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Vor einigen Tagen langte ein junger Künstler aus Paros auf dem Landsitze der schönen Lais an, um ihr eine beynahe vollendete Venus von Parischem Marmor zu überbringen, welche Leontides, kurz vor seiner Reise in das Land, aus welchem man nicht wiederkommt, bey ihm bestellt hatte. Sie war für einen kleinen Tempel in dem Myrtenwäldchen bestimmt, das einen Theil der weitläufigen Gärten dieser schönen Villa ausmacht; und Lais hatte auf Verlangen ihres Patrons zum Modell dazu dienen müssen. Es versteht sich, daß diese Venus – zwar nur hier und da von einem nebelartigen Gewand umflossen, aber doch nicht gewandlos ist; denn zu einer noch größern Gefälligkeit hatte sich die junge Dame schlechterdings nicht bequemen wollen. Die Stellung, die der Eupatride selbst gewählt hat, und die dir keine schlechte Meinung von seinem Geschmack geben wird, ist der Augenblick, da die junge Göttin zum ersten Mahl in der Olympischen Götterversammlung erscheint. Die Ausführung läßt von dem jungen Künstler, der sich Skopas nennt, noch viel schönes und großes erwarten; aber schwerlich wird er jemahls etwas vollkommneres aufstellen, als der Kopf und der halb entblößte Oberleib dieser Liebesgöttin ist. – »Man verlangt von uns, sagte mir Skopas, daß wir göttliche Naturen nach einem höhern Ideal bilden sollen als was die menschliche im Einzelnen darstellt: aber hier war die Rede nicht davon, mein Modell zu verschönern; mir war nur bange, daß ich es nicht würde erreichen können, und in der That bin ich noch nicht mit mir selbst zufrieden.« – Ich, der das Werk freylich mit keinem Künstlerauge ansah, wußte, sogar wenn Lais dabey stand, nichts zu finden, worin es dem Urbilde noch ähnlicher seyn könnte. Selbst den Geist, der die Beschauer anzusprechen scheint, ein wundervolles unbeschreibliches Gemische von jungfräulicher Befangenheit und innigem Selbstbewußtseyn dessen was sie ist, hat er aus dem Zaubergesichte meiner schönen Freundin herausgestohlen; gleich beneidenswürdig, es mag Geschicklichkeit oder Glück seyn, wodurch es ihm gelang. Fühlt ihrs, scheint sie den um sie her sich drängenden Göttern zu sagen, daß ich die Göttin der Schönheit bin?
Dieser Skopas ist ein sehr interessantes Wesen für mich, und wiewohl viel fehlt, daß ich es auch für ihn seyn müßte, so scheint er doch einiges Belieben an meiner Unterhaltung zu finden, und ich bringe täglich etliche Stunden in seiner Werkstatt zu. Denn außer der besagten Venus hat er noch eine Gruppe des Eros und Anteros, und einige Stücke in halberhabener Arbeit zu fertigen, die für den kleinen Tempel bestimmt sind. Er ist ein helldenkender Kopf, und hat (wie ich sehe) ohne es von Sokrates gelernt zu haben,Aristipp scheint bey dieser Parenthese ein Gespräch des Sokrates mit dem Mahler Parrhasius im Sinne gehabt zu haben, wovon uns Xenofon im dritten Buch der Memorabilien die Substanz, vielleicht nicht ohne einige Beymischung von seinem Eigenen, giebt. ausfindig gemacht, daß ein Bild eben sowohl seine eigene Seele zu haben und dessen, was es vorstellen soll, sich bewußt zu seyn, als Leben zu athmen, scheinen müsse. Seiner Versicherung nach, hat er es dem berühmten Sofisten Prodikus zu danken, daß er von Natur und Kunst, und von dem, was für den Menschen in beiden das Höchste ist, klärere Begriffe hat als die meisten seiner Kunstverwandten. Lais ist nicht selten die dritte Person in seinem Arbeitssahle, und wenn ich zur Eifersucht geneigt wäre, so käm' es bloß auf mich an, in dieser häßlichen Leidenschaft schnelle und große Fortschritte zu machen. Denn es ist nicht zu läugnen, daß Skopas durch seine Venus sich eine Art von Recht an sie erworben hat, und ich müßte mich sehr irren, oder er hat auf ihre Dankbarkeit um so sicherer gerechnet, da er wirklich ein liebenswürdiger junger Mann, und, dem Ansehen nach, von unverdorbenen Sitten ist. Wie ich mich in dieser Lage benehme, fragst du? –Wie ein weiser Mann, Kleonidas! Ich scheine nichts zu merken, nichts zu fürchten, nichts voraus zu sehen; bin offen und vertraulich gegen meinen Nebenbuhler, freundschaftlich und anspruchslos gegen die Dame des Hauses, und glaube durch dieses Betragen bey der letztern desto mehr zu gewinnen, da der gute Skopas (wie alle Göttermacher, denke ich) ziemlich hitzig ist, und einen zu seinem Nachtheil begünstigten Mitwerber nicht so leicht ertragen könnte als ich, der sichs zum Gesetz gemacht hat, den Grazien keine Gunst weder abverdienen, noch viel weniger abnöthigen zu wollen. Daß wirkliche Gleichgültigkeit die Quelle meiner anscheinenden Ruhe seyn könnte, ist ein Gedanke, der ihr gar nicht in den Sinn kommt.
