Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXIII.
Learch an Aristipp.

Ich entledige mich, wiewohl mit zögernder Hand, meines Versprechens, dir die weitern Nachrichten mitzutheilen, die ich mir über die Leidenschaft unsrer unglücklichen Freundin für den jungen Thessalier, den die strenge Nemesis zum Werkzeug ihrer Züchtigung ausersehen zu haben scheint, theils durch mich selbst, theils durch die wohlmeinende kleine Verrätherin Eudora zu verschaffen Gelegenheit gefunden habe.

Was den jungen Menschen betrifft – der, wiewohl kaum zwanzig Jahre alt, schon mancherley Abenteuer bestanden und sich an mehrern Orten unter verschiedenen Namen einen sehr zweydeutigen Ruf erworben hat – so stimmen alle meine eingezogenen Erkundigungen darin überein, daß er aus dem Thessalischen Kanton Farsalia gebürtig, und weder reicher noch von edlerer Herkunft ist, als jeder andere Abkömmling von Pyrrha und Deukalion. Indessen kann man ihm nicht absprechen, daß er vornehme Leidenschaften und Liebhabereyen hat, und den kleinen Thessalischen Fürsten auf Unkosten der verblendeten Lais meisterlich zu spielen weiß. Er lebt, seitdem er eine eigene Wohnung bezogen hat, unter dem Nahmen Pausanias auf einem großen Fuß; hat sich eine Menge Bediente, die schönsten Pferde, und Jagdhunde, wie sie Xenofon selbst nicht besser hat, angeschafft; erscheint beynahe täglich auf der Rennbahn, und steht bereits mit den ausschweifendsten und übel berüchtigtsten unter unsern jungen Eupatriden in enger Verbindung. Die arme Lais, die ihm nichts versagen kann, ist genöthigt, ihr schon so lange besserer Gesellschaft verschlossenes Haus, allen diesen Wildfängen offen zu halten, und du kannst dir vorstellen, daß der Unfug, den die Homerischen Freyer im Palaste des Odysseus treiben, nur Kinderspiel gegen die Orgien dieser ungezügelten Schwärmer, und das fette Schwein nebst dem auserlesenen Geißbock, so jene täglich verzehrten, eine Kleinigkeit gegen den ungeheuern Aufwand ist, welchen Lais durch ihre grenzenlose Gefälligkeit gegen alle Einfälle und Launen ihres eben so unbesonnenen als unbescheidenen Geliebten, sich auf den Hals geladen hat.

Alles dieß ging nun freylich stufenweise. In den ersten Tagen schien er bloß an ihren Winken zu hangen, und von ihrem Anschauen und ihren Blicken zu leben. Aber mit einem verwundernswürdigen Spürsinn machte der Schlaue gar bald ihre schwache Seite und die Rolle ausfindig, die er zu spielen habe, um sich unvermerkt ihres ganzen Herzens zu bemächtigen. Wechselsweise feurig und kalt, schwärmerisch und muthwillig, ehrfurchtsvoll und zudringlich, geschmeidig und widerspenstig, unterwürfig und gebieterisch, zeigte er sich ihr unter so vielerley Gestalten, und wußte immer so behend und mit so ungezwungener Leichtigkeit diejenige anzunehmen, die zur gegenwärtigen Stimmung oder Laune der wandelbarsten und vielgestaltigsten aller Weiber am besten paßte, daß er schon dadurch allein, daß er sie so stark beschäftigte, und ihr so viele Gelegenheiten gab, sich ihm von allen Seiten mit immer neuen Reitzungen zu zeigen, eine Gewalt über sie erhalten mußte, die noch keiner ihrer Freunde oder Liebhaber sich zu verschaffen – gesucht, oder vermocht hatte.

Indessen, dieß alles, und wenn man auch die Eindrücke, die seine Gestalt und Jugend auf eine Frau wie die schöne Lais machen konnte, in der möglichsten Stärke noch dazu rechnet, alles dieß wäre doch nicht hinreichend, die Leidenschaft, womit Sie an diesem Menschen hängt, und die Gewalt, die er über sie ausübt, begreiflich zu machen: man ist schlechterdings genöthigt, entweder die unwiderstehliche Sympathie der Aristofanischen Menschen-Hälften in Platons Gastmahl, oder den alten Glauben, daß es Leidenschaften gebe, die uns von einer ergrimmten Gottheit aus Rache über den Kopf geworfen und gleichsam angezaubert werden, zu Hülfe zu nehmen, um sich von einer so wunderbaren Erscheinung eine – eben so wunderbare Ursache anzugeben.

Lais hatte vorher nie leidenschaftlich geliebt. Auch wenn sie sich herabließ, unter den unzähligen, die sich um sie bewarben, einen von den Göttern begünstigten glücklich zu machen, geschah es immer ohne daß ihre Freyheit die mindeste Gefahr dabey lief. Schwärmerische Liebe, die sich dem Geliebten gänzlich hingiebt, keinen Willen als den seinigen hat, ihm alles aufopfert, nur in ihm lebt und da ist, kurz, eine Liebe, die man nicht in seiner Gewalt hat, und deren Wirkungen im Gegentheil unsrer eigenen Selbstständigkeit Gewalt anthun, und eine Art von Bezauberung sind, war in ihren Augen eine lächerliche Schwachheit, deren sie sich gänzlich unfähig hielt. Eine späte Erfahrung hat sie nun, zu ihrem eigenen Erstaunen, des Gegentheils überführt; und wer jemahls selbst geliebt hat, begreift, wie die mächtigste aller Leidenschaften, sobald sie einmahl Besitz von ihr genommen hatte, eine so gänzliche Verwandlung ihrer Sinnesart bewirkte, daß sie andern und sich selbst ein völlig neues Wesen scheinen muß. Aber wie diese Anlage zu der höchsten Art von tragischer Liebe vierzig Jahre lang, wie von einem magischen Schlaf gebunden, in ihrem Busen schlummern konnte, und daß gerade dieser Thessalische Taugenichts der einzige seyn mußte, der sie zu wecken vermochte, das ist es, was allen, die Sie zuvor kannten, unbegreiflich ist, und was man kaum seinen eigenen Augen glauben kann.
 

Ich würde mich nicht so sehr verwundern, wenn der Zaubervogel, womit er sie an sich gezogen hat, keine andern als die gewöhnlichen Zufälle der leidenschaftlichen Liebe in ihr hervorbrächte, wie heftig sie auch immer seyn möchte, mit Einem Worte, wenn sie den schönen Thessalier liebte wie etwa Saffo ihren Faon; auch würden, wenn dieß der Fall wäre, ihre Freunde sich ihrentwegen noch eher beruhigen können. Denn, da der schöne Pausanias weit entfernt ist den Grausamen gegen sie zu machen, so wäre gute Hoffnung, daß der Genuß das Feuer dämpfen und die verliebte Raserey von kurzer Dauer seyn würde. Aber, zu ihrem Unglück, hat die Fantasie ungleich mehr Antheil an ihrer Leidenschaft als die Sinnlichkeit. Ihre Liebe ist das Ideal der reinsten, höchsten, treuesten und beständigsten Anhänglichkeit, und so wie Sie selbst liebt, will sie auch wieder geliebt seyn. Sie verlangt von ihm was er ihr nicht geben kann, ein Herz das nur für Sie schlägt, eine ganz von Ihr ausgefüllte Seele. Alle seine Begierden sollen in Ihrem bloßen Anschauen sich ersättigen; die zarteste ihrer Liebkosungen, die leiseste Berührung ihrer Hand soll ihn schon zum Gott machen. Aber Pausanias, wiewohl er Anfangs einige Tage lang den Schüchternen und Ehrfurchtsvollen spielte, hat keine Lust sich in den Mysterien der himmlischen Afrodite und des Platonischen Eros einweihen zu lassen; und daher entsprangen ziemlich bald kleine Mißhelligkeiten und Zänkereyen zwischen ihnen, wobey Lais den Sieg allemahl durch Gefälligkeiten andrer Art theuer genug erkaufen mußte. Ihre Furcht ihn erkalten zu sehen, wenn Sie das, was er mit einem mildernden Nahmen seine Liebe nannte, befriedigte, war so groß, daß Sie lange Kraft genug in sich fand ihm zu widerstehen; aber dafür glaubte Sie, ihm auf einer andern Seite einen verhältnismäßigen, d. i. nach ihrer eigenen Schätzung, einen sehr großen Ersatz schuldig zu seyn; und so erhielt er (das Einzige, was sie immer noch zu geben haben wollte, und was wahre Liebe am längsten zurückhält, ausgenommen) alles andere von ihr, was er sich nur zu wünschen einfallen ließ. Allein kaum hatte der Undankbare den Schlüssel zu ihrer Schatzkammer in seiner Gewalt, so trug er auch kein Bedenken, sich für dieß einzige Opfer, worauf Sie einen so hohen Werth setzte, auf die unzärtlichste Art zu entschädigen, indem er öfters ganze Nächte mit etlichen seiner Vertrautesten bey der schönen Fryne durchschwärmte, einer jungen Hetäre, die sich seit einiger Zeit hier niedergelassen hat, und dermahlen die berühmteste und theuerste unter den elf oder zwölf hundert Priesterinnen ist, die sich dem Dienste der Afrodite Pandemos in dieser üppigen Stadt gewidmet haben. Du kannst dir die Ungewitter vorstellen, die eine Beleidigung dieser Art in einer so stolzen Schönen erregen mußte, die auch an allem Äußerlichen, was die Männer anziehen und fesseln kann, noch immer keine über sich sieht; zumahl, da der übermüthige Mensch, anstatt sie durch Reue und Demüthigung zu besänftigen, ihrer Empfindlichkeit Anfangs einen kaltblütigen Trotz entgegensetzte, der ihm unfehlbar seinen Abschied zugezogen hätte, wenn nicht eine einzige zu ihren Füßen geweinte, wahre oder geheuchelte Thräne hinreichend gewesen wäre, ihren Zorn zu löschen und eine Aussöhnung zu bewirken, deren erste Bedingung seinen Triumf über ihre Schwäche vollständig machte.
 

Die Unglückliche sieht nun selbst, daß ein längerer Aufenthalt zu Korinth ihr in jeder Rücksicht nachtheilig wäre, und Sie hat ihrem Geliebten – der seit der letzten Aussöhnung die leidenschaftlichste Anhänglichkeit an sie zeigt – den Vorschlag gethan, mit ihm nach Thessalien zu ziehen, und, mit dem Rest ihrer durch seine Verschwendungen ziemlich zusammen geschmolzenen Reichthümer, sich in einer der anmuthigsten Gegenden dieses Zauberlandes anzukaufen. Sie ist, zum Behuf dieses Vorhabens, bereits über den Verkauf ihres schönen Landgutes zu Ägina mit Eurybates in Unterhandlungen getreten, welche durch meine Hände gehen; denn ihr in Geschäften dieser Art zu rathen und zu dienen, ist das Einzige, wodurch mir noch erlaubt ist Ihr meine Freundschaft zu beweisen. Da Eurybates seine unmittelbar an dieses Gut gränzenden Besitzungen beträchtlich dadurch erweitern und verschönern kann, und es daher schwerlich aus den Händen lassen wird, so habe ich gute Hoffnung, vortheilhaftere Bedingungen von ihm zu erhalten, als von irgend einem andern Käufer zu erwarten seyn dürften.

Das schlimmste bey allem diesem ist ohne Zweifel, daß die arme Lais, – wie ich, aller ihrer Bemühungen es mir zu verbergen ungeachtet, nur gar zu deutlich sehe – nicht glücklich ist. – Sollte dir nicht auch schon begegnet seyn, was mir mehr als Einmahl geschah, daß du im Traum zu träumen wähntest? Ich weiß den Zustand, worin Lais sich dermahlen befindet, durch kein passenderes Bild zu bezeichnen. Sie sieht zu hell, um nicht zu sehen, daß sie ihr ganzes Glück in eine bloße Täuschung setzt: aber sie will getäuscht seyn, und so ist sie es denn auch wirklich, und träumt, es träume ihr daß sie glücklich sey. Möge nur das völlige Erwachen nicht gar zu schmerzhaft seyn!

Ob noch ein Mittel sie zu retten übrig ist, weiß ich nicht; mir wenigstens sind alle Versuche, die ich gemacht habe, fehl geschlagen.


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