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Praxagoras konnte nicht Worte genug finden, mir für meine edelmüthige Herablassung zu danken, und nachdem wir alles auf jeden Fall Nöthige verabredet hatten, wurde sofort Hand ans Werk gelegt. Einer der größten Sähle des Hauses wurde zur Scene unsers Drama's eingerichtet, und eine Stunde der Nacht zur Aufführung angesetzt. Für den Vater und deine närrische Freundin wurde ein Platz abgesondert, wo sie, ohne selbst gesehen zu werden, alles wahrnehmen konnten. Die Stunde kam. Bleich und abgezehrt wankte der arme Chariton von seinem Arzt geführt heran; seine Gesichtsbildung schien mir ziemlich unbedeutend, aber nicht unedel, und durch die stille Schwermuth, die um seine lockichte Stirne hing, sogar ansprechend. Er schien beym Eintritt in den Sahl über die Scene, die ihm bey einer künstlichen Beleuchtung entgegen schimmerte, mehr erstaunt als erschrocken zu seyn. Euforion, in einem prächtigen Anzug, einen funkelnden Gürtel um den Busen, eine kleine Strahlenkrone auf dem Haupte, und von reichgeschmückten Nymfen umringt, auf einem erhöhten Thron sitzend, war das erste was ihm in die Augen fiel. Er blieb plötzlich stehen, schaute bald mit fragenden Blicken auf die schöne Zauberin, bald mit suchenden im Sahl herum, wie im Zweifel ob er seinen Augen glauben dürfe, und als ob er sich nach etwas umsehe, das hier vorhanden seyn müsse. Tritt näher, Chariton, und sey ohne Furcht, sprach sie: ich habe dich in meinen Schutz genommen; der Räuber deiner Geliebten ist entwaffnet, ich gebe sie dir wieder. Siehe! – Mit diesem Worte that sich ein Vorhang auf, der die Bildsäule bisher verdeckt hatte, und vermittelst eines andern, der plötzlich und ohne Geräusch herab fiel, schwand die Zauberin mit ihren Nymfen aus seinen Augen. Soll ich dir gestehen, Aristipp, daß die Bewegungen, wodurch sich die Gefühle des bestürzten Jünglings bey Erblickung dieses Bildes ausdrückten, meiner Eitelkeit wirklich ein schmeichelhaftes Schauspiel gaben? Er blieb eine Weile wie in den Boden gewurzelt stehen, sah sich schüchtern und lauschend um, als ob er beobachtet zu werden fürchte, trat dann näher hinzu, und stutzte wieder zurück. Ein langer tiefer Seufzer schien ihm endlich Luft zu machen; zweifelhaft und nachsinnend betrachtete er das geliebte Bild, schien es auf einmahl zu erkennen, und stürzte freudetrunken mit ausgebreiteten Armen auf dasselbe hin. Bist du es wirklich? hab ich dich endlich wieder? rief er aus, und umklammerte die frostige Geliebte, als ob er mit ihr zusammenwachsen wollte. – »Aber warum bist du so stumm? so kalt? so unempfindlich? – Fühlst du denn meine glühenden Küsse nicht? – Ach! sie haben mich betrogen! Du bist noch Marmor! Deine schönen Augen sind ohne Licht, kein Herz schlägt in diesem lieblichen Busen! Sie haben mich betrogen die Grausamen – aber es wird ihnen nichts helfen! Ich fühl' es, auch im Marmor liebst du mich – diese todte Hand hat mich berührt – dein Arm windet sich eiskalt um meine erstarrende Hüfte – o Dank, ihr Götter! ich werde zu Marmor mit ihr!«
Es war holte Zeit, daß Praxagoras sichtbar ward, um einem Rückfall in seine vorige Tollheit noch zuvorzukommen. Wir haben dich nicht betrogen, lieber Chariton, rief er ihm zu: noch eine kleine Geduld und du wirst glücklich seyn! – Der Jüngling stutzte, da er den Arzt, den er schon lange als seinen einzigen Freund anzusehen gewohnt war, mit offnen Armen auf ihn zu eilen sah, und schien in einigen Augenblicken wieder zu sich selbst zu kommen. Sey gutes Muths, fuhr Praxagoras fort, indem er einen Arm um ihn schlang, und ihn unvermerkt von der Bildsäule entfernte; ein so schweres Werk, wie die Entzauberung deiner Geliebten ist, kann nicht in einem Augenblick zu Stande kommen; genug daß die mächtige Alfesiböa, deine Beschützerin, mit Eifer daran arbeitet, und zur einzigen Bedingung des glücklichen Erfolges macht, daß du dich noch eine kurze Zeit geduldest. – Durch diese und dergleichen Zureden ließ sich der junge Mensch nach und nach besänftigen; und so brachte ihn der Arzt mit guter Art wieder auf sein eigenes Zimmer, wo die Nacht zwar ohne Schlaf, aber doch unter ziemlich ruhigem Fantasieren vorüberging.
Die Frage war nun, in einer abermahligen Rücksprache zwischen dem Arzt und der weisen Lais, wie die mächtige Zauberin Alfesiböa in den Stand gesetzt werden könne, Wort zu halten. Daß die Bildsäule belebt werden müsse, wenn Chariton von seinem Wahnsinn gründlich geheilt werden sollte, schien beiden etwas ausgemachtes. Der Arzt gestand, daß Anfangs große Fehler in der Behandlung des Kranken begangen worden. Damahls, meinte er, wäre durch ein paar geschickte Kunstgriffe leicht zu helfen gewesen. Aber nun, da es einmahl so weit mit ihm gekommen – Was nun zu thun? – Ein Dritter hätte eben dieselbe Antwort auf diese Frage in beiden Gesichtern lesen können. Es gab jetzt nur Einen Weg die Statue zu beleben, nur Eine Person die das Wunder verrichten konnte; ihr Nahme lag beiden auf der Zunge; aber er gehörte unter die unaussprechlichen Worte. Wer durfte der weisen Lais ansinnen, sich selbst zum Opfer der albernsten aller albernen Grillen des unartigen Bastards des Porus und der Penia darzustellen? Und wie war zu hoffen, daß sie sich aus bloßer Menschlichkeit von freyen Stücken zu einer so zweydeutigen Heldenthat entschließen würde? Beide sahen einander mit einverstandenen Blicken an und schwiegen. Endlich lösete deine schnellbesonnene Freundin den Knoten mit einem raschen Hieb, – und wer sonst hätte es thun können, wenn sie es nicht that? Auf irgend eine Art muß die Sache zu einem Ausgang gebracht werden, sagte sie. Sey du ruhig, Praxagoras; bereite deinen Kranken mit der guten Art, die dir eigen ist, zu einer glücklichen Begebenheit vor, und mich laß für das Übrige sorgen.
Mein erster Gedanke, als der Arzt sich wegbegeben hatte, war – rathe, was? mein scharfsinniger Herr! – Du wirst rathen: eine meiner Nymfen, etwa die schöne Zauberin selbst (die mir wirklich an Größe und Gestalt ziemlich ähnlich ist) in einem nur vom Monde schwach beleuchteten Zimmer unterzuschieben? – In der That hast du meinen ersten Gedanken errathen; aber – deuterai phrontides – du weißt ja? – Oder könntest du dir im Ernst einbilden, deine Freundin Lais, bekannter Maßen eine Art von Filosof und von allem, was Vorurtheil und Leidenschaft heißt, freyer als Sokrates und Plato selbst, sollte, wenn auch das Wunderbare keinen Reitz für sie hätte, nicht wenigstens so viel Neugier haben, dem Spiele der Natur bey einer so außerordentlichen und schwerlich jemahls wiederkommenden Gelegenheit in der Nähe zuzusehen? – Aber freylich! – Man muß gestehen – du hast Recht, Aristipp! – Die schöne Alfesiböa würde sich vielleicht ohne großen Zwang gefallen lassen – Wir wollen sehen.
