Vielleicht ist die Zeit seiner Erlösung näher als er glaubt. Denn die Gesundheit des Alten soll in so großen Verfall gerathen seyn, daß (wie die Rede geht) alle Kunst der Hippokratischen Schule sein Leben höchstens noch ein paar Jahre fristen kann, wenn anders seine Leibärzte nicht etwa aus Gefälligkeit gegen den Nachfolger in Versuchung gerathen, es vielmehr abzukürzen als zu verlängern. Übrigens kann ich ihm nicht sehr verdenken, wenn er gegen alles, was sich ihm nähert, immer mißtrauischer wird, seitdem die Welt an dem berühmten Thessalier Jason ein neues Beyspiel gesehen hat, wie unsicher das Leben solcher Fürsten ist, die sich, ohne einen andern Titel, als das stolze Gefühl ihrer persönlichen Überlegenheit, aus dem Privatstand auf den Thron geschwungen haben. Seit dem Peleiden Achilles brachte Thessalien keinen Mann hervor, der würdiger war ein König zu seyn als Jason; und wenn Dionys ihm auch an den Talenten, die dazu erfordert werden, gleich oder vielleicht noch überlegen war, so stand er hingegen an allem, was den Menschen Zutrauen und Liebe abgewinnen kann, desto weiter unter ihm. Gleichwohl mußte der großherzige Jason schon im vierten Jahre seiner Regierung unter Mörderhänden fallen, und der verhaßte Dionysius beherrscht die unlenksamen Sicilier schon im sechs und dreyßigsten! Dieß sollte, scheint es, diesen sicher machen; aber das Bewußtsein, wie viele Gewalt und List, welche nie ermüdende Wachsamkeit und Anstrengung es ihm gekostet sich so lange zu erhalten, wirkt gerade das Gegentheil. Diese sich immer auf allen Seiten vorgehende, allenthalben hinlauschende, argwöhnische, überall Gefahr witternde Aufmerksamkeit ist ihm zur andern Natur geworden; sie besteht sogar mit der höhnischen Faunenhaften Art von lustigmacherischer Laune, die ihm eigen ist. Daher glaube ich auch, daß er bey weiten nicht so unglücklich ist, als Plato seinen Tyrannen schildert; ungeachtet er das Mißtrauen so weit treibt, daß niemand (selbst seinen Bruder und seine Gemahlin nicht ausgenommen) sich ihm nähern darf, ohne vorher aufs genaueste durchsucht worden zu seyn, und daß er sich in seinen Wohnzimmern bloß von zehnjährigen Kindern in leichtem fliegendem Gewande, wie unsre Mahler die Zefyrn und kleine Liebesgötter zu kleiden pflegen, bedienen läßt. Diese vorsichtige Maßnehmungen mögen nicht ganz überflüssig seyn; ob sie aber auch gegen die Tränkchen seiner Leibärzte helfen werden, muß die Zeit lehren.

Was Filists Sicilische Geschichte betrifft, so denke ich, wie du, daß ihm niemand wehren konnte, einen Mann, der von seinen Gegnern vor der ganzen Hellas verleumdet wird, in eine Beleuchtung zu stellen, worin die großen und guten Eigenschaften, die ihm seine bittersten Feinde selbst kaum streitig machen können, so stark hervorstechen, daß sie eine dem Ganzen vortheilhafte Wirkung thun. Was ich tadeln möchte, ist bloß, daß er diese seine Absicht nicht besser zu verbergen gewußt hat. Gern will ich ihm zugeben, daß derjenige, der eine gänzliche Unparteylichkeit für etwas unmögliches hält, nicht verbunden ist, ganz unparteyisch zu seyn; aber es zu scheinen, liegt allerdings jedem Geschichtschreiber ob, dem es Ernst ist, die Leser für seinen Helden zu gewinnen. Dieß weiß Filistus so gut als ich, und da er dessen ungeachtet den Schein der Parteylichkeit nicht vermieden hat, so ist ziemlich klar, daß er bey Abfassung seiner Geschichte mehr an Dionysen als an die Leser dachte, und sich lieber bey diesen in den Verdacht der Schmeicheley setzen, als etwas, das jenem mißfallen könnte, schreiben wollte. Gegen diesen Vorwurf wird er sich schwerlich rechtfertigen können, und was daraus zum Nachtheil seiner Geschichte und seines Helden gefolgert wird, brauche ich dir nicht erst zu sagen.


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