Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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VIII.
An Kleonidas.

Daß Sokrates, wenn er mit andern filosofiert, sich nur zweyer Methoden, der Indukzion und der Ironie zu bedienen pflege, hat seine Richtigkeit; wenigstens habe ich nie gesehen, daß er in seinen Gesprächen, es sey nun, daß sie auf Belehrung oder auf Widerlegung abzielen, einen andern als einen dieser beiden Wege eingeschlagen hätte.

Diese sonderbare Art zu filosofieren scheint mir deine hohe Meinung von ihm nicht wenig herabgestimmt zu haben. »Die Indukzion kann mich, sagst du, nichts lehren als was ich entweder bereits wußte, oder mir vermittelst eines kleinen Grades von Besinnung selbst sagen konnte; und wie ein so weiser Mann die Ironie für eine taugliche Methode die Wahrheit ausfündig oder einleuchtend zu machen halten könne, ist mir vollends unbegreiflich.« – Über beides, lieber Kleonidas, hoffe ich dich ins Klare zu setzen, wenn ich dir sage, bey welchen Personen und zu welcher Absicht Sokrates von der einen und der andern Gebrauch zu machen pflegt. Die Personen, mit welchen er sich am meisten abgiebt, sind (außer seinen nähern Freunden und Günstlingen) entweder solche, die von ihm belehrt zu werden wünschen, es sey nun, daß sie ihre Unwissenheit in der Sache, wovon die Rede ist, anerkennen, oder so schwach an ihrer bisherigen Meinung hangen, daß sie immer bereit sind sie mit einer bessern zu vertauschen; oder es sind naseweise Klüglinge und eingebildete Allwisser, die er, da sie Belehrung weder suchen noch anzunehmen aufgelegt sind, bloß beschämen und wenigstens zum stillen Bekenntniß ihrer Unwissenheit nöthigen will. Bey den erstern bedient er sich der Indukzion als einer Lehrart; gegen die letztern der Ironie als einer sowohl zur Vertheidigung als zum Angriff gleich bequemen Waffe.

Die Athener verbinden mit dem Worte Ironie ungefähr denselben Begriff (der Verspottung) wie wir und alle andern Griechen; nur daß sich ihm durch den gemeinen Gebrauch ein Nebenbegriff bey ihnen angehängt hat, der aus einem besondern Zug ihres Nazionalkarakters zu entspringen scheint. Der Athener pflegt nehmlich seine Meinung nicht leicht so kurz und geradezu heraus zu sagen, wie der Spartaner oder Böozier; nicht etwa aus vorsichtiger Zurückhaltung, (wie ich dieß an den Korinthern bemerkt zu haben glaube) sondern weil es ihm, wenn er spricht, selten oder nie so viel um Wahrheit oder um die Sache selbst zu thun ist, als um das eitle Vergnügen, mit der Feinheit und Gewandtheit seines Witzes und der Geläufigkeit seiner Zunge zu prunken, und den andern entweder seine Überlegenheit fühlen zu lassen, oder, falls es ein höherer an Stand und Rang oder ein Mann von vorzüglichen Verdiensten ist, die beiden großen Geburtsrechte des Attischen Bürgers, Freyheit und Gleichheit gegen ihn zu behaupten, indem er ihm zu verstehen giebt, er dünke sich nicht geringer, und mache sich wenig aus Vorzügen, die er nicht selbst besitzt. Du kannst dir kaum vorstellen, auf wie vielerley Art die Eitelkeit der Athener sich, in dieser Absicht, durch Mienen, Geberden, Ton und Beugung der Stimme, kleine Zwischenwörter und dergleichen zu äußern pflegt. Daher das Atticon blepos (wie es Aristofanes nennt) diese unnachahmliche edle Unverschämtheit im Blick und im Lächeln, die den Athener aus tausend andern kenntlich macht, und der höhnische Ton, den sie, sobald sie merken daß der andere nicht ihrer Meinung ist, in die Frageformeln, »wärs etwa nicht so?« oder, »was könntest du wohl dagegen haben?« zu legen wissen. Vermuthlich ist es diese Eitelkeit, was in Verbindung mit der lebhaften Ader von leichtem Witz, wovon der Athener immer sprudelt, diese Neigung zum Spotten, Necken und Auslachen erzeugt, die einer der gemeinsten Züge dieses Volkes ist. Ich erkläre mir daraus, daß sie so gern das Gegentheil von dem, was sie sagen wollen, sagen; zu loben scheinen, wenn sie tadeln, und zu schelten, wenn sie loben wollen; sich stellen, als ob sie den andern unrecht verstanden hätten, um ihm widersprechen oder seiner Rede eine lächerliche Deutung geben zu können, und was dergleichen mehr ist. Diese Art von spottender oder auch bloß scherzhafter Verstellung ist es eigentlich, was die Athener Ironie nennen, und was sie, zumahl bey fröhlichen Tischgelagen, und überall, wo ihre gute Meinung von sich selbst nicht zu sehr dabey ins Gedränge kommt, einander gern zu gut halten. Auch Sokrates, der überhaupt einer der witzigsten und gutlaunigsten Sterblichen ist, macht im gemeinen Umgang ziemlich häufigen Gebrauch von dieser Art von Ironie, und weiß sie mit so vieler Leichtigkeit und Feinheit zu handhaben, daß sie, sogar wenn er einen wirklich schraubt, unmöglich beleidigen kann, sondern entweder für bloßen Scherz gilt, oder von einfältigen und sich selbst gefallenden Personen so aufgenommen wird, als ob er ihnen etwas schmeichelhaftes gesagt hätte. Am gewöhnlichsten bedient er sich derselben, um den Verweisen, die er zuweilen seinen jüngern Freunden zu geben Ursache findet, den Stachel zu benehmen; und ich muß gestehen, daß er in solchen Fällen, wenn die Operazion an einem seiner Günstlinge zu verrichten ist, eine sehr sanfte Hand hat; wiewohl ich mich nicht rühmen kann, es an mir selbst erfahren zu haben.

