Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Ich bin durch diese zufällige Abschweifung ziemlich weit von dem, was ich dir schreiben wollte, weggekommen; aber da ich dieß treffliche Stück noch so frisch im Gedächtniß habe, und du eine so warme Liebhaberin der Kunst bist, so konnte ich, oder wollte ich – doch, wozu bedarf es einer Entschuldigung? Was ich geschrieben habe, steht nun einmahl da, und ich komme noch immer früh genug dazu, dir ins Ohr zu sagen, daß du mir, wie es scheint, mit deinem Versuch, das Herz meines alten Chirons durch eine Kriegslist zu erobern, keinen sonderlichen Dienst bey ihm geleistet hast. Ich finde ihn seit meiner Zurückkunft noch merklich kälter als zuvor, und seine Vertrauten begegnen mir so fremd und vornehm, daß ich oft alle meine Urbanität zusammen nehmen muß, um ihnen nicht ins Gesicht zu lachen. Aber ich habe eine andere Manier sie zu ärgern; ich thue als ob ich nichts merke, benehme mich gegen Meister und Gesellen wie vorher, und sehe den erstern fast täglich an öffentlichen Orten, wiewohl selten in seinem Hause. Um meine müßigen Stunden auszufüllen, übe ich mich mit einigen der besten Citharisten in der Musik, und lasse mir von dem berühmten Hippias Unterricht in der Redekunst geben. Er ist theuer; aber er könnte doppelt so viel fordern, ohne daß ich es zu viel fände, so groß ist das Vergnügen, ihn reden zu hören. Seine gewöhnliche Methode ist, heute für, morgen gegen einen Satz zu sprechen. Die Sokratiker nehmen ihm das übel; mit Unrecht, dünkt mich. Es giebt schwerlich ein besseres Mittel, die Urtheilskraft zu schärfen, und sich vor Einseitigkeit und Unbilligkeit gegen anders Denkende zu verwahren, als wenn man jede Sache von allen ihren Seiten und im verschiedensten Lichte betrachtet. Noch eine Ursache, warum ich den Umgang mit Hippias liebe, und ihn so oft als möglich sehe, ist seine große Menschenkenntniß; versteht sich, der wirklichen Menschen, wie sie leiben und leben, und des Laufs der Welt, nicht wie wir ihn alle gern hätten, sondern wie er ist. Du kannst dir leicht vorstellen, Laiska, daß ich mich durch diese kleine Vorliebe für einen Sofisten, von welchem die Anhänger des Sokrates, besonders der junge Plato, mit der größten Verachtung sprechen, schlecht bey den letztern empfehle; zumahl, da ich seit meiner Zurückkunft meine Art zu leben abgeändert habe, mich besser kleide, etliche Bediente und einen Sicilischen Koch halte, und wöchentlich ein oder zweymahl die artigsten Leute, die ich hier kenne, zum Abendessen einlade. »Auch Hetären?« fragst du mit deiner eignen schelmischen Miene – Hetären? Nein, bey allen Grazien des weisen Sokrates und der schönen Lais! – Hoffentlich nimmst du das nicht so, als ob ich dir ein Kompliment damit machen wolle. Ich würde mich selbst verachten, wenn mir eine solche Katachresis nur im Traum einfallen könnte. Nie, nie wird es mir möglich seyn, mir das liebenswürdigste aller weiblichen Wesen anders als einzig in ihrer Art, geschweige unter einer Rubrik zu denken, die ich auch dann, wenn sie mit lauter Korinnen, Melissen und Aspasien besetzt wäre, ihrer noch unwürdig finden würde. Ich kenne dermahlen keine dieses Standes in Athen, die eine Gesellschaft, wie diejenige, die ich zuweilen bey mir versammle, zu verschönern liebenswürdig genug wäre. Aber schicke mir nur diejenige unter deinen Nymfen, die es am wenigsten ist, und sie soll durch einen einstimmigen Beschluß zur Königin unsrer kleinen Symposien ernennt werden.


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