Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XIX.
Aristipp an Kleonidas.

Wenn deine Absicht war, mich mit den Gemählden, die ich durch den Schiffer Xanthus erhielt, wie mit unwiderstehlichen Zauberketten nach Cyrene zurück zu ziehen, so schwör' ich dir zu, daß du sie völlig erreicht hast. Sie haben die Erinnerungen an dich und deine Musarion so lebendig in mir aufgefrischt, daß alle meine andern Gedanken vor ihnen verlöschen, und alles, was ich um mich her sehe, mir schal und ungenießbar wird. Oft möcht' ich auf deine Kunst zürnen, daß die Zauberin, die dem bloßen gefärbten Schatten so viel Lebenähnliches geben konnte, ihnen nicht auch das, was zum Leben noch fehlt, zu geben vermochte; daß ich die Rede, die auf den Lippen deines Bildes zu schweben scheint, nicht mit meinen Ohren höre, und der Freund, den ich an meine Brust drücken will, ein bloßes Blendwerk ist. Unwillig reiß' ich mich dann von diesen Bildern los, bey denen ich oft Stundenlang verweile, und kehre doch immer wieder zurück, als ob ich hoffte sie nun lebendiger zu finden. Kurz, lieber Kleonidas, dein Geschenk hat meine Weisheit aus dem Gleichgewicht, worauf ich sonst immer ein wenig groß zu thun pflegte, heraus gehoben, und ich sehe wohl, mir ist nicht anders zu helfen, als daß ich meine hiesigen Geschäfte so schleunig als möglich zu Ende bringe, ein eigenes Jachtschiff miethe, und mit dem ersten besten Nordwestwind nach dem Lande zurückfliege, das meine Liebe zu euch, weit mehr als das Ungefähr der Geburt, zu meinem wahren Vaterlande macht.

Das holde Familienbild und die liebliche junge Mahlerin haben mich zwar nicht blind gegen die Reitze deiner Psyche gemacht, aber doch so viel bewirkt, daß ich mich zu Gunsten meines Korinthischen Freundes Learchus leichter von ihr trennen konnte, der sie zu besitzen verdient, und ganz glücklich dadurch ist. Die drey tausend Drachmen, die du gegen seine Anweisung ausgezahlt erhalten wirst, sind der Preis, den er selbst dafür bestimmt hat. Da er die Bilder als Geschenk nie angenommen haben würde, so hielt ich für das Schicklichste, ihm die Schätzung derselben anheim zu stellen: und ich finde daß er sich, ohne zu viel zu thun, auf eine edle Art aus der Sache gezogen hat. Er hat wirklich Sinn für ächte Kunst; und überdieß schmeichelt es seinem Stolze, daß er (Lais allein ausgenommen) der Einzige in Griechenland ist, der etwas von deiner Hand aufweisen kann.

Daß mir die beiden Stücke, die ich für mich behalte, zu heilig sind um in meiner Galerie aufgestellt zu werden, trauest du mir zu ohne daß ich es sage. Antipater ist der einzige, der das Familienbild gesehen hat; aber ihm auch die Mahlerin sehen zu lassen, kann ich nicht über mich gewinnen. Sie steht in meinem Schlafzimmer, in einem Schranke verborgen, der, seitdem er dieses Kleinod verwahrt, täglich so oft aufgeschlossen wird, daß du über meine Kinderey lachen würdest, wenn ich dir sagte wie oft. Mich dünkt die Kunst hat noch nichts vollendeters hervorgebracht als dieses kleine Bild. Vollendet – ja, das ist es – aber ich habe dir doch nicht das rechte Wort gesagt; nichts anziehenders, wollt' ich sagen – was hielt mich zurück? – Ist mein Vorwitz zu wissen, wer der glückliche ist, mit dessen Zügen die liebenswürdige Kleone sich so theilnehmend beschäftigt, unbescheiden, so laß dein Stillschweigen meine Strafe seyn.

Ich lege diesem Brief eine Abschrift dessen bey, den ich von Learchen über die Gemählde erhalten habe; vornehmlich, weil er uns Nachricht von unsrer reisenden Circe giebt, die den Thessalischen Zauberinnen zeigt, daß sie in ihrer eigenen Kunst, gegen eine Meisterin wie Sie, nur Pfuscherinnen sind.


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