Die Entzauberung ist glücklich zu Stande gekommen, mein Freund. Die freundliche Göttin, die sich in alten Zeiten eines Cyprischen Bildners in einem ähnlichen Fall erbarmte, war so gefällig das Wunder zum zweyten Mahle zu verrichten. Erwarte keinen umständlichen Bericht. Genug, das Marmorbild erwarmte, athmete, lebte auf, bekam eine Seele unter den Küssen des Glücklichen; und die Besorgniß, daß er vor lauter Entzücken über ihre wiedergekehrte Seele, die seinige in ihren Armen ausathmen möchte, war das einzige, was der Göttin den Trost, ein so seltsames Abenteuer zu einem fröhlichen Ausgang gebracht zu haben, beynahe verkümmert hätte. Glücklicher Weise fiel der neue Pygmalion bey Zeiten in einen tiefen zehenstündigen Schlaf, und beym Erwachen fand ihn der Arzt (der schon ein paar Stunden, vor seinem Bette sitzend, an der Länge seines Schlummers, der frischen Farbe seiner Wangen und dem weichen ruhigen Schlag seines Pulses sich ergetzt hatte) wie in ein neues Leben geboren. Er schien wieder in vollem Besitz seines Verstandes, so viel er dessen je gehabt haben mochte, und erinnerte sich des Vergangenen nur überhaupt, wie eines schweren Traumes, dessen Umstände so übel zusammen hingen, daß er Mühe hatte sich das Ganze klar zu machen. Aber, sagte er, wenn auch das ein Traum war, was mir diese Nacht begegnete, so wünschte ich mir wohl, ewig wie Endymion zu schlafen, um ewig so zu träumen. – Zu größerer Sicherheit zapfte ihm Praxagoras noch etliche Unzen Blut ab, mit dem Vorbehalt, ihn nach und nach durch gute Nahrung und edeln Wein wieder so viel zu stärken, als ihm dienlich seyn möchte. Nicht wenig trugen vermuthlich zu Befestigung seiner Genesung auch die Grazien und Nymfen meines Hauses bey, welche (wie du bezeugen kannst) durch Schönheit, Talente, gefälliges Wesen und ungezwungene Sittsamkeit so ausgezeichnet sind, daß keine Gesellschaft für sie zu gut und die ihrige für niemand zu schlecht ist. Der junge Aspendier gefiel sich so wohl unter ihnen, daß er unvermerkt selbst immer liebenswürdiger ward.
Zwey Tage nach seiner Wiederherstellung gab uns seine erste Zusammenkunft mit mir ein Schauspiel, das eines Beobachters wie Du werth gewesen wäre. Ich hatte mich, um mit der Bildsäule des Skopas so wenig als möglich gemein zu haben, äußerst matronenmäßig angezogen; überdieß schien ich merklich größer und stämmiger und wenigstens zwanzig Jahre älter zu seyn, als das Ebenbild meines sechzehnten Jahres. Dem ungeachtet stutzte Chariton bey meinem Anblick, und eine mit Mühe zurückgehaltene Ausrufung blieb zwischen seinen Lippen stecken. Doch schien er seinen Augen nicht zu trauen, und mit dem Gefühl zu kämpfen, welches ihm sagte, daß er mich anderswo gesehen habe. Es war nicht mehr als billig, daß ich ihm die Mühe, dieß Gefühl durch Reflexion zu übertäuben, auf alle Weise erleichterte, und den Zauber meiner weltberühmten Reitze durch den Anstand und Ernst einer Dame, welche schon neun Olympiaden überlebt hat, so viel nöthig seyn möchte, zu entkräften suchte. Dieß wirkte zusehends, und in kurzem sagte mir seine ehrerbietige Zurückhaltung, daß er die Überraschung des ersten Anblicks bloß einer zufälligen Ähnlichkeit beymesse. Die Richtigkeit dieser Vermuthung, und die Vollständigkeit der Genesung des jungen Aspendiers bestätigte sich, sobald sich dieser mit seinem Vertrauten wieder allein befand. Kannst du dir vorstellen, sagte er zum Arzt, daß mir beym ersten Anblick der Frau dieses Hauses beynahe etwas Albernes begegnet wäre? – Ich bemerkte wohl, erwiederte Praxagoras, daß du von einem Augenblick zum andern die Farbe verändertest. – Wirklich, fuhr jener fort, sieht sie in einer gewissen Entfernung der Bildsäule meines fatalen Traumes so ähnlich, daß ich beynahe die Besonnenheit darüber verloren hätte. – Dergleichen Ähnlichkeiten kommen häufig vor, versetzte der Arzt, und fallen immer zuerst in die Augen; aber bey genauerer Ansicht zeigt sich gemeiniglich eine so große Verschiedenheit, daß man sich wundert, sie nicht sogleich wahrgenommen zu haben. – So ging mirs auch, sagte Chariton; es dauerte nicht lange, so kam ich mir selbst mit meiner Einbildung lächerlich vor; hoffentlich hat die schöne Lais nichts davon gemerkt. – Wenigstens ist zu glauben, versetzte Praxagoras, daß sie sich deine Verwirrung bloß aus dem Eindruck erklärt hat, den sie gewöhnlich auf jeden, den sie zum ersten Mahl anredet, zu machen pflegt. – In der That, sagte der Jüngling, hab' ich nie so viel Majestät mit so viel Anmuth gepaart gesehen. – »Ich auch nicht, Chariton, wiewohl meine Augen dreyßig Jahre älter sind als die deinigen.«
Mit Einem Wort, Aristipp, die Kur ist glücklich vollendet; und da man nicht weiß, oder aus gebührender Bescheidenheit nicht wissen will, welcher Mittelsperson das Wunder zuzuschreiben ist, so tragen die Götter (denen wir Sterbliche so häufig durch Dank oder Undank gleich viel Unrecht thun) unverdienter Weise den Dank allein davon.
