Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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IX.
Lais an Aristipp.

Ich bin nun einmahl, wie es scheint, dazu geboren, lieber Aristipp, eine sonderbare Rolle in der Welt zu spielen, und am Ende ist es auch so übel nicht, in seiner Art einzig zu seyn: aber daß ich in Gefahr kommen könnte, von den Söhnen des Hippokrates in das Register ihrer Heilmittel gesetzt und als ein unfehlbares Specifikum gegen die Nymfolepsie verschrieben zu werden, das hättest du dir wohl nie einfallen lassen?

Im Grunde bin ich mit aller meiner eingebildeten Überlegenheit doch nur eine gutherzige Thörin, die ihr nur bey ihrer Großmuth zu fassen braucht, um alles was ihr wollt aus ihr zu machen. Das unangenehmste dabey ist indessen die leidige Berühmtheit, die ich mir durch die bloße Gutartigkeit meiner Natur zuziehe; eine Tugend, welche unsre edeln korinthischen Matronen sich schlechterdings nicht zu erklären wüßten, wenn sie ihr nicht die einzige Unterlage gäben, die ihnen (vermuthlich aus eigener Erfahrung) bekannt ist. Wirklich hat das seltsame Abenteuer, das mir in diesen Tagen zustieß, ein solches Aufsehen in dieser volkreichen und geschäftvollen Stadt erregt, daß in allen Gesellschaften, auf allen Marktplätzen und unter allen Hallen von nichts anderm, als von der Wunderkur, die ich an einem edeln Aspendier verrichtet haben soll, geplaudert wird; aber wie, und mit welchen Beywerken und Verzierungen, kannst du dir vorstellen. Daß eine Person, die sich einer beynahe zwölfjährigen Freundschaft mit dem weisen Aristipp zu rühmen hat, das alles nicht voraussehen konnte! – Freylich! – Aber was zu thun? Die Thorheit, wofern es eine war, ist nun einmahl begangen, und ich bin es so überdrüßig, überall wo ich mich blicken lasse, schon auf dreyhundert Schritte weit, alle Zeigefinger und Spitznasen nach mir hingelüftet zu sehen, daß mich dieses Übermaß von Celebrität (unter uns gesagt) ein paar Monate eher als gewöhnlich nach Ägina treiben wird. Doch es ist hohe Zeit, dir durch eine offenherzige Erzählung aus dem Wunder zu helfen, worin ich deine Einbildungskraft schon zu lange schweben lasse.

