Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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X.
Aristipp an Lais.

Wenn ich dir etwas schmeichelhaftes deines jungen Aspendiers wegen sagen sollte, schöne Laiska, so würde mir die Krankheit, nicht die Kur, den Stoff dazu geben müssen. Die letztere wäre, aller Wahrscheinlichkeit nach, einer deiner Mägde eben so gut gelungen als der Zauberin Euforion, oder – die Grazien mögen mir verzeihen, daß ich sage – der Göttin selbst. Jene hingegen könnte unter den Wundern, die deine Schönheit bereits gethan hat, vielleicht das größte scheinen, wenn es wirklich ein größeres Wunder wäre, daß dein Bild einen jungen Aspendischen Schwächling rasend machte, als daß du selbst schon mehr als Einen Kopf, mit dem es sonst ziemlich richtig stand, aus dem Gleichgewicht gerückt hast. Der gute Chariton hatte, wie es scheint, von dieser Seite wenig zu verlieren; und da ein im Grunde doch nur sehr gemeines Hausmittel gegen ein schon ziemlich eingewurzeltes Übel so gut und schnell bey ihm anschlug, so ist nicht zu zweifeln, es würde, wenn man gleich Anfangs darauf verfallen wäre, dem alten Aspendier und seiner Familie viel Kummer, Plackerey und Ausgaben, dem jungen ein paar verlorne Jahre, und dir einen sehr entbehrlichen Zusatz zu deiner Celebrität erspart haben. – Aber was rede ich Undankbarer gegen die goldene Kette der menschlichen Thorheiten und Mißgriffe, an welcher doch zuletzt alle unsere Schicksale, die glücklichen wie die unglücklichen, hangen? Hätte Tyche nicht in einer ihrer seltsamsten Launen die Kunstliebhaberey des alten Charidemus, den Zufall der eine Kopey der Skopassischen Venus in seine Hände spielte, die kränkelnde Reitzbarkeit seines verzärtelten schwachsinnigen Sohns, die geringe Besonnenheit der ganzen Familie, den Unverstand der ersten Ärzte, und die auf bloßes Gerathewohl gewagte lange Reise von Aspendus nach Korinth, hätte, sage ich, die Göttin des Zufalls dieß alles nicht mit dem zarten Billigkeitssinn und dem filosofischen Vorwitz der schönen Lais so fein zusammengewebt, so würde – wahrlich so würde Aristipp das Vergnügen nicht gehabt haben, seine Freundin einen ganzen Monat früher zu sehen! – Aber womit hat denn Aristipp verdient, auf so vieler wackerer Leute Unkosten ganz allein und unentgeltlich die süße Frucht ihrer Thorheiten einzuernten? – Antworte mir jemand auf diese Frage etwas Besseres als: so ist nun einmahl die Weise der großen Weltregentin! Glück und Verdienst, Ausgabe und Gewinn, Genuß und Arbeit, scharf und gleich gegen einander abzuwägen, ist ihres Thuns nicht; und gegen Einen, der die Früchte seines mühsamen Fleißes unverkümmert genießt, ernten neune wo sie nicht gesäet haben.

Da ich einmahl im Zug bin über die Geschichte deiner Aspendier zu moralisieren, so erlaube mir noch eine Bemerkung, die ich zwar schon hundert Mahl bey andern Gelegenheiten gemacht habe, die aber hier nöthig ist, um der vorbelobten Göttin nicht mehr Ehre zu geben als ihr gebührt. Es braucht gewöhnlich zu einer ungeheuren Masse von Narrheit und Albernheit nur ein einziges Körnchen Menschenverstand, und etwa noch, wenn du willst, ein kleines Tröpfchen Gutherzigkeit, um, wenn alles zusammengegohren hat, am Ende ein leidliches, ja wohl gar gutes Resultat herauszukriegen; dafür würde aber auch ohne diese wenigen Zuthaten ganz und gar nichts taugliches herausgekommen seyn. So ist, z. B. an dieser ganzen Aspendischen Geschichte nichts verständiges als der Einfall des Arztes Praxagoras, die Ursache des Wahnsinns des jungen Menschen zum Mittel seiner Genesung zu machen. Ohne diesen gescheidten Einfall würde wahrscheinlich zuletzt die ganze wohlvornehme Sippschaft des ehrsamen Charidemus um ihr Bißchen Verstand gekommen seyn. Aber gleichwohl, was hätte der gute Gedanke frommen können, wenn die schöne Lais sich nicht in einem raschen Anfall von Gutherzigkeit entschlossen hätte, dem Übel abzuhelfen, bevor sie noch das Mittel dazu in Überlegung genommen hatte?

Dem sey indessen wie ihm wolle, vergiß mir ja nicht, liebe Laiska, die prächtige Trinkschale des Aspendiers mit nach Ägina zu nehmen. Ich muß daraus auf die Gesundheit aller gescheidten Leute trinken, die durch schöne Weiber zu Narren, und aller Narren die durch kluge Weiber gescheidt werden. Wie groß wohl die Anzahl der letztern gegen die erstern seyn mag? – Das soll uns den Stoff zu einem Tischgespräch geben, woraus sich zur Noth ein Gegenstück zu Platons Symposion drechseln ließe.

