Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XVII.
Hippias an Aristipp.

Kaum kann ich glauben, daß die schöne und – allzuweise Lais im Ernst zu wissen verlange, was ich von dem Fädon des jungen Plato halte. Wenn sie ihn (was ich doch voraussetzen muß) gelesen hat, so kann sie sich selbst am besten sagen, ob sie durch die vorgeblichen Beweise der Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit der Seele, die er seinem Meister in den Mund legt, überzeugt ist oder nicht. Ich für meine Person erinnere mich nicht, in meinem ganzen Leben etwas frostigeres und weniger befriedigendes über diesen Gegenstand gehört oder gelesen zu haben. Wahrlich es steht schlecht mit der Hoffnung derer, die sich ewig zu leben wünschen, und weil das Recept zu Medeens Kräuterbad verloren gegangen ist, und die Quelle der Jugend erst noch entdeckt werden soll, kein andres Mittel, ihres Wunsches theilhaft zu werden, sehen, als nach dem Tode in einer unsichtbaren Welt ein neues Leben zu beginnen, – es steht (sage ich) schlecht um ihre Hoffnung, wenn sie auf keinem festern Grunde ruht, als auf der Behauptung: »es müsse auf den Tod ein neues Leben folgen, weil das Erwachen aus dem Schlaf entstehe, und beides eine nothwendige Folge davon sey, daß jedes Ding, dem Etwas entgegen gesetzt ist, aus diesem Entgegengesetzten entspringe.« Was wird die Nachwelt (wofern dieses Platonische Machwerk seinen Schöpfer überleben sollte) von Sokrates und von denen, die ihn für einen Weisen hielten, denken müssen, wenn sie liest, daß er ein paar Stunden vor seinem Tode seine besten Freunde, lauter gesetzte und zum Theil schon bejahrte Leute, mit so läppischen Fragstücken, wie man sie etwa an ein Kind von drey Jahren thun könnte, unterhalten habe; und sollte sie wohl glaublich finden, daß so verständige junge Männer, wie Cebes und Simmias, sich diese kindische Art von Belehrung hätten wohlgefallen lassen? Oder was denkst du daß man zu einem Dialog, im Geschmack der kleinen Probe, die ich mir (Wunders halben) abzuschreiben die Mühe geben will, sagen werde?

SOKRATES ZU CEBES. Was meinst du, Cebes, ist irgend etwas dem Leben so entgegengesetzt als das Schlafen dem Erwachen?

CEBES. Allerdings.

SOKRATES. Was denn?

CEBES. Gestorben seyn.

SOKRATES. Entstehen nicht beide aus einander entgegen gesetzten Dingen, und muß es nicht mit ihren respektiven Entstehungen (γενεσεις) eben dieselbe Bewandtniß haben?

CEBES. Wie könnt' es anders?

SOKRATES. Ich will dir nur das eine Paar der so eben genannten Dinge sagen, so wohl sie selbst als ihre Entstehungen; und du sagst mir dann das andere. Ich setze also, schlafen, und wachen, und nun sag' ich: aus dem Wachen entsteht das Schlafen, und umgekehrt aus dem Schlafen das Wachen, und ihre Entstehungen sind, vom einen das Einschlummern, vom andern das Aufwachen. Hab' ich es deutlich genug gesagt oder nicht?

CEBES. Sehr deutlich.

SOKRATES. Nun sage du mir auch, wie es sich mit dem Leben und dem Gestorben seyn verhält. Sagst du nicht, daß Leben das Gegentheil sey von Gestorben seyn?

CEBES. Allerdings.

SOKRATES. Und daß sie aus einander entspringen?

CEBES. Ja.

SOKRATES. Was wird also aus dem Lebenden?

CEBES. Das Gestorbene.

SOKRATES. Und aus dem Gestorbenen?

CEBES. Nothwendig muß man bekennen, das Lebende.

SOKRATES. Diesem nach, mein lieber Cebes, entstehen die Lebenden aus den Gestorbenen?

CEBES. So scheint es.

SOKRATES. Unsre Seelen sind also im Hades?

CEBES. Man sollt' es denken.

SOKRATES. Und, was ihre beiderseitigen Entstehungen betrifft, liegt nicht die eine klar am Tage? Denn Sterben ist doch etwas Augenscheinliches; oder nicht?

CEBES. Ganz gewiß.

