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Ein glücklicher Zufall hat mich zu Efesus mit dem größten Mahler unsrer Zeit in Bekanntschaft gesetzt. Du erräthst sogleich daß ich den Parrhasius meine, von welchem die zwey kleinen Stücke in dem Landhause unsrer Freundin zu Ägina dich so sehr bezauberten, und von dessen Demos du mich mit einer Bewunderung, die an mir etwas ungewöhnliches ist, sprechen hörtest. In der That giebt es dermahlen noch schwerlich etwas vollendeteres in eurer Kunst, und ich wollte du entschlössest dich, bevor du an die Ausführung der beiden Denkmähler gehst, zu einer Reise nach Mitylene, bloß dieses Gemähldes wegen, an welchem ein Auge wie das deinige so viel zu sehen und zu studieren finden würde.
Parrhasius ist ein feiner, stattlicher Mann, der, neben andern mit seiner Kunst in Bezug stehenden Kenntnissen, sich vorzüglich auf die Menschenkunde mit Ernst gelegt zu haben scheint. Von dem Künstlerstolz, den man ihm Schuld giebt, mag er wohl nicht ganz frey seyn; und warum sollte er auch nicht fühlen dürfen was er ist, und wie nahe die Mahlerkunst, die vor ihm noch in der Wiege lag, der Hora ihrer schönsten Blüthe durch ihn gebracht worden? Er spricht gern von dem, was er in dieser Rücksicht geleistet habe, und da ihn dieß nothwendig auf den Zustand führt, worin er seine Kunst gefunden, so ist natürlich, daß er an den Werken der alten Meister, ohne darum ungerecht gegen sie zu seyn, mehr zu tadeln als zu loben hat. Ob er aber eben so gerecht gegen seine jetzt blühenden Nebenbuhler, einen Zeuxis, Timanthes, Pausias, u. a. sey, ließe sich fast bezweifeln; wenigstens hält er zurück, wenn die Rede von ihnen ist, und giebt, wenn dieses oder jenes von ihren Werken gerühmt wird, seine Beystimmung gewöhnlich nur mit den Achseln oder Augenbraunen. Man sagte mir, es sey eine von seinen Eigenheiten, daß er beym Arbeiten, weder einen andern Mahler, noch jemand, der im Ruf eines Kenners der Kunst stehe, zusehen lasse. Gegen bloße Liebhaber hingegen ist er desto gefälliger, und ich habe unter diesem Titel das Vergnügen gehabt, ihn an einem großen Gemählde arbeiten zu sehen, das die Entscheidung des Streits um die Waffen Achills zwischen Ajax und Ulysses vorstellt, und in kurzem zu Samos um den Preis mitwerben soll. Nur wenn er die letzte Hand an ein Werk legt, schließt er sich vor jedermann ein; vermuthlich weil er ein Geheimniß besitzt, um seinen Gemählden den schönen Ton und das Lebenathmende und Beseelte zu geben, das so sehr daran bewundert wird. Ich sprach ihm von seinem Demos, wie einem bloßen Liebhaber zukommt, mit Entzücken, und erhielt dadurch das Recht, ihm in gebührender Einfalt und Demuth die Frage vorzulegen: ob es wirklich seine Meinung gewesen sey, den Karakter des Athenischen Volks in diesem Stücke darzustellen? Er antwortete mir lachend: vermuthlich ist es dir von dem Besitzer unter dieser Benennung gezeigt worden? Da ich es bejahte, fuhr er fort: »ich will dir offenherzig sagen was an der Sache ist. Es war wirklich mein erster Gedanke daß es ein allegorisches Gemählde werden sollte; aber die Schwierigkeit war, wie ich es anstellen wollte, die Widersprüche im Karakter des Athenischen Volkes so zu personificieren, daß gescheidte Leute ohne Wahrsagergeist errathen könnten was ich wolle. In zwey Stücken, deren jedes nur eine Seite dieses Karakters gezeigt hätte, möchte dieß allenfalls angegangen seyn, wiewohl die Sache noch immer große Schwierigkeiten hatte; aber auf Einer Tafel fand ich es platterdings unmöglich. Nach langem Hin- und Hersinnen, fiel mir ein, anstatt meine Absicht durch allegorische Personen erreichen zu wollen, würde ich besser zum Ziel kommen, wenn ich eine wieder aus einander gehende Volksversammlung schilderte, und zwar so, daß man aus den verschiedenen Gruppen errathen könnte, was unmittelbar vorher verhandelt und beschlossen worden, und was dieser und jener für eine Rolle dabey gespielt habe. Ich gestehe, daß ich diesen Gedanken für eine Eingebung meines guten Genius hielt, und daher mit mehr als gewöhnlicher