Aber die Ironie, die ihm als eine besondere Art zu disputieren, ausschließlich zugeschrieben wird, ist von jener gewöhnlichen, sowohl der Art als dem Zweck nach, sehr verschieden. Sie besteht darin, daß er, wenn er's mit Personen, die ihm in gewissen Stücken entweder wirklich oder in ihrer eigenen und andrer Leute Einbildung überlegen sind, z. B. mit schlecht denkenden aber vielvermögenden Männern in der Republik, oder mit angesehenen Sofisten zu thun hat, sich äußerst einfältig und unwissend stellt, und in diesem Karakter (zu dessen Simulierung ihm seine Gesichtsbildung ungemein zu Statten kommt) durch die scheinbare Naivität seiner Fragen und die verdeckt spitzfündige Art, wie er aus ihren Antworten immer neue Fragen hervorzulocken weiß, sie endlich in die Nothwendigkeit setzt, sich entweder in offenbare Ungereimtheiten zu verwickeln, oder ihre erste Behauptung wieder zurück zu nehmen. Du erräthst ohne mein Zuthun, wie viel er durch diese Art von Ironie, eine Zeitlang wenigstens, über seine Gegner gewinnen mußte. Er verschaffte dadurch sich selbst desto leichter Gehör, und vernichtete unvermerkt die Vortheile, welche Stand, Nahme, Ansehen und Glücksumstände jenen über ihn hätten geben können. Sie waren nun minder auf ihrer Huth; antworteten desto rascher und zuversichtlicher, je weniger sie vorhersehen konnten, wo er hinaus wolle; räumten ihm immer mehr ein, als geschehen wäre, wenn sie die Schlingen gemerkt hätten, die er ihnen durch seine einfältig scheinenden Fragen legte; und wenn sie sich endlich darin verfingen, schien er ganz unschuldig daran zu seyn, und die Lacher waren auf seiner Seite. Diese Methode war also da, wo er sie am gewöhnlichsten anwandte, ich meine gegen die Sofisten, sehr fein ausgedacht und vollkommen zweckmäßig. Denn es war ihm nicht darum zu thun, sie zu belehren, sondern sie vor ihren Zuhörern und Verehrern in ihrer Blöße darzustellen. Aber du siehst auch, daß sie nur so lange mit Vortheil zu gebrauchen war, als der Gegner die Falle nicht gewahr wurde; und natürlicher Weise konnte dieß in einer Stadt, wo beynahe alles öffentlich geschieht, nicht sehr lange anstehen. Sobald die Sofisten merkten, daß sie einen Schlaukopf vor sich hatten, der mit den Spitzfindigkeiten und Kunstgriffen der Dialektik wenigstens eben so bekannt war als sie selbst, so hätten sie noch zehnmahl einfältiger seyn müssen als Sokrates sich stellte, wenn sie sich durch die schülerhafte Miene, womit er sich ihre Belehrung ausbat, und die vorgegebene Bewunderung ihrer hohen Weisheit länger hätten täuschen lassen. Auch zeigte sichs bald genug, daß er, außer dem erklärten Haß der Sofisten, wenig mehr mit dieser Art zu disputieren gewonnen hatte, als daß er noch jetzt bey dem großen Haufen im Ruf eines Spötters steht, der nie seine wahre Meinung sagt, und dessen Reden man auch dann nicht trauen darf, wenn er etwas ernstlich zu behaupten scheint, weil man nie gewiß ist, ob es nicht Verstellung sey, und was für geheime Absichten er darunter habe; – ein Ruf, der ihm, wie ich besorge, bey einem so argwöhnischen Volke wie das Athenische, über lang oder kurz noch gefährlich werden kann.


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