Meine Gäste haben sich ohne Mühe bereden lassen, so viele Tage bey mir zu verweilen, als Praxagoras zu Befestigung der Gesundheit seines Pfleglings für nöthig hielt. Der Alte, der ein mächtiger Kunstliebhaber ist, brachte seine meiste Zeit in der Werkstatt meines Freundes Eufranor zu, von dessen vielfachen Talenten er ganz bezaubert ist. Noch mehr ist es der Sohn von den Talenten der reitzenden Euforion, die sich ihm in kurzem so unentbehrlich zu machen gewußt hat, daß sie ihn mit Bewilligung des Vaters nach Aspendus begleiten wird. Sie ist zwar eine Waise und ohne Vermögen; aber sie stammt in gerader Linie von einem Schwestersohn des Tyrannen KypselusEin Korinthischer Eupatride, welcher, nach der wahrscheinlichen Berechnung des de la Nauze, in der ein und vierzigsten Olympiade sich der Alleinherrschaft über Korinth bemächtigte, und sie nach einer dreyßigjährigen Regierung seinem Sohne Periander hinterließ. Dieser Kypselus war es, der den sieben weisesten Männern unter seinen Griechischen Zeitgenossen das Gastmahl gab, welches Plutarch irrig seinem Sohne zuschreibt, wenn anders der von Diogenes Laertius angezogene alte Geschichtschreiber Archetimus von Syrakus Glauben verdient, welcher bey diesem Gastmahle selbst zugegen gewesen zu seyn versicherte. Noch bekannter ist dieser Nahme in der Geschichte der Griechischen Kunst durch einen Kasten geworden, der im Tempel der Juno zu Olympia zu sehen war; ein von den Kypseliden zu Korinth zum Andenken ihres Anherrn dahin gestiftetes Weihgeschenk, dessen Kenntniß wir einer sehr genauen, aber ohne allen Kunstsinn und daher auch ohne Rücksicht auf die Kunst abgefaßten Beschreibung des Pausanias zu danken haben, die von einem der gelehrtesten und scharfsinnigsten Alterthumsforscher unsrer Zeit in einer eigenen Abhandlung über den Kasten des Kypselus u. s. w. (Göttingen, 1770) mit dem Fleiß, den ein so altes Kunstwerk verdiente, erläutert worden ist. ab, und ich werde dafür sorgen, daß sie nicht mit leeren Händen in das Haus des edeln Aspendiers einziehen soll.
Sie sind nun wieder abgereist, und wenige Stunden, nachdem sie den Hafen von Kenchreä verlassen hatten, wurde mir im Nahmen des Alten zu seinem Andenken eine schwere, zierlich gearbeitete goldne Schale, und, zum Austheilen unter meine jungen Freundinnen, verschiedene Stücke der schönsten Persischen und Fönizischen Zeuge zugestellt.
Meine Abreise nach Ägina ist auf einen der letzten Tage des Elafebolions festgesetzt. Außer einem Theil meiner Hausgenossen werde ich niemand mit mir nehmen als meinen Günstling unter den hiesigen Künstlern, Eufranor, welchen ich mit dir in Bekanntschaft zu bringen ungeduldig bin. Ich bin gewiß du wirst ihn liebgewinnen, und den Vorzug billig finden, den ich ihm vor seinen Mitbürgern gebe.
Unter den Vergnügungen, die ich in meiner kleinen Zauberinsel mit dir zu theilen hoffe, ist keine der geringsten, daß wir Platons Symposion zusammen lesen werden. Ich gestehe, daß die hohe Schönheit seines Geistes, und der Reichthum von Erfindungskraft und Witz, den er in diesem Drama von einer ganz neuen Art, mit der stolzen Freygebigkeit eines Krösus, der sich der Unerschöpflichkeit seiner Quellen bewußt ist, so üppig verschwendet hat, mich beym ersten Durchlesen dermaßen hinriß, daß ich es mehr verschlungen als gelesen habe. Wenn es ihm mit seiner Schwärmerey Ernst ist, (woran ich fast zweifle) so ist er der liebenswürdigste Schwärmer, den ich mir denken kann; und ich würde hinzusetzen, auch der gefährlichste, für mich wenigstens, wofern seine Fysionomie wirklich so schön und geistvoll ist, als sein Neffe Speusippus sie mir angepriesen hat.