Du erinnerst dich ohne Zweifel der Venus von Skopas, welcher ich in der ersten Blüthe meiner Jugend zum Urbild dienen mußte. Skopas hatte mit meiner Bewilligung das Modell dieser Bildsäule behalten, aber (wie es zu gehen pflegt) durch die Zusage, keine Nachbilder davon zu machen, nicht so streng gebunden zu seyn vermeint, daß er sich nicht erlaubt hätte, deren mehrere zu verfertigen und als Ideale seiner eigenen Erfindung zu verhandeln. Zufälliger Weise kam eines dieser Bilder nach Aspendus, einer ansehnlichen Stadt in Pamfylien (die du vielleicht auf deinen Wanderungen gesehen hast) und gerieth dort in die Hände eines reichen Mannes, der sie unter andern von ihm gesammelten Kunstwerken in einer Halle seines Hauses aufstellte. Chariton, der einzige Sohn dieses Mannes, ein Jüngling von siebzehn Jahren, und der letzte Sprößling eines alten um Aspendus wohl verdienten Hauses, hatte das seltsame Unglück, in eine heftige Leidenschaft für die marmorne Göttin zu fallen. Trotz aller Gewalt, womit der junge Mensch diese lächerliche Liebe zu bekämpfen strebte, nahm sie von Tag zu Tag zu; und er verfiel nach und nach in eine Schwermuth, welche durch die Unmöglichkeit, seine Sehnsucht nach Gegenliebe jemahls befriedigt zu sehen, zuletzt in gänzlichem Wahnsinn und unheilbarer Tollheit endigte. Der hartnäckige aber sehr natürliche Eigensinn des verschämten Jünglings, die Ursache seiner Krankheit schlechterdings niemand entdecken zu wollen, hatte ohne Zweifel nicht wenig beygetragen, daß es so weit mit ihm kam. Man ward nur desto aufmerksamer auf ihn, sein trauriges Geheimniß wurde ihm abgelauscht, und die gefährliche Bildsäule auf die Seite gebracht, in Hoffnung daß eine so widersinnige Leidenschaft, wenn sie durch das Anschauen und Betasten ihres Gegenstandes nicht länger genährt würde, nach und nach von selbst erlöschen müßte. Aber gerade dieses Mittel vollendete das Unglück, und die Raserey des armen Chariton stieg endlich auf den höchsten Grad. Jahrelang war die Kunst aller Arzneymänner in Pamfylien, Lycien und Karien an ihm zu Schanden geworden, als endlich ein zufällig nach Aspendus verirrter Arzt von Kos sich bewegen ließ, den letzten Versuch an ihm zu machen, und auf den Einfall gerieth, ob nicht vielleicht ein lebendes Urbild der fatalen Bildsäule vorhanden seyn möchte, zu welchem der unglückliche Jüngling durch die Gewalt einer geheimen Sympathie unwiderstehlich hingezogen würde. Denn man fand es unbegreiflich, daß ein bloßes Fantasiewerk des Künstlers eine so heftige Leidenschaft hätte bewirken können. Wiewohl nun die vermuthete Sympathie im Grunde nicht begreiflicher war, so ruhte doch der alte Charidemus (so nennt sich der Vater des Unglücklichen) nicht, bis er den Aufenthalt des Skopas entdeckt und ihm die Eröffnung abgedrungen hatte, daß die Venus, die so viel Unheil in dem Gehirne seines Sohnes anrichtete, ein getreues Nachbild der schönen Lais zu Korinth sey, deren Ruf von Sardes aus durch ganz Asien erschollen war. Sogleich ist des Vaters Entschluß gefaßt; er miethet ein Schiff, läßt den Kranken und den Arzt an Bord bringen, und segelt mit dem ersten günstigen Winde der Pelopsinsel zu. Man hatte ihm schon in Rhodus, wo er unterwegs anlandete, nicht verhalten, daß er zu Korinth größere Schwierigkeiten finden würde als er sich einzubilden schien. Man schilderte ihm in der Schönen, auf deren Hülfe er so sichre Rechnung machte, eine eben so stolze als reiche Hetäre, deren Thür von der edelsten Jugend der ganzen Hellas vergeblich belagert werde; es wäre, sagte man, eben so leicht, den Wind in einem Fischernetze zu fangen, als ihr die kleinste Gunsterweisung mit allem Golde des Paktols abzukaufen. Aber der Aspendier, dem es seinen einzigen Sohn galt, ließ sich nicht abschrecken; kurz, er langte zu Ende des verwichnen Anthesterions glücklich im Kenchräischen Hafen an. Stelle dir vor, Aristipp, wie ich überrascht wurde, als auf einmahl ein unbekannter Fremder von ziemlich ehrwürdigem Ansehen vor mir erschien, mir unter vielen Entschuldigungen entdeckte wer er sey, und um Erlaubniß bat mir ein Anliegen zu eröffnen, von dessen Erfolg die Erhaltung seines einzigen Sohnes abhange. Aber als er mir nun vollends den kläglichen Fall selbst vortrug, und mich kniefällig bey allen Göttern beschwor, ihm meine Hülfe in dieser äußersten Noth nicht zu versagen, – kannst du mich tadeln, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um dem treuherzigen Aspendier, der Thränen ungeachtet, die über seine eingefallenen Wangen herabrollten, nicht gerade ins Gesicht zu lachen? Ich raffte indessen doch in der Eile so viel Ernsthaftigkeit zusammen als nöthig war, das Lachen noch zu rechter Zeit in ein holdes Lächeln zu verschmelzen, womit ich meiner Antwort bloß das Herbliche benehmen zu wollen schien. Was für eine Hülfe, sagte ich, kannst du dir in einem so seltsamen Falle von mir versprechen? Ich verstehe mich nicht auf die Heilkunst; und besäße ich auch alle Kenntnisse eines Melampus, Machaon und Podalirius, so wäre noch immer die Frage, ob sie hinreichten das Wunder zu thun, das du von mir erwartest. – O gewiß, rief er, vermagst du mehr als Melampus, Machaon und Podalirius, ja als Chiron und Äskulap und der Wundarzt der Götter Päeon selbst. – Unbegreiflich! versetzte ich mit einer so unschuldigen Miene, daß ihm alles was er noch sagen wollte, aus Verwunderung oder Verlegenheit, in der Kehle stecken blieb. Der Arzt, den er mitgebracht hatte (ein sehr verständiger Mann, wie sichs in der Folge zeigte) eilte seinem Patron zu Hülfe, entschuldigte sehr ehrerbietig ihre Freyheit mich so unangekündigt zu überfallen mit der Besorgniß abgewiesen zu werden, und schränkte sich auf die bloße Bitte ein, daß ich ihm die Gunst erweisen möchte, zu einer mir gelegenen Stunde anzuhören, was er mir im Nahmen seines Patrons vorzutragen hätte. Bey dergleichen Anlässen pflegt meine Gutherzigkeit, oder wie du es sonst nennen willst, der Überlegung gewöhnlich einige Schritte zuvor zu eilen. Ich ersuchte also die Fremden, wofern sie nichts besseres zu versäumen hätten, sich sogleich eine Wohnung in meinem Hause gefallen zu lassen, welches, wie du weißt, Raum und Bequemlichkeit genug hat, um zur Noth einen Persischen Satrapen zu beherbergen; und mein Erbieten wurde, nachdem sie sich so viel, als die Aspendische Urbanität erforderte, gesträubt hatten, mit dankbarem Entzücken angenommen.