Gestern traf Lais die Einrichtung, daß wir den ganzen Tag ungestört allein beysammen seyn konnten, weil Skopas noch eine Sitzung nöthig fand, um den Kopf seiner Venus zu vollenden. Gleichwohl schien er selbst nicht recht zu wissen, was noch fehlen sollte, und begnügte sich indessen, hier und da mit leisen Schlägen an den Haarlocken herum zu spielen. In der That hatte er etwas ganz anderes auf dem Herzen, und weil ihm vermuthlich keine feinere Wendung, um die Sache einzuleiten, beyfallen wollte, fing er zuletzt an, eine Art von mißmüthiger Laune zu zeigen, zu welcher nirgends ein sichtbarer Grund vorhanden war. Was fehlt dir, Skopas? fragte ihn Lais endlich in einem so sanften Ton, als ein übellauniger Ehmann von der geduldigsten Gattin nur immer verlangen könnte. – »Ich kann es nicht länger verbergen, ich bin ärgerlich, daß einem Bilde wie dieß Etwas fehlen soll.« – Und was fehlt ihm denn noch? fragte ich so bescheiden als einem in den Mysterien der Kunst Uneingeweihten gebührt. – Alles, antwortete Skopas. – Alles ist viel, sagte Lais mit einem komischen Zucken der Augenbraunen und Lippen; arme Afrodite! Da müßten wir dich ja gar in irgend einen unzugangbaren Gartenwinkel verbannen?
SKOPAS. Genug, es fehlt ihr daß sie nicht so schön ist als sie seyn könnte; ich nenne dieß Alles.
LAIS. Erkläre dich, lieber Skopas. Du siehest mehr als wir andern. Glaubst du noch etwas verbessern zu können? Bricht sich vielleicht irgend eine Falte nicht zierlich genug? Ich will dir gern noch stehen, so oft und lange du es nöthig findest.
Eine Falte? sagte Skopas mit einem schweren Seufzer; die Falten sind es eben was mich ärgert; die Göttin der Schönheit sollte gar keine Falten haben! – LAIS. Also ein nasses Gewand, meinst du? – SKOPAS. Wozu überall ein Gewand? Kann das verwünschte Gewand, wie leicht es auch geworfen ist, etwas anders thun als die Schönheit umwölken, die, vermöge ihrer Natur, nichts, was nicht wesentlich zu ihr gehört, an sich dulden kann? – LAIS. Kommst du wieder auf deine alte Grille? – SKOPAS. Verzeih, schöne Lais! daß die Göttin der Schönheit auch durch die zierlichste Bekleidung verliert, ist Natur der Sache; das Grillenhafte – es muß nun einmahl heraus – ist die falsche Scham, die eines edeln und freydenkenden Wesens unwürdig ist. Daß ein einfältiges Ding von einem attischen Bürgermädchen, wiewohl es sich den Augen der Künstler ohne Bedenken stückweise vermiethet, sich mit Zähnen und Klauen wehrt, wenn es sein letztes Gewand fallen lassen soll, begreift sich und hat immer seine guten Ursachen. Aber was für einen Grund könnte eine untadelige Schönheit haben, sich verbergen zu wollen? Ohne Verschleierung gesehen zu werden, ist ja ihr höchster Triumf. LAIS. Und wenn sie nun keine Lust hätte sich dem möglichen Fall auszusetzen, von lüsternen Augen entweiht zu werden? – SKOPAS. Das ist als wenn die Sonne nicht leuchten wollte, um ihr Licht zu keinen schlechten Handlungen herzugeben. Vollkommene Schönheit ist das Göttlichste in der Natur; so betrachtet sie das reine Auge des wahren Künstlers, so jeder Mensch von Gefühl; für beide ist sie ein Gegenstand der Anbetung, nicht der Begierde. – LAIS. Das mag von der Göttin selbst gelten, Skopas; aber welche Sterbliche dürfte sich ohne Übermuth einer vollkommenen Schönheit vermessen? – SKOPAS. Wenn dieß deine einzige Bedenklichkeit ist, so hab' ich gesiegt. Ich nehme die Verantwortung bey der furchtbaren Nemesis auf meinen Kopf – LAIS. Komm mir zu Hülfe, Aristipp! du siehst mit was für einem verwegenen Menschen ich zu kämpfen habe. – ARISTIPP. Ich fürchte sehr, du wirst einen schwachen Beschützer an mir haben. Der Genius der Kunst ist auf seiner Seite; das rathsamste wäre, däucht mich, einen gütlichen Vergleich mit ihm zu treffen. – LAIS. (in einem tragischen Ton) Auch du gegen mich, du, den ich für meinen Freund hielt? Nun dann, wenn ich ja das Opfer seines Eigensinns werden soll – SKOPAS. Um Vergebung, schöne Lais! Ich fühle, daß mich das Interesse meiner Bildsäule und der Kunst über die Gebühr zudringlich gemacht hat. Ich besinne mich. Es wäre allerdings unbillig – in der That – am Ende bist auch du nur eine Sterbliche – ARISTIPP. Mir fällt ein Ausweg ein, der, wofern er deinen Beyfall hat, schöne Lais, den Künstler zufrieden stellen könnte. Wenn mich meine Augen nicht sehr getäuscht haben, so ist unter deinen Aufwärterinnen eine, welche völlig deine Größe hat, und, die Gesichtsbildung ausgenommen, dir an Gestalt so ähnlich ist, daß sie in einiger Entfernung leicht mit dir verwechselt werden könnte. Wie wenn du diese an deiner Statt der Kunst Preis gäbest? – SKOPAS. Dem Aristipp ists zu verzeihen, einen solchen Vorschlag gethan zu haben; ich machte mich des Nahmens eines Künstlers auf immer unwürdig, wenn ich ihn annähme. Meine Venus muß in sich selbst vollendet, muß (so zu sagen) eine reine Auflösung des Problems der Schönheit seyn; nicht das leiseste Mißverhältniß darf die vollkommne Symmetrie aller Theile und die höchste Einheit des Ganzen stören. LAIS. Dieses Unglück ist leicht zu verhüten. Wir lassen das Bild, wozu ich selbst, weil es mein ehmaliger Gebieter wollte, zum Modell dienen mußte, wie es ist, wenig und leicht genug bekleidet, sollt' ich denken, um einen nicht gar zu eigensinnigen Kunstliebhaber zu befriedigen; und weil Skopas so große Lust hat, seine Idee einer vollkommenen Schönheit in einer ganz enthüllten Afrodite darzustellen, so überlasse ich ihm meine Lesbia dazu. Ihr Gesicht mag wohl einiger Verschönerung fähig seyn: aber dafür bin ich gut, daß er im ganzen Griechenland und allen seinen Inseln keinen schönern Körper finden soll. – SKOPAS. Als den, dessen Hälfte in diesem Bilde eine jede andere, als die Göttin selbst, eifersüchtig machen muß. – LAIS. Da mich Skopas aus billiger Rücksicht, daß ich doch nur eine Sterbliche bin, und also meine geheimen Ursachen haben kann, ein für alle Mahl dispensiert hat, so kann von mir nicht mehr die Rede seyn. – Ungütige Lais, rief Skopas, gewiß zweifelst du nicht, daß das in einer ganz andern Absicht gesagt wurde. – Wirklich? versetzte sie mit einer naiven Miene, deren Ironie der junge Mann nur zu stark zu fühlen schien; aber was sollte man einem so heißen Liebhaber seiner Kunst nicht zu gut halten? Und wie könnt' ich dir meinen Dank für deine andere Absicht thätiger beweisen, als indem ich dir in meiner Lesbia eine so reiche Entschädigung anbiete? Dieß war zu viel für die Empfindlichkeit und den Stolz eines Künstlers, der sich auf einmahl, wiewohl durch seine eigene Unvorsichtigkeit, von einer schon nahe geglaubten Hoffnung herabgestürzt sah. Ich werde mein Äußerstes thun (sagte er, sich vergeblich bemühend ihre Ironie mit einer eben so naiven Miene zu erwiedern) um dich von dem hohen Werth zu überzeugen, den ich auf die reiche Entschädigung lege, die du mir versprichst. Ich gehe mit deiner Erlaubniß sogleich, um zu dem neuen Werke, das du mir aufträgst, Anstalt zu machen.