SORHATES. Wie wollen wir nun weiter verfahren? Wollen wir das, was aus dem Gestorben seyn entsteht, nicht ebenfalls für etwas Entgegengesetztes halten? Sollte die Natur nur hier allein hinken? Oder müssen wir eine dem Sterben entgegengesetzte Entstehung annehmen?

CEBES. Das müssen wir allerdings.

SOKRATES. Was für eine also?

CEBES. Das Wiederaufleben.

SOKRATES. Wenn nun ein Wiederaufleben Statt findet, wäre da nicht das Wiederaufleben eine Entstehung des Lebenden aus dem Gestorbenen?

CEBES. Unstreitig.

SOKRATES. Wir sind also genöthigt als etwas Ausgemachtes einzuräumen, daß die Lebenden eben sowohl aus den Gestorbenen entspringen, als die Gestorbenen aus den Lebenden; und wenn dieß ist, so haben wir einen hinreichenden Grund anzunehmen, daß die Seelen der Verstorbenen irgendwo seyn müssen, von wannen sie wieder geboren werden können?

CEBES. Aus dem Eingestandenen folgt dieß nothwendig, u. s. w.

Nun frage ich dich, Aristipp, ob das unauslöschliche Lachen der seligen Götter im ersten Buch der Ilias hinlänglich wäre, eine solche Manier zu filosofieren nach Würden zu belachen? Und in was für ein unendliches und unermeßliches Wiehern müßten erst die besagten Götter (die über ihren neuen, dienstfertig von einem zum andern herum hinkenden Mundschenken so entsetzlich lachen konnten) ausbersten, wenn sie ein Paar gravitätische Leute unter den Wolken, über Dinge wovon sie nichts verstehen noch wissen können, im höchsten Ernst so possierlich irre reden hörten? Gleichwohl läßt Plato den guten alten Sokrates, seinen ganzen Sterbetag über, in diesem Geschmack dialogieren, und der ganze Diskurs dreht sich immer um diesen feinen Beweis herum. Und welch ein Beweis! Aus einer Indukzion, die am Ende auf ein bloßes Spiel mit Worten hinaus läuft, und auf dem grundlosen Vorgeben beruht: Wenn zwey einander entgegengesetzte Dinge auf einander folgen, so entstehen sie aus einander! Diesem Grundsatz zu Folge könnt' er uns eben so bündig beweisen, ein Hungriger müsse nothwendig satt werden, wenn er gleich nichts zu essen hat, oder die alte Hekube müsse wieder jung und eine zweyte Helena werden; denn Hunger und Sättigung, Alter und Jugend, Runzeln und Schönheit sind einander entgegengesetzt und folgen auf einander, müssen also eben so nothwendig aus einander entspringen, als das Wachen aus dem Schlafen und das Leben aus dem Tode. Der Beweis müßte sich gut ausnehmen, wenn er, nach dem obigen Muster, in kurzen Fragen und Antworten, mit möglichstes Langweiligkeit geführt würde! – Und dennoch hat der sinnreiche junge Mensch in seiner subtilen Einbildungskraft Mittel gefunden uns etwas noch Lächerlicheres zum Besten zu geben. Wenn er beweisen könnte, meint er, daß unsre Seelen vor diesem Leben schon irgendwo da gewesen wären, so hätte er damit so gut als bewiesen, daß sie auch nach demselben irgendwo seyn könnten. Und wie führt er diesen Beweis? Alle Menschen, sagt er, bringen eine Art von Begriffen mit auf die Welt, die sie weder durch ihre eigenen Sinne noch durch fremden Unterricht erlangen. Wer daran zweifelt, lege nur dem ersten besten Kinde von drey oder vier Jahren Fragen vor, zu deren Beantwortung nichts als gemeiner Menschenverstand erfordert wird, und das Kind, wenn es recht gefragt, das heißt, wenn ihm die Antwort auf die Zunge gelegt wird, wird auch allemahl die rechte Antwort geben. Man zeige ihm z. B. zwey Stücke Holz von ungleicher Größe, und frage: sind diese Stücke Holz gleich groß? so wird es ohne Anstand mit Nein antworten. Wie könnt' es aber das, wenn es nicht schon einen Begriff von der absoluten Größe und Gleichheit hätte, den ihm doch gewiß weder seine Amme noch sein Pädagog beygebracht haben? Woher also könnte das Kind den Begriff vom Großen und Gleichen an sich, das weder Holz noch Stein noch irgend etwas anderes in die Sinne fallendes ist, sondern bloß, als das für sich bestehende Große und Gleiche, mit dem Verstande angeschaut werden kann, woher könnt' es diesen Begriff haben, wenn es ihn nicht schon vor seiner Geburt, also in einem vorhergehenden Leben, bekommen hätte? Und wie hätte es ihn auch in diesem erhalten können, wenn es nicht in einer Welt gelebt hätte, wo Groß und Gleich, Rund und Eckicht, Warm und Kalt, kurz alle durch die Sprache bezeichnete abstrakte und allgemeine Begriffe, wie sie Nahmen haben mögen, als selbstständige, wiewohl unkörperliche und übersinnliche Wesen, eine uns Sterblichen unbegreifliche Art von Existenz haben, oder vielmehr die einzigen wahrhaft und ewig existierenden Dinge (τα οντως οντα) sind? In dieser unsichtbaren Welt lebten einst unsre Seelen, mitten unter diesen, nur dem reinen Verstand anschaubaren Dingen, das wahre Geister- und Götterleben; und vermuthlich wird uns Plato (der in diesem Lande Nirgendswo ganz zu Hause zu seyn scheint) künftig noch offenbaren, wie es zugegangen. daß unsre besagten Seelen aus einem so herrlichen Zustande in den schlammichten Pfuhl der Materie herabgeworfen, und in thierische Körper, als in eine Art von dunkeln unterirdischen Kerkern (wie er sagt) eingesperrt worden, wo sie durch die fünf Sinne, als eben so viele Spalten in der Mauer, die Schatten jener wirklichen Wesen erblicken, und bey diesen wesenlosen Erscheinungen sich jener, wiewohl nur dunkel, wieder erinnern. Genug vor der Hand, daß es so und nicht anders ist, und daß, nach Platons positiver Versicherung, nichts thörichter und erbärmlicher seyn kann, als der unglückliche Wahn, worin wir andern gemeinen Menschen befangen sind, als ob die Erde, worauf wir herum kriechen, die wahre Erde, und das Scheinleben in dieser Sinnenwelt, zu Korinth, Ägina oder Milet, wo wir uns (unter den gehörigen Bedingungen) sehr wohl zu befinden glauben, das wahre Leben sey. Nichts weniger! Im Gegentheil, es ist ein so elender Zustand, daß der ärmste Sklave in den Bergwerken von Laurium, wenn er wie Plato filosofieren könnte, unendlich glücklicher wäre, als mein Freund Aristipp an einem mit allem, was Land und Meer köstliches hat, besetzten Tische, der schönen Lais gegenüber, in der auserlesensten, fröhlichsten Gesellschaft und unter den angenehmsten Unterhaltungen. Kurz, so lange unsre Seelen, an den Leib gefesselt, in den finstern Höhlen und Grüften dieser unterirdischen Erde schmachten, und bis sie durch den Tod – der aber freylich nur dem Platonisierenden Filosofen ein freundlicher Genius ist – wieder ins wahre Leben geboren, und zum Anschauen und unmittelbaren Umgang mit den sämmtlichen Nenn- und Zeit- auch Vor- und Verbindungswörtern an sich emporgestiegen seyn werden, ist (außer dem filosofischen Tod, wodurch der Platonische Weise sich bereits in dem gegenwärtigen Scheinleben eine freylich noch etwas ärmliche Art von Existenz verschaffen kann) an kein wahres Leben, geschweige an etwas, das den Nahmen Glückseligkeit verdiente, zu gedenken.

Frage doch die schöne Lais in meinem Nahmen, wie sie sich in der Gesellschaft dieser Platonischen Stammwesen, zwischen der selbstständigen Langweile und dem absoluten Hojahnen, gefallen würde, und sie wird mir hoffentlich zu gut halten, daß ich mich über solche Hirngespenster nicht ernsthafter erkläre. In der That kann ich es mir selbst kaum verzeihen, daß ich mich so lange dabey aufgehalten, zumahl da ich mich dadurch so verstimmt habe, daß ich dir nichts weiter zu schreiben weiß, als daß ich vor wenigen Tagen zu Samos angekommen bin, und durch die gute Besorgung meines Freundes Zenodor sogleich eine bequeme Wohnung bezogen habe, worin ich dich je eher je lieber zu bewirthen hoffe.


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