Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XV.
Learchus von Korinth an Aristipp.

Geschäfte, welche meine eigene Gegenwart forderten, lieber Aristipp, haben mich nach Ägina geführt, wo ich dich noch anzutreffen hoffte, aber erfahren mußte, daß du schon seit einiger Zeit nach Athen zurückgekehrt seyest. Unsre Freundin Lais, bey welcher ich so viele Abende zubrachte als ich in meiner Gewalt behielt, eilt beynahe zu sehr, die Beute, die sie unsern Erbfeinden abgenommen hat, unter die gesammten Griechen wieder zu vertheilen und in Umlauf zu setzen. Man wird es gewohnt, sich unter ihren eigenen Bedingungen bey ihr wohl zu befinden; aber man wird auch endlich ihrer Reitzungen gewohnt, und da sie selbst keinen Werth auf sie zu setzen scheint als in so fern sie ihr zu Befriedigung ihrer Eitelkeit dienlich sind, so läuft sie Gefahr, endlich auch den zu verlieren, welchen andere darauf zu setzen bereit waren. So sprechen wenigstens diejenigen von ihren Liebhabern, die mit dem, was sie unentgeltlich giebt, nicht zufrieden sind; und das mögen leicht so viel als alle seyn, die, seitdem sie zu Ägina lebt, einen ziemlich glänzenden Hof um sie her gemacht haben. Ich meines Orts bin ziemlich geneigt zu glauben, daß sie, bey allem Anschein von Sorglosigkeit, ihren Stolz sehr gut mit ihrem Vortheil, so wie ihr Vergnügen mit ihrem Stolz zu vereinigen, und die Augenblicke, wo das Glück ihr irgend einen Fisch, der des Fangens werth ist, ins Garn treibt, mit aller möglichen Gewandtheit zu benutzen weiß. Wenigstens ist dieß dermahlen der Fall mit einem der reichsten Thessalier, der vor kurzem in Ägina erschien, und in wenig Tagen schon Mittel fand, alle seine Mitwerber weit zurück zu drängen. Wirklich hat mir dieser Dioxippus (wie er sich nennt) die Miene, im Nothfall alle seine Güter, welche keinen unbeträchtlichen Theil der reichsten Gegenden Thessaliens einnehmen, daran zu setzen, um die schönste und stolzeste Hetäre, welche Griechenland je gesehen hat, auf seine Bedingungen zu haben. Ich zweifle nicht, daß sie ihm den Sieg schwer genug machen wird; aber ich zweifle eben so wenig, daß sie schon entschlossen ist sich besiegen zu lassen. Beide scheinen einander bereits auf den Wink zu verstehen. Dioxippus hat ihr den Einfall eine Reise nach Delfi, Larissa, Tempe, u. s. f. zu machen, so fein beyzubringen gewußt, daß sie sich mit guter Art gegen ihn stellen konnte, als ob es ihr eigener Gedanke wäre. Die Reise ist also beschlossen, und die Anstalten dazu werden mit der größten Lebhaftigkeit betrieben. Dioxippus wird sie begleiten, und schmeichelt sich (wie er sich sehr bescheiden ausdrückt) sie werde ihm vielleicht die Gnade erweisen, eines seiner Güter in diesen Gegenden mit ihrer Gegenwart zu beglückseligen. Die getäuschten Raben sind indessen mit leeren Schnäbeln wieder aus einander geflogen, und in drey oder vier Tagen wird die Göttin, mit einem zahlreichen Gefolge von Nymfen, und, sobald sie zu Megara angelangt seyn wird, von einem Schwarm Thessalischer Reiter umflogen, die Reise nach der heiligen Stadt Delfi antreten.

Ich will lieber gleich freywillig gestehen, was ich dir doch nur halb verbergen konnte – daß ich etwas ungehalten auf unsre Männerbeherrschende Schöne bin, wiewohl mein Aufenthalt zu Ägina dießmahl keine absichtliche Beziehung auf sie hatte. Damit ich dir aber die Mühe erspare mich deswegen auszuschalten, bekenne ich auch sogleich, daß mein Mißmuth ungerecht ist. Oder was für ein Recht könnten wir (ich meine mich und Meinesgleichen) haben, Ansprüche an Sie zu machen? Ist sie nicht Herr über ihre eigene Person? Und wenn ihr auch alle die herrlichen und seltnen Gaben, womit die Natur sie ausgestattet, bloß zur Mittheilung verliehen worden wären, wer ist berechtigt ihr vorzuschreiben, wen und wann und in welchem Maße sie durch diese Mittheilung zu begünstigen schuldig sey? Ist nicht das, was sie, durch Gestattung eines freyen Zutrittes zu ihr, für das gesellschaftliche Leben thut, schon allein unsers größten Dankes werth? Macht sie nicht einen schönen, edeln und bis zum Übermaß freygebigen Gebrauch von den Reichthümern, die ihr das Glück, das eben so verschwenderisch gegen sie war als die Natur, zugeworfen hat? Welche Vortheile zieht nicht Korinth, das durch sie gewisser Maßen zur Hauptstadt von Griechenland wird, bloß davon, daß die schöne Lais es zu ihrem gewöhnlichsten Sitz erwählt hat? Und wie viel hat sie nur allein dadurch, daß sie sich Mahlern und Bildnern mit so vieler Gefälligkeit als Modell darstellt, zu Vervollkommnung der Kunst und zur Verschönerung unsrer Tempel und Galerien beygetragen? – Du siehst, Aristipp, daß meine selbstsüchtige üble Laune mich wenigstens nicht ungerecht und undankbar gegen ihre mannigfaltigen Verdienste macht, und du wirst die Großmuth, womit ich sie gegen mich selbst zu rechtfertigen suche, hoffentlich auch mir für ein kleines Verdienst gelten lassen.

Meine Verrichtungen führen mich von hier nach Salamin, von wo ich dir und der Akademie einen fliegenden Besuch zu machen gedenke. Im Vorübergehen hoff' ich auch den Sonderling Diogenes zu sehen, von welchem mir die hier anwesenden Athener so viel seltsames erzählt haben, daß ich große Lust hätte, ihn den Korinthiern als ein neues Wunderthier aus Lybien zu zeigen, wenn ich ihn überreden könnte mich zu begleiten. Lebe wohl!


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