Sobald meine Gäste von dem angewiesenen Flügel des Hauses Besitz genommen hatten und gehörig bewirthet worden waren, ließ der Arzt (der sich Praxagoras nennt, und ein Anverwandter und Schüler des berühmten Hippokrates ist) sich erkundigen, ob es mir jetzt gelegen wäre ihm ein geheimes Gehör zu verwilligen. Er wurde sogleich in mein Kabinet geführt, und, wiewohl er ein gesetzter und schon etwas bejahrter Mann ist, schien er doch, da er sich allein mit mir sah, in einige Verwirrung zu gerathen, wußte sich aber sehr bald mit einer Bescheidenheit und guten Art heraus zu ziehen, die ein sehr günstiges Vorurtheil für ihn erweckten. Ich läugne nicht, fing er an, daß wir mit einer Art von Plan und Erwartung hierher gekommen sind; aber es bedurfte auch nichts als deinen ersten Anblick, um zu sehen daß von allem dem nicht mehr die Rede seyn könne. Alles, warum ich dich also im Nahmen des unglücklichen Vaters zu bitten wage, ist, daß es mir erlaubt werde, dich durch eine ausführliche Darstellung unsers in seiner Art vielleicht einzigen Falles in den Stand zu setzen, den Grad des Mitleidens Selbst zu bestimmen, den, wie ich nicht zweifle, die Güte deines Herzens uns nicht versagen wird.

Auf diesen hinterlistigen Eingang machte er mir nun, nachdem ich ihn mit aller geziemenden Holdseligkeit dazu aufgemuntert hatte, eine umständliche und (lache nicht, Aristipp) wirklich rührende Erzählung von der ganzen Geschichte der seltsamen Krankheit des jungen Charitons, wovon ich, da es mir nicht um einen Angriff auf deine Mildherzigkeit zu thun ist, zu dem, was ich dir von ihrem Ursprung und Fortgang bereits berichtet habe, nur so viel hinzu thun will, als des Zusammenhangs wegen nöthig zu seyn scheint.

Nach mancherley vergeblichen Versuchen, welche von verschiedenen Ärzten und Quacksalbern an dem zerrütteten Jüngling gemacht worden, war es endlich demjenigen, unter dessen Aufsicht er sich gegenwärtig befindet, gelungen, die Raserey, die ihm nur selten Ruhe ließ, zu einer stillern Art von Wahnsinn herabzustimmen; so daß man wieder zu hoffen anfing, er könnte durch eine behutsame und schonende Behandlung vielleicht wiederherzustellen seyn. Seine Fantasie wurde zwar noch immer von einer einzigen Vorstellung tyrannisch beherrscht; aber sie nahm unvermerkt einen weniger unordentlichen Gang, und bestrebte sich eine Art von scheinbarem Zusammenhang in ihre Fieberträume zu bringen. Das gewöhnlichste war jetzt, daß er die Bildsäule, die all dieß Unheil angerichtet hatte, mit einer wirklichen Person verwechselte, und in den hellern Augenblicken, die jetzt öfter als sonst kamen und länger dauerten, sich fest in den Kopf setzte, seine Geliebte sey ihm von einem feindseligen Dämon oder boshaften Zauberer geraubt, und durch magische Künste in ein Marmorbild verwandelt worden. Auf diesen Wahn hatte nun Praxagoras, nachdem einige andere Versuche, denselben zum Vortheil des Kranken zu benutzen, fehlgeschlagen, zuletzt den Plan gebaut, bey dessen Ausführung ich Unschuldige (wie es scheint) die Hauptrolle spielen sollte. Er wußte unvermerkt die Einbildung in ihm zu erwecken, es lebe auf einer unbewohnten Insel des Griechischen Meeres eine mächtige und wohlthätige Nymfe und Zauberin, durch deren Beystand er wieder zum Besitz seiner Geliebten gelangen könne. In dieser Hoffnung hatte sich der arme Chariton ziemlich ruhig zu Schiffe bringen lassen; während der ganzen Reise war er meistens still und in sich selbst gekehrt geblieben, und nun, da er in dem Palast der magischen Nymfe angekommen zu seyn glaubte, schien er mit Ungeduld und argwöhnischem Mißtrauen, welche alle Augenblicke einen stürmischen Ausbruch besorgen ließen, des Erfolgs, worauf man ihn vertröstet hatte, gewärtig zu seyn.

Praxagoras beschloß seine Erzählung mit der nochmahligen Erklärung: daß sie alles, was in diesem so weit außer dem gewöhnlichen Wege liegenden Vorfall zu thun seyn möchte, meiner Weisheit und Großmuth unbedingt überließen. Die Weisheit war hier zu viel, wirst du denken; wenigstens mußte ich mich durch ein so feines Kompliment aufgefordert fühlen, diese Weisheit nun auch zu behaupten, die man mir so uneigennützig geliehen hatte. Ich antwortete also nach einer kleinen Pause: Wiewohl weder ich, noch mein Bild, noch der Bildhauer Skopas, von irgend einem Gerichtshof in der Welt für dieses ohne Zuthun unsers Willens veranlaßte Unglück verantwortlich gemacht, und zu irgend einer Art von Vergütung desselben verurtheilt werden könnten, so fühlte ich mich doch aus Menschlichkeit geneigt, und gewisser Maßen sogar verpflichtet, alles, was billiger Weise von mir erwartet werden könnte, zum Troste des bedauernswürdigen Vaters beyzutragen. Durch einen glücklichen Zufall (fuhr ich fort) befindet sich die Bildsäule, die wir nöthig haben werden, eben hier in diesem Hause, da sie sonst in einem Gartensahle meines Landguts zu Ägina zu stehen pflegt. Wie meinst du, wenn wir einen Versuch machten, was ihr unverhoffter Anblick – Aber beynahe hätte ich vergessen, daß ihr eine Zauberin mit ins Spiel gezogen habt, deren Erscheinung uns jetzt unentbehrlich ist, da der Kranke alle seine Hoffnung auf ihren Beystand baut. Auch diese ist gefunden. Es leben etliche junge Korinthierinnen unter meiner Aufsicht, von welchen Eine ganz das ist, was wir nöthig haben; ein schönes Mädchen, von prächtiger Gestalt, und reichlich mit jedem heroischen Reitz begabt, der sie zur Darstellung einer Medea oder Circe geschickt machen kann. Ich werde sie, weil Gefahr im Verzug ist, ungesäumt in der Rolle, die sie zu spielen hat, unterrichten, und sie in einem so blendenden Kostum vor unserm Nymfolepten erscheinen lassen, daß wir unsre gute Absicht schwerlich verfehlen werden.


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