Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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II.
An Aritades, seinen Vater.

Nach einer glücklichen und größten Theils angenehmen Reise befinde ich mich seit zehn Tagen in dem reichen, gewerbevollen, prächtigen und wollüstigen Korinth, wo ich von dem EupatridenEupatriden. Die Staatsverfassung von Korinth war, seit der Alleinherrschaft Perianders, (des zweydeutigsten unter den sieben Weisen) oligarchisch, d. i. die Regierung befand sich hauptsächlich in den Händen einer kleinen Anzahl alter und begüterter Geschlechter, deren Ursprung sich zum Theil in den heroischen Zeiten verlor, und die sich durch den Beynahmen Eupatriden (Wohlgeborne) von den Plebejischen unterschieden. Learchus, vermöge der alten Gastfreundschaft, die seit Perianders Zeiten zwischen unsern Familien besteht, mit der gefälligsten Freundlichkeit aufgenommen wurde. Meine erste Sorge war, mich der Aufträge zu entledigen, womit mein Oheim Alketas mich an seine hiesigen Freunde beladen hatte; die zweyte, die mir zum Behuf meines Aufenthalts in Griechenland mitgegebenen Waaren auf die vortheilhafteste Art zu Gelde zu machen. Die Nähe des großen Marktes zu Olympia kam mir zu dieser Absicht sehr zu Statten, und der Gewinn, den ich dabey gemacht, ist so beträchtlich, daß ich – außer der Summe, die ich für das nächste Jahr nöthig haben mag, um deinem Willen gemäß meiner Vaterstadt und der Würde, die du in unsrer Republik bekleidest, durch einen anständigen Aufwand Ehre zu machen – fünf hundert Attische Minen in Golde bey meinem Wirthe hinterlegt habe, über welche ich deine Befehle erwarte.

Korinth hat sich seit den vierzig Jahren, da du den Vater des Learchus besuchtest, sehr verändert. Großer und täglich zunehmender Reichthum in einem oligarchischen, äußerst mild regierten und vielleicht nur zu wenig gezügelten kleinen Freystaat, zumahl in der glücklichen Lage von Korinth, die es zum Mittelpunkt des Asiatischen und Europäischen Handels bestimmt, muß, wie mich däucht, alle Vorzüge, worauf es stolz ist, und alle Übel, die seinen Verfall ankündigen, nothwendig hervorbringen. Ich gestehe, daß die Wehklagen, die ich hier, sogar in den reichsten Häusern und von verständigen alten Männern, über die immer zunehmende Üppigkeit, Verschwendung, Habsucht und Sittenverderbniß führen höre, mir keine hohe Meinung von der Weisheit der Korinther geben. Wo großer Reichthum ist, muß nothwendig auch große Armuth seyn, und von beiden ist sittliche Verdorbenheit die unausbleibliche Frucht. Der Reiche erlaubt sich Alles, um grenzenlos genießen zu können, ohne die Quelle seines Genusses zu erschöpfen; der Arme thut, wagt und duldet Alles, um reich zu werden. Daß es so und nicht anders ist, überzeugte mich schon was ich in Cyrene sah, und Korinth hat mich darin bestätiget. Alle Gesetzgeber, Filosofen und Moralisten in der Welt können den Korinthern nicht helfen; es giebt nur Ein Mittel, das sie und ihres gleichen retten könnte, und das ist gerade das Einzige, wozu sie keine Lust zu haben scheinen. Sie müßten wieder so arm werden als sie vor drey hundert Jahren waren. Wer weiß aber auch, ob dieß einzige Mittel nicht schon zu spät käme?

Doch wohin versteige ich mich? Ich bin noch zu neu in der Welt, um tiefe Blicke in den Zusammenhang der Dinge gethan zu haben, und zu jung, um mich in so verwickelte Spekulazionen einzulassen.

Die Zeit der Olympischen Spiele naht heran, und ich rüste mich ungesäumt nach Pisa abzugehen, um, wo möglich, noch auf eine leidliche Art unterzukommen; denn der Zusammenfluß von Fremden soll schon unbeschreiblich groß seyn. Meine Ungeduld nach dem herrlichen Schauspiel, das mich dort erwartet, nimmt mit jedem Tage zu; auch hoffe ich bey dieser in ihrer Art einzigen Gelegenheit interessante Bekanntschaften zu machen; was am Ende doch wohl der einzige wahre Vortheil ist, den ich von Olympia zurückbringen werde.


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