Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Lais an Aristipp.

Es ist vielleicht glücklich für dich, lieber Aristipp, daß du länger in Cyrene aufgehalten wirst als du hofftest; denn die Sachen in der Minervenstadt haben indeß eine Wendung genommen, die sich niemand einbilden konnte. O die Athener, die Athener! Wie verhaßt ist mir jetzt dieser Nahme! Ich verbiete allen, die um mich sind, ihn auszusprechen, und er soll in den nächsten fünf Jahren nicht über meine Lippen kommen. Kannst du glauben daß die Elenden unmenschlich genug seyn konnten? – die Hand versagt mir fortzufahren – O daß ich nicht Circe, nicht Medea, nicht der Erinnyen eine bin! – Und wenn ich dir erst sage, warum sie ihn verurtheilt haben, und wie wild es dabey zugegangen ist! – Sokrates hielt es (mit Recht) seiner unwürdig, sich auf die boshaft alberne Anklage in eine Vertheidigung in gewöhnlicher Form einzulassen, gab auch nicht zu, daß einer von seinen Freunden für ihn aufträte. In der That (nach dem, was man mir davon erzählt hat, zu urtheilen) ist nie etwas jämmerlicheres gehört worden, als die Beweise, womit der Schwätzer Melitus seine Anklage gut zu machen suchte. Sokrates hörte ihm lachend zu, und fand, sie bedürften keiner Widerlegung, da er sich auf die eigene Überzeugung der Richter berufen könne. »Mein ganzes Leben, sagte er, ist die vollständigste Antwort auf die Beschuldigungen meiner Ankläger.« – Die ehrsamen Heliasten fanden sich durch die Kürze dieser Apologie beleidigt. Welcher Trotz, sagten sie unter einander, welcher Übermuth! das ist nicht zu dulden, das muß bestraft werden, wenn er auch sonst nichts verbrochen hat. Sie schritten zum Urtheil, und der Beklagte wurde mit 281 Steinen von 500 für schuldig erklärt. Weil es indessen doch ihre Meinung war, ihn, wenn er um Milderung der Strafe bäte, mit einer Geldbuße davon kommen zu lassen, so fragte man ihn, was er für eine Strafe verdient zu haben glaube? »Lebenslänglich im Prytaneum unterhalten zu werden,« war seine Antwort. Dieß brachte die Richter dermaßen auf, daß sie unter großem Lärm zu einer nochmahligen Stimmgebung schritten, wo sich dann ergab, daß er mit 360 Steinen zum Tode verurtheilt war. Dabey blieb es, und er wurde sofort in das öffentliche Gefängniß abgeführt. Der Tag seines Todes ist, einer alten Gewohnheit zu Folge, auf die Wiederkunft des heiligen Schiffes ausgesetzt, welches alle Jahre mit den Abgeordneten der Republik zum Andenken der berühmtesten Heldenthat des Theseus nach Delos geschickt wird. Seine Freunde haben indeß die Freyheit ihn täglich zu besuchen, und er unterhält sich mit ihnen, auf seine gewohnte Art, so unbefangen und heiter, als ob das was ihm bevorsteht, nur eine kleine Reise nach Ägina wäre.

Alle diese Umstände habe ich von sehr guter Hand, und auch diesen, daß sein vertrautester alter Freund Kriton (der sehr reich seyn soll) alles mögliche angewandt habe, ihn zu bewegen, daß er sich von ihm befreyen und außer Landes in Sicherheit bringen lassen möchte. Aber Sokrates sey unerschütterlich auf seinem Vorsatz beharret sich dem Urtheil seiner gesetzmäßigen Richter nicht zu entziehen. »Ich bleibe, habe er gesagt, um den Gesetzen meines Vaterlandes, denen ich Gehorsam schuldig bin, genug zu thun; so sterbe ich schuldlos, wie ich gelebt habe; durch die Flucht würde ich den Tod verdienen, den ich jetzt unschuldig leide.«

Ich muß aufhören, Aristipp – bleibe immerhin wo du bist; wenn du auch herüber fliegen könntest, was würd' es helfen? Ich danke den Göttern, daß sie dir den Schmerz, ein Zeuge seines Todes zu seyn, erspart haben. – Und doch – wenn's möglich ist, so komm! komm je eher je lieber! Du kannst zwar deinem alten Freunde nichts helfen; aber ich bedarf deiner. Du allein kannst die schwarzen Wolken zerstreuen, die mein Gemüth verdüstern und zusammendrücken.


 << zurück weiter >>