Was für ein reitzbares Völkchen diese Götter- und Menschenbildner sind, sagte Lais als Skopas sich entfernt hatte. – »Du mußt es ihm zu gute halten, schöne Lais; er fiel auf einmahl von einer so schönen Hoffnung herab!« Aber that ich nicht wohl daran, fuhr sie fort, daß ich seinem grillenhaften Eigensinn nicht nachgab? – Wenn ich meine Meinung unverhohlen sagen soll, erwiederte ich, so ist die Idee der Göttin der Schönheit, wie sie unter den Händen ihrer Dienerinnen, der Grazien, mit ihrem Gürtel geschmückt hervorgeht, erst lebendig in mir geworden, seitdem ich dieses Bild gesehen habe. Skopas hat unstreitig Recht, wenn er behauptet, daß die Bekleidung der Schönheit in so fern nachtheilig ist, als sie uns die reinen Formen der bedeckten Theile mehr oder weniger entzieht, und das Ganze mehr errathen als sehen läßt. Aber er hat Unrecht zu vergessen, daß Schönheit mit Grazie in Eins verschmolzen eine viel stärkere Wirkung thut; und ich wenigstens bin überzeugt, daß eine Bekleidung wie diese hier (die Bildsäule stand uns gegenüber) gerade das ist, was jene Vereinigung bewirkt und einen großen Theil ihres Zaubers ausmacht. Während sie die Schönheit des Unverschleierten dem äußern Sinn auffallender macht, setzt sie zugleich den innern in Bewegung, und verdoppelt das Vergnügen des Anschauers, indem sie die Einbildungskraft beschäftigt, mit leiser lüsterner Hand den neidischen Schleyer von dem Verhüllten wegzuziehen. LAIS. Das ist es eben was ich meinte. – ICH. Und was ich nicht hätte sagen sollen, denn ich rede gegen mein eigenes Interesse. Vielleicht hättest du mir erlaubt zugegen zu seyn, wenn du dem Verlangen des Skopas nachgegeben hättest? – Du sollst nichts dabey verlieren, daß es nicht geschehen ist, sagte sie, indem sie mir die Hand reichte, und mich durch eine kleine Galerie in einen anmuthigen, einsamen Theil des Gartens führte; ich glaube zu fühlen, daß wir dazu geboren sind Freunde zu seyn. Es giebt keine ewige Liebe; aber Freundschaft ist ewig, oder verdiente diesen Nahmen nie. – Der Altar hier ist dieser Unsterblichen geheiligt. Hier, Aristipp, laß uns schwören, Freunde zu bleiben so lange wir leben, und dieser erste Kuß sey das Siegel unsers schönen Bundes. –
Beneide mich nicht zu sehr, guter Kleonidas! Lais ist eine große Zauberin; sie läßt immer noch viel zu wünschen übrig, und indem wir uns trennen müssen, wundre ich mich hinten nach, wie wenig das war, wodurch sie mich so glücklich wie einen Gott gemacht hatte.