Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XII.
Lais an Aristipp.

Nein, unglücklicher, aber guter und bey aller deiner Schwäche edelmüthiger Kleombrot, du sollst nicht vergessen werden! Und wenn noch etwas von dir übrig ist, dem es wohl thut wenn deine Freunde sich deiner oft mit Liebe und Wehmuth erinnern, so nimm diesen Trost mit dir hinüber in das bessere Leben, das dich dein Sokrates hoffen ließ!

Wer hätte sich diesen Ausgang einbilden können, lieber Aristipp? – und doch dringt sich mir zuweilen der Gedanke auf, wir hätten es sollen. Aber wer selbst wenig Anlage zu irgend einer Art von Schwärmerey hat, kann sich nie lebendig genug in einen solchen Kopf hineindenken, und läßt sich nicht träumen, was für Unheil er in einem mit lauter Zunder und Brennstoff angefüllten Gemüth anrichten kann.

Meine größte Sorge ist jetzt, die zarte Musarion stufenweise zu der fatalen Nachricht vorzubereiten. Erst wenn sie sich nach und nach an den Gedanken, daß er nicht mehr ist, gewöhnt hat, darf sie die Art seines Todes erfahren. Ich traue dir zu, du werdest gern hören, daß Kleonidas mir einen guten Theil dessen, was ich durch deine Neigung zum Landstreichen entbehre, zu ersetzen sucht; und dafür wirst du so artig seyn, auch ihm und mir zuzutrauen, daß er nicht unglücklich in dieser Bemühung seyn könne. Begeistert von dem Antheil, den wir alle an dem Schicksal deines unglücklichen Freundes nehmen, und von Platons Schilderung der Todesstunde des Sokrates, hat er mir die Ideen zu zwey großen Gemählden mitgetheilt, womit er beiden ein Denkmahl zu stiften gesonnen ist. Zum ersten hat er bereits eine leichtgefärbte Zeichnung entworfen, die mir seinen Gedanken glücklich zu symbolisieren scheint. Die Scene ist ein weit in die See hervorragender kahler Felsen, an einem wilden klippenvollen Strande, den reitzenden Ufern einer entfernten, aus dem warmen rosigen Duft eines stillen Sommerabends, wie unter einem durchsichtigen Schleyer, hervorscheinenden Landschaft gegen über. Kleombrot, von der Reue in Gestalt einer Erinnys mit Schlangengeißeln verfolgt, stürzt sich von der Spitze des Felsens herab: aber ein freundlicher Genius, mit mächtigen Flügeln über der schäumenden Brandung schwebend, ist bereit, den Fallenden in seine gegen ihn ausgebreitete Arme aufzufassen, um ihn an das entgegen liegende Ufer der Insel der Seligen zu tragen, wo Sokrates, zwischen Pythagoras und Solon, von verschiedenen andern Weisen und Heroen der Vorzeit umgeben, aus einem lieblichen Hayn ihm entgegen zu kommen scheint. Unter das Bild soll mit goldnen Buchstaben geschrieben werden: er war in Ägina und ist nun bey Sokrates.

Um den Tod des Sokrates so wahr als nur immer möglich darzustellen, wird er nächstens eine Reise nach Theben, Athen und Megara unternehmen, und sich mit den vorzüglichsten Freunden des Weisen, mit Kriton, Kritobul, Apollodor, Äschines, Antisthenes, Cebes und Euklides bekannt machen, um Zeichnungen nach dem Leben von ihnen zu nehmen, damit er sie in dem großen Gemählde desto richtiger bezeichnen, gruppieren und in Handlung setzen könne. Um den lieben Plato auch hier nicht leer ausgehen zu lassen, soll einer aus der Gruppe, die am entferntesten von der Hauptperson ist, seinen Nachbar mit dem Ausdruck der Verwunderung fragen: wo bleibt Plato? und der andere wird mit Achselzucken antworten: es heißt er sey unpäßlich.Anspielung auf die eigenen Worte Platons in der oben von Kleombrot in seinem Briefe an Aristipp angezogenen Stelle: »Wo blieb denn Plato? – Es hieß er sey unpäßlich.« Du siehest, Aristipp, wem Kleonidas durch dieses Parergon einen kleinen Liebesdienst zu erweisen hofft? – Der Einfall verdiente wenigstens einen Kuß, hör ich dich sagen. Auch bekam er ihn, in deinem Nahmen, auf der Stelle. Aber – wie es zuging weiß ich selbst nicht recht – es mußten wohl ein paar Nektartropfen zu viel darein gekommen seyn; denn – wir wurden beide ein wenig davon berauscht. – Laß dir sagen, Freund Aristipp, – es ist ein gefährlicher Mensch, dein Kleonidas; du hättest ihn wohl können zu Hause lassen!

Mein Unstern fügte es, als ich zu Athen war, daß Plato die ganze Zeit über abwesend seyn mußte; denn nun sehe ich erst, wie schmeichelhaft mir seine Eroberung gewesen wäre. Sein Buch hat mir eine große Meinung von der Feinheit seines Geistes und von seinem Dichtergenie gegeben. Wahr ists, man müßte den Sokrates gar nicht gekannt haben, wenn man nicht sehen sollte, daß Plato sich große Freyheiten mit ihm herausnimmt; und ich wollte selbst meinen besten Halsschmuck dran setzen, er habe bey aller seiner Redseligkeit nicht den dritten Theil von allem dem gesagt, was ihn der junge Schwätzer grübeln und subtilisieren läßt. Indessen ist doch nicht weniger wahr, daß er die Eigenheiten seines Meisters mit vieler Gewandtheit nachzuahmen weiß; und wiewohl er sie überhaupt (was den Nachahmern gewöhnlich zu begegnen pflegt) merklich übertreibt, so ist doch an vielen Stellen das Originale und Auszeichnende im Ton und in der Manier des Alten gar nicht zu verkennen. Aber was mir von diesem Schriftsteller, und dem, was er uns seyn könnte wenn er wollte, den größten Begriff giebt, ist die Darstellung der letzten Stunde seines Helden, von dem Augenblick an, wo er sagt: es werde nun Zeit für ihn seyn, ins Bad zu gehen. Mich dünkt wir haben nichts so schönes in unsrer Sprache als diese Erzählung, die so ganz schlicht und anspruchlos aussieht, und in der doch, wenn ich nicht sehr irre, so viel wahre epische und psychagogische Kunst ist. Ich habe dieses Stück schon zum dritten Mahl gelesen, und jedes Mahl mit dem reinen Vergnügen und der völligen Befriedigung, die nur das hohe Schöne der Seele gewähren kann.

So viel Rühmens von dem Werk eines Menschen den du nicht liebst, und das freywillige Geständniß – einer Untreue, in einem und ebendemselben Briefe, ist deiner Filosofie beynahe zu viel auf einmahl zugemuthet, lieber Aristipp. Das möcht' es wirklich seyn, wenn du nicht wärest, was du bist; so einzig in deiner Art, wie deine Freundin Lais in der ihrigen. Was sollte sie dir nicht vertrauen dürfen?


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