Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Christian Felix Weisse: 1726-1804

 

Der Kuß

Ich war bei Chloen ganz allein
Und küssen wollt ich sie:
Jedoch sie sprach, sie würde schrein,
Es sei vergebne Müh.

Ich wagt es doch und küßte sie
Trotz ihrer Gegenwehr.
Und schrie sie nicht? Jawohl, sie schrie –
Doch lange hinterher!

 

Die Haselsträuche

Heil euch, verwachsnen Haselsträuchen!
Wie sehr liebt euch die Jugend nicht.
In eure Schatten seh ich manchen Schäfer schleichen
Mit seiner Schäferin, sobald die Sonne sticht.
Warum denn schleichen sie hinein? –
Es wird des Schattens wegen sein.

Heil euch, fruchtbaren Haselsträuchen!
Auch wenn die Sonne nicht mehr sticht,
Im Herbst, seh ich sehr oft den Schäfer zu euch schleichen
Mit seiner Schäferin: des Schattens wegen nicht.
Warum denn schleichen sie hinein?
Es wird der Nüsse wegen sein!

 

Die Schamhaftigkeit

Wie schamhaft, o! wie keusch ist sie,
Mein Mädchen, die kleine Blondine!
Heut in Gesellschaft küßt ich sie;
Da sprach sie mit zorniger Miene:
»Geh, Unverschämter, geh! was denkt die Welt von mir?
Heut abend noch verlang ich Rechenschaft von dir!«

Wie schamhaft, o! wie keusch ist sie,
Mein Mädchen, die kleine Blondine!
Ich kam bei Licht und küßte sie;
Da rief sich mit drohender Miene:
»Halt, Unbekannter! Der Nachbar guckt heraus!«
Sie zog den Vorhang zu, ich blies die Lichter aus.

 

Der Spaß

Die alte buhlende Finette
Fragt einst (ich war allein mit ihr),
Ob ich ihr nichts zu sagen hätte?
»Ich? Nichts – als – Sie gefallen mir.«
Sie seufzt und sinkt aufs Ruhebette:
»Im Ernste,« seufzt sie, »sagst du das?«
Ich Tor? daß ich so albern redte!
Versteht die Närrin keinen Spaß?

Allein, aus dichtbewachsnen Hecken,
Guckt lauschend Doris, ruft mich an
Und eilt, sich wieder zu verstecken,
Doch so, daß ich sie finden kann.
Ich greife nach dem losen Kinde
Und zieh sie kämpfend in das Gras:
Sie schreit, ob ich nicht Spaß verstünde?
Ja freilich! ich versteh den Spaß.

 

Eine sehr gewöhnliche Geschichte

Philint stand jüngst vor Babets Tür
Und klopft und rief: Ist niemand hier?
Ich bin Philint! laßt mich hinein! –
Sie kam und sprach: »Nein, nein!«

Er seufzt, er bat recht jämmerlich.
»Nein!« sagte sie, »ich fürchte dich.
Es ist schon Nacht, ich bin allein:
Philint, es kann nicht sein! –«

Bekümmert wollt er wieder gehn,
Da hört er schnell den Schlüssel drehn;
Er hört: »Auf einen Augenblick!
Doch geh auch gleich zurück!« – –

Die Nachbarn plagt die Neugier sehr,
Sie warteten der Wiederkehr:
Er kam auch, doch erst morgens früh.
Ei! ei! wie lachten sie!

 

Die Wahl

Mein Nachbar ist ein guter Mann:
»Sieh meine Töchter beide,
Und sage, welche steht dir an;
Dein ist die Wahl! entscheide!« –
Die Wahl ist schwer! Die ein ist braun,
Die andre blond! und, im Vertraun!
Ich liebte sie wohl beide.

Mein Nachbar war ein beßrer Mann,
Gab er mir alle beide.
Dann kam es auf zwei Proben an:
Wer gibt die größte Freude?
Ich schwörs, so wahr ich ehrlich bin,
Ich gab ihm eine wieder hin –
Und mit der Zeit wohl beide.

 

Die Unschuld

 

Mutter:

Ja, liebes Kind, bisher hab ich dich noch bewacht:
Nun bist du sechzehn Jahr, nun nimm dich selbst in acht.
Flieh aller falschen Schäfer List!
Sie sagen dir, wie schön du bist,
Wie sehr ihr Herz von dir entzündet ist:
Doch darfst du ihnen niemals traun,
Und schwören sie dir gleich, auf ihren Schwur nicht baun;
Denn wenn man ihnen nur den mindsten Kuß erlaubt,
So ist uns schon die Unschuld halb geraubt.

 

Tochter:

So, Mutter? ist das wahr? Ei, warum sagtet Ihr
Mir dieses nicht schon längst? Was kann ich nun dafür,
Daß sie mir halb geraubet ist?
Denn Dämon hat mich, welche List!
Beim Spiele mehr als hundertmal geküßt.
Schön ists! O wär es doch erlaubt!

Wie schön muß es nicht sein, wenn man sie ganz uns raubt!
Sagt mir, wie das geschieht? Sonst schweig ich etwa still,
Wenn Dämon kommt und mir sie rauben will.

 

Der Türke

Einst kam ein Reisender zurück,
Weit her aus der Türkei.
Da, sagte er, blüht der Männer Glück,
Da leben sie recht frei.

Da nimmt man Weiber, wie man will,
Und weiß von keiner Zahl;
Der braunen und der blonden viel,
Und viel auch auf einmal! –

Verdammt, rief Stax, ganz außer sich,
Sei unser Eigensinn!
Ei, Bruder, ei, wie ärgerts mich,
Daß ich kein Türke bin!

Sein Weibchen sah ihn lächelnd an
Und sprach: »Was fällt dir ein?
Ei ja, du würdest, guter Mann,
Ein feiner Türke sein!«

*


 << zurück weiter >>