Ernsthaft gesprochen, muß ich gestehen, daß dieser neue Zwitter von Filosofie und Poesie, von seiner glänzenden Seite betrachtet, die Lobsprüche verdient, die du ihm in der Entzückung des ersten Genusses ertheilt hast. Neuheit der Erfindung, Reichthum des Stoffs, Schönheit der Form, angenehm abwechselnde Mannigfaltigkeit der Unterhaltung, sinnreiche Allegorien, zum Theil (wie die vom Ursprung des Eros aus der verstohlnen Umarmung des Porus und der Penia) in Milesische Mährchen eingekleidet, feiner Atticism des scherzenden und edle Würde des ernsten Tons; zu allem diesem (mit wenigen Ausnahmen) eine große Zierlichkeit der Sprache, und ein Rhythmus, den ich, in allem was nicht gesungen werden soll, dem Metrischen in mancherley Rücksicht vorziehe, dieß alles ist bisher, wohl in keinem Werke dieser Art in einem so hohen Grade vereinigt gesehen worden, und Protagoras, Gorgias, ja Prodikus selbst, haben hier ihren Meister gefunden. Ob ich gleich nie glauben werde, daß Plato (wie er von einigen beschuldigt wird) des lächerlichen Übermuths fähig sey, durch seine Dialogen den alten Homer verdrängen zu wollen: so sehe ich doch, daß er, vom Geist einer edeln Ruhmbegier angeweht, der Welt in diesem Symposion zeigen wollte, daß er die Geheimnisse der Komposizion und Darstellung nicht weniger in seiner Gewalt habe, als die Kunstgriffe der Rhetorik und Dialektik; daß seine Fantasie fruchtbar genug sey, ihn mit einer Menge neuer Erfindungen, Bilder und Gedanken aller Art zu versehen; mit Einem Worte, daß es nur auf seinen Willen ankomme, ein eben so großer Redner und Dichter als scharfsinniger Solist und subtiler Begriffespalter zu seyn. Auch kann ich nicht umhin, dich auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der in meinen Augen einer der größten Vorzüge dieses Dialogs ist, nehmlich daß Sokrates in keinem andern sich selbst so ähnlich sieht; wiewohl ich damit nicht gesagt haben will, daß er nicht noch immer zu viel platonisiert, um für den ächten unverfälschten Sohn des Sofroniskus, wie wir ihn beide gekannt haben, gelten zu können. Alles indessen, was an diesem Werke zu loben ist, zusammen gerechnet, hat unsre Litteratur, meines Bedünkens, dadurch wieder einen großen Schritt vorwärts gemacht, und wenn sie so fortführe, würde man dereinst auch von unsern prosaischen Schriftstellern, wie von unsern Dichtern, Bildnern und Architekten, sagen können, daß sie andern Völkern und künftigen Zeiten, wenigstens was die Form betrifft, nichts als das Bestreben ihre Werke, als die höchsten Modelle des Schönen in der Kunst, zu studieren und nachzuahmen übrig gelassen hätten. Ob aber auch die Filosofie, in so fern sie die Wissenschaft alles dessen ist, was der Mensch wissen soll und wissen kann, so viel dadurch gewonnen habe als seine Verehrer behaupten, und überhaupt wie das ganze Werk, wenn es Stück vor Stück einer strengen Prüfung unterworfen würde, vor dem ernsten unbestechlichen Richtstuhl der Wahrheit und Sittlichkeit bestehen würde, dieß, liebe Laiska, ist eine andere Frage, deren Erörterung uns in eine so langweilige Analyse verwickeln würde, daß ich die Entscheidung lieber bey einer zweyten ruhigern Lesung deinem eigenen Gefühl überlasse. – Doch du willst ja, daß wir das Symposion unter den Augen deiner Grazien zu Ägina mit einander lesen? Auch das, meine Freundin! wenn uns diese freundlichen Göttinnen ja so abhold seyn könnten, uns keine angenehmere Beschäftigung zu geben.

Lege mir es übrigens nicht zur Eifersucht aus, wenn ich dir sage, deine Fantasie schwärme, flattre und kreise so viel um diesen Plato herum, daß ich nicht dafür gut stehen möchte, daß er dir nicht, wie du jetzt scherzweise sagst, zuletzt noch in ganzem Ernste gefährlich werden könnte. Wirklich weiß ich dir zu Verhütung dieses Unglücks keinen bessern Rath, als wieder einmahl nach Athen herüber zu kommen, und dich mit deinen eigenen Augen von der Schönheit seiner Fysionomie und der Liebenswürdigkeit seiner Schwärmerey zu überzeugen. Ich glaube selbst, wofern er sichs in den Kopf setzte, so artig und liebenswürdig gegen dich zu seyn als er könnte, eine Frau wie du würde an ihrer ganzen Stärke nicht zu viel haben, um sich seiner zu erwehren. Aber wenn die Gefahr aufs höchste gestiegen wäre, brauchtest du auch nichts weiter als eine seiner Vorlesungen über seinen Parmenides, Protagoras, oder Kratylus zu hören, um – sogar den Cynischen Diogenes liebenswürdig zu finden, wiewohl seine Haare, seitdem er sie mit seinen Fingern kämmt, nicht in der besten Ordnung sind.

Der schöne Kleofron empfiehlt sich deinem Andenken. Er hat sich seit einiger Zeit so eifrig auf die Speusippische Filosofie gelegt, daß in wenigen Monaten eine kleine Luftveränderung in Ägina, wofern du die Güte hättest, ihn einzuladen, ihm ungemein zuträglich seyn dürfte.


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