Begeisterung ausführte. Ich hatte nun Gelegenheit, alle die verschiedenen Züge woraus der Karakter der Athener zusammengesetzt ist, auf die natürlichste Art in Handlung und Kontrast zu setzen. Mein Stück, wiewohl es im Grunde nichts mehr ist als was der Augenschein ausweist, wurde dennoch für den nachdenkenden Beschauer, der den Geist eines Gemähldes zu erhaschen weiß, wirklich das, wozu ich es Anfangs machen wollte, eine Karakteristik der Athener, und da der Nahme Demos Athenäoon beides gleich schicklich bezeichnen konnte, so verkaufte ich es dem Liebhaber zu Mitylene unter diesem Titel, mit welchem es mich hoffentlich eine Weile überleben wird.« – Gewiß so lange, sagte ich, als die Erde mit einer allgemeinen Verbrennung oder Ersäufung verschont bleibt, wofern die Besitzer nur Sorge tragen, es vor dem nachtheiligen Einfluß der Luft und der Sonne zu bewahren. Meine Farben halten bis auf einen gewissen Grad beides aus, versetzte Parrhasius. – Du mußt deren wirklich ganz eigene und andere unbekannte haben, sagte ich, da du solche Wunder damit thun kannst. – Gleichwohl siehst du nur vier auf meiner Palette, war seine Antwort; – und nun hatte ich keine Lust weiter zu fragen. Parrhasius zeigte mir unter verschiedenen zum Verkauf fertigen Stücken zwey zusammen gehörende, die ich, ihres sonderbaren Effekts wegen, für unsre Freundin gekauft habe. Beide Tafeln stellen ebendenselben schwerbewaffneten Kriegsmann vor; auf der einen ist er in vollem Lauf begriffen, auf der andern legt er seine Rüstung ab, um auszuruhen; in beiden herrscht ein so hoher Grad von Wahrheit und Leben, daß man ihn auf jener schwitzen zu sehen, und auf dieser keuchen zu hören glaubt.Plinius erwähnt dieser beiden Stücke unter den berühmtesten Werken dieses Meisters. Sunt et duae picturae ejus nobilissimae, Hoplitides: alter in certamine ita decurrens ut sudare videatur; alter arma deponens ut anhelare sentiatur. H. N. 1. 35. c. 10. Er war so zufrieden mit mir, als ich diese, eben nicht schwer zu machende Bemerkung machte, daß er mich noch eine ziemliche Anzahl kleiner, auf elfenbeinerne Täfelchen gemahlter Stücke sehen ließ, die an täuschender Lebendigkeit und Grazie der Ausführung, so wie an Leichtfertigkeit des InhaltsPinxit et minoribus tabellis libidines, eo genere petulantis joci se reficiens. Plin. XXXV. 10. alles weit übertreffen, was ich je in dieser Art gesehen habe. Laß dir genug seyn, Kleonidas, daß eine in Götterwonne hinsterbende Leda das züchtigste Stück von der ganzen Sammlung war. Da er mich etwas verlegen sah, – (du weißt, ich liebe die Entweihungen der heiligen Mysterien Amors und Afroditens nicht) – sagte er mir ganz unbefangen: diese Scherze meines Pinsels sind eigentlich nur für mich selbst gemacht, und dienen mir zur Erhohlung nach ernsthaftern Arbeiten. Ich würde keines davon um irgend einen Preis verkaufen; nur diese Leda ist derjenigen bestimmt (wofern sich eine solche finden sollte) die schöner ist als sie, und statt des göttlichen Schwans – mit mir vorlieb nehmen will. Du siehst, Freund Kleonidas, daß Parrhasius nicht nur ein großer Mahler, sondern auch ein großer Schalk ist, und die schwache Seite der Leden kennt. Wenn es nur auf die erste seiner Bedingungen ankäme, so wäre die seinige schon verspielt. Ich möchte wohl wissen was Lais zu diesem tollen Einfall sagt?
Parrhasius ist reich, und lebt auf einen ziemlich Asiatischen Fuß. Ich sah verschiedene schöne Sklaven und Sklavinnen in seinem Hause, und eine der letztern schien mir seiner Leda sehr ähnlich zu sehen. Und so viel von deinem berühmten Kunstverwandten.
Ich brauche dir nicht zu sagen, wie ungeduldig ich nach der Ausführung deiner zwey herrlichen Ideen bin. Für die kleine Rache, die du für mich an dem spitznasigen Plato genommen hast, hat dir Lais, wie ich höre, schon in ihrem und meinem Nahmen gedankt. Strenger wird ihn hoffentlich sein eigenes Gefühl bestrafen, wenn er hören wird, daß er mit drey hämischen Worten einen Jüngling, der wahrlich der Sokratischen Bildung Ehre gemacht haben würde, zur Verzweiflung getrieben hat.