Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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III.
Aristipp an Eurybates.

Der schöne Lysanias hat sich durch sein sittsames, anmuthiges und gefälliges Wesen bereits nicht weniger Freunde in Cyrene erworben als Personen sind, mit welchen er bekannt zu werden Gelegenheit hatte. An einem jungen Cekropiden sind dieß so seltene Tugenden, daß man beynahe, wo nicht an seiner Attischen Autochthonie, wenigstens an seiner Erziehung in Athen zweifeln müßte, wenn er nicht von so vielen andern Seiten eine Bildung zeigte, die man in seinem Alter nur zu Athen erhalten haben kann. Mit Einem Worte, Freund Eurybates, die Grazien haben ihm bey seiner Geburt zugelächelt und ihn mit der Gabe zu gefallen beschenkt, der köstlichsten aller Göttergaben, die ihrem Besitzer in allen Verhältnissen des Lebens unzählige Vortheile bringt, und nur dann gefährlich wird, wenn er sich selbst zu sehr gefällt. Bis itzt scheint unser junger Freund von dieser Untugend völlig frey zu seyn; nichts an ihm verräth daß er sich seiner Liebenswürdigkeit bewußt sey; im Gegentheil beweiset die Art, wie er das Wohlgefallen, so wir Alle an ihm haben, aufnimmt, daß er, weit entfernt es für einen schuldigen Tribut zu halten, uns vielmehr dafür, als für eine ganz freywillige Äußerung unserer Gutherzigkeit und Wohlmeinung mit ihm, verbunden zu seyn glaubt. Daß er in dieser schönen Unbefangenheit erhalten, und weder durch zu vieles Liebkosen verzärtelt, noch durch Schmeicheley eitel und einbildisch gemacht werde, soll eine der angelegensten Sorgen aller derer seyn, denen du dieses edle Gewächs zu pflegen anvertraut hast. Wir fühlen den ganzen Werth deines Zutrauens, und werden uns beeifern es zu rechtfertigen. Inzwischen vereinigen sich Musarion und Kleone mit Kleonidas und mir, der schönen Droso zu danken, daß sie unsern Freund Eurybates mit einem so liebenswürdigen Erben beschenkt hat, und bitten Sie versichert zu seyn, daß es nicht an ihrem guten Willen liegen soll, wenn er seine geliebte Mutter in Cyrene nicht doppelt wieder gefunden zu haben glauben wird.

Du siehest ohne mein Erinnern, daß sechzehn Jahre das Alter nicht sind, wo das Landleben für einen in Athen aufgewachsenen Abkömmling von Kodrus einen überwiegenden Reitz haben könnte. Es wird aber auch zu deiner Absicht genug seyn, wenn er nur, durch öftre Abwechslung des städtischen Lebens mit dem ländlichen, das Nützliche sowohl als das Angenehme des letztern immer besser kennen und schätzen lernt. Der Werth, den er uns auf die Arbeiten des Landmanns, auf Feldbau, Baumzucht und alle Arten von Anpflanzungen, legen sieht, wird ihn immer aufmerksamer auf diese Gegenstände machen; er wird sehen, bemerken, fragen, auch wohl zuweilen selbst Hand anlegen, und so unvermerkt zu Kenntnissen kommen, die er, sobald der Anfang einmahl gemacht ist, bey jeder Gelegenheit zu vermehren suchen wird. Ich sehe mit Vergnügen, daß sich zwischen ihm und Kratippus, dem ältesten Sohn meines Bruders, eine gegenseitige Zuneigung entspannt, die zu einer dauerhaften Freundschaft zu erwachsen verspricht. Mein Neffe hat fünf oder sechs Jahre mehr als dein Sohn, und weiß sich des kleinen Ansehens, so ihm dieser Vorsprung giebt, mit so guter Art zu bedienen, daß er wirklich mehr über ihn vermag als wir andern alle. Lysanias zeigt eine Anhänglichkeit an seinen ältern Freund, von welcher sich viel Gutes um so gewisser erwarten läßt, weil Kratippus nichts liebkosendes in seinem Betragen hat, und für die Lebhaftigkeit eines jungen Atheners eher zu trocken scheinen könnte. Wahrscheinlich wird diese Vorliebe zu meinem Neffen deinen Absichten förderlicher seyn, als alles was wir Ältern dazu beytragen können. Mein Bruder besitzt große und einträgliche Ländereyen in allen Gegenden der Cyrenaika, und Kratippus hat sich aus angebornem Hang zum thätigen Landleben der Verwaltung der väterlichen Güter gänzlich gewidmet. Dieß veranlaßt häufige kleine Reisen und einen längern oder kürzern Aufenthalt bald auf diesem bald auf jenem Gute. Lysanias, der nicht lange ohne seinen Freund leben kann, hat ihn also schon mehrmahls begleitet, und findet an diesen landwirthschaftlichen Reisen, die ihm in einem der fruchtbarsten und angebautesten Striche des Erdbodens immer neue und anziehende Gegenstände, Ansichten und Genüsse verschaffen, so viel Belieben, daß wir eher auf Mittel denken müssen, ihn in der Stadt zurück zu halten als ihm Neigung zum Landleben einzuflößen. Indessen, da es bey diesen Landpartien weniger um Ergetzlichkeiten als um Geschäfte zu thun ist, und unser junger Gastfreund jedesmahl gelehrter, verständiger und gesetzter zurück kommt, ohne einen andern Nachtheil davon zu haben, als daß die etwas mädchenhafte Gesichtsfarbe, die er nach Cyrene brachte, unvermerkt eine bräunliche Schattierung gewinnt; so halten wir es für besser ihn hierin seiner eigenen Willkühr zu überlassen, und werden dennoch alles so einzurichten wissen, daß die übrigen Zwecke seines Hierseyns nicht vernachlässiget werden sollen.

Seit kurzem, lieber Eurybates, habe ich auch von Learch einen Brief erhalten, der mir über das Schicksal unsrer armen Lais nicht mehr Licht noch Trost giebt als der deinige. Wenn sie nirgends gefunden werden kann, und niemand etwas zuverlässigeres von ihr zu sagen hat, als daß sie aus Pandasia, ihrem letzten Aufenthalt, plötzlich verschwunden sey; wenn der Taugenichts, dem sie sich aufgeopfert, sie in einer Lage verlassen hat, wo ihr keine andere Wahl blieb, als entweder die Hülfe ihrer Freunde anzunehmen – oder zur Schmach einer gewöhnlichen Hetäre herab zu sinken – oder zu sterben – so weiß ich was sie gewählt hat. O mein Freund, der Stolz dieses so hochbegabten außerordentlichen Weibes hatte keine Grenzen; er mußte ihr in einer solchen Lage das Herz brechen, und – es brach! Das meinige sagt es mir – Sie hat gelebt! – Und wohl hat Sie, in der schönsten Hora des Lebens, gelebt, wie nur wenigen von Göttern Gezeugten oder ohne Maß Begünstigten zu leben vergönnt wird; und was auch das Loos ihrer letzten Tage war, über die Natur und das Glück hatte sie sich nicht zu beklagen; denn schwerlich haben Beide jemahls zugleich so viel für eine Sterbliche gethan als für sie. Ob sie nicht mit den Geschenken von beiden besser hätte haushalten können? – ist eine Frage, welcher die Freundschaft itzt, da ihr Schicksal entschieden ist, auszuweichen strebt. – Vielleicht hätten wir weniger schonend mit ihr umgehen sollen, da sie noch glücklich war? – Diesen Vorwurf habe ich mir selbst schon mehr als Einmahl gemacht, und kann jedesmahl nicht umhin, mir selbst zu antworten: es würde vergebens gewesen seyn; denn schwerlich hat man je ein Weib gesehen, die mit einer so zauberischen Sanftheit und Geschmeidigkeit eine so eisenfeste Beharrlichkeit auf ihrer Meinung, und mit einem so hellen Blick und scharfen Urtheil eine so unerschöpfliche Gabe sich selbst zu täuschen und ihre eigene Vernunft (wenn ich so sagen kann) zu überlisten, vereinigt hätte.

Ob wir gleich wohl thun, uns unaufhörlich zu sagen, es hange immer von unserm Willen ab, recht zu handeln oder nicht: so scheint doch – wenn wir den Menschen betrachten, so wie er, in unzähligen, ihm selbst größten Theils unsichtbaren Ketten und Fäden an Platons großer Spindel der Anangke hangend, von eben so unsichtbaren Händen in das unermeßliche und unauflösliche Gewebe der Natur eingewoben wird – so scheint, sage ich, nichts gewisser zu seyn, als »daß ein Jedes ist was es seyn kann, und daß es unter allen den Bedingungen, unter welchen es ist, nicht anders hätte seyn können.« Lais selbst hielt sich nur zu gut hiervon überzeugt. »Da ich nun einmahl Lais bin (schrieb sie in ihrem letzten Brief an Musarion) so ergebe ich mich mit guter Art darein, und kann nicht wünschen, daß ich eine Andere seyn möchte.« – Auch mir, lieber Eurybates, wird es, je mehr ich alles erwäge was hier zu erwägen ist, immer einleuchtender, daß der Ausgang, den das genialisch fröhliche, schimmernde und vielgestaltige Drama ihres Lebens nahm, dazu gehörte, wenn sie bis ans Ende Lais seyn sollte. Ich möchte sagen, das Schicksal war es gewisser Maßen der Menschheit schuldig; sie mußte fallen; aber ich bin gewiß sie fiel wie die Polyxena des Euripides, »selbst im Fallen noch besorgt keine Blöße zu zeigen.« Nichts wäre ihr unerträglicher gewesen als vor irgend einem Auge, das einst Zeuge ihrer Glorie war, als ein Gegenstand des Mitleidens zu erscheinen. Die Art, wie sie verschwand, war die letzte Befriedigung ihres Stolzes: wir werden nichts mehr von ihr hören.

Du siehest, guter Eurybates, wie ich bey diesem traurigen Ereigniß mein Gefühl zu beschwichtigen suche. Aber die Natur behauptet ihr Recht darum nicht weniger; es kommen Augenblicke, da ich, wenig stärker als Musarion (deren Thränen um ihre geliebte Freundin und Wohlthäterin so bald nicht versiegen werden) eine Art von Trost darin finde meinem Schmerz nachzuhängen; Augenblicke, da die schöne Unglückliche in aller ihrer Liebenswürdigkeit vor mir steht, und einen Glanz um sich her wirft, worin jede Schuld verschwindet und Flecken selbst zu Reitzen werden. In solchen Augenblicken möcht' ich mit dem Schicksal hadern, daß es einen so düstern Schatten auf das herrliche Götterbild fallen ließ; und die vom Herzen bestochne Einbildungskraft spiegelt mir eine trügerische Möglichkeit vor, wie alles anders hätte gehen können; bis endlich die Vernunft das gefällige Duftgebilde wieder zerstreut, und mich, wiewohl ungern, zu gestehen nöthigt: es habe dennoch so gehen müssen, und, wie unbegreiflich uns auch die Verkettung unsrer Freyheit mit dem allgemeinen Zusammenhange der Ursachen und Erfolge seyn möge, immer bleibe das Gewisseste, daß das ewige, mit der schärfsten Genauigkeit in die Natur der Dinge eingreifende Räderwerk des Schicksals nie unrichtig gehen kann.


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