Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XVIII.
Antwort des Antisthenes.

Nach Empfang deines Briefes, mein junger Freund, glaubte ich nicht besser thun zu können, als wenn ich ihn dem Sokrates selbst zu lesen gäbe, für welchen er doch eigentlich geschrieben zu seyn schien. Nachdem er ihn, bey einigen Stellen lächelnd, bey andern den Kopf ein wenig wiegend, überlesen hatte, sagte er, indem er mir den Brief zurück gab: Unser Freund Aristipp ist erstarkt, und kennt den Weg, den er gehen will, so gut, daß er weder eines Führers noch Wegweisers bedarf. Wenn Cyrene keine Ansprüche an ihn macht, wie sie wohl schwerlich machen wird, so sehe ich nicht, warum er nicht eben so wohl als ein Weltbürger sollte leben können, wie irgend ein Vogel in der Luft, der sich, auf welchen Baum er will, setzt, und sich übrigens nur vor Leimruthen und Schlingen in Acht zu nehmen hat. Mit uns Athenern ist es ein anderes. Wir andern sind zu Bürgern von Athen geboren, und hangen nur als Athenische Bürger mit der übrigen Welt zusammen. Oder was meinst du, Kritobul, (fuhr er fort, sich auf einmahl an diesen wendend) hältst du es für so leicht, dich von der Pflicht gegen Athen loszusagen? Das kann und darf ich nicht, antwortete Kritobul, so lange ich in Athen lebe und Gutes von Athen empfange und erwarte. SOKRATES. Solltest du nicht Pflichten gegen Athen haben, die dir gar nicht erlauben, ohne den Willen der Athener anderswo zu leben? KRITOBUL stutzte und antwortete nach einigem Zögern: Wenn ich Vermögen genug hätte zu leben wo es mir am besten gefiele, und es gefiele mir an einem andern Orte besser, warum sollte ich an Athen gebunden seyn? SOKRATES. Von wem hast du dein Vermögen? KRITOBUL. Das meiste ist von meinen Vorältern erworben; einen Theil hab' ich vielleicht mir selbst zu danken. SOKRATES. Wie kommt es, daß die mißgünstigen und ungerechten Menschen, deren es so viele in der Welt giebt, Diebe, Straßenräuber, oder andere Feinde, so gutherzig waren, deinen Vorältern und dir Zeit und Mittel zum Erwerben zu lassen, und, wenn ihr etwas erworben hattet, es euch nicht wegzunehmen? KRITOBUL. Davor schützten uns die Gesetze und die bewaffnete Macht von Athen. SOKRATES. Diesen hättet ihr also die Möglichkeit des Erwerbs und die Erhaltung eures Vermögens zu danken? KRITOBUL. So scheint es. SOKRATES. Nun möcht' ich wohl wissen, was die Athener bewegen könnte, euch zu schützen, und um dazu immer bereit zu seyn, großen Aufwand zu machen, wenn ihr ihnen nichts dagegen thun solltet? KRITOBUL. Auch fehlt sehr viel, daß wir ihnen etwas schuldig blieben. Wir gehorchen ihren Gesetzen, wir steuern nach unserm Vermögen zu ihren gemeinsamen Ausgaben bey, ziehen in den Krieg oder rüsten eine Galeere aus, wenn sie uns dazu auffordern, und was dergleichen mehr ist. SOKRATES. Denkst du aber nicht, die Athener haben damahls, da sie es auf sich nahmen, euch bey dem Vermögen, das ihr unter dem Schutz ihrer Gesetze erwarbet, so viel in ihren Mächten ist, zu erhalten, darauf gerechnet, daß auch ihr euch den Pflichten nie entziehen würdet, die euch schon die natürliche Dankbarkeit gegen den Staat, als euern ersten und größten Wohlthäter, auferlegt? KRITOBUL. Ich denke in der That, das haben sie. SOKRATES. Und wenn nun, z.B. dem Kritobul die Lust ankäme, seinem Vaterlande die Pflicht aufzukünden, könnt' er das, ohne sich als einen undankbaren und gegen sein Vaterland ungerechten Menschen darzustellen? KRITOBUL. Ich sehe, daß ich Unrecht hatte, Sokrates. SOKRATES. Überlege die Sache noch weiter mit dir selbst, und sage mir deine Meinung, wenn wir uns wiedersehen.« – So viel, Aristipp, den Punkt der Weltbürgerschaft betreffend. Über den andern Hauptpunkt deiner Rechtfertigung habe ich dir noch weniger zu sagen; denn natürlicher Weise hängt es gänzlich von dir ab, ob du lieber in der Gesellschaft einer schönen und dich angenehm unterhaltenden Hetäre, oder im Umgang mit Sokrates und seinen Freunden leben willst.


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