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Guy de Maupassant: 1850 – 1893

 

Die Mauer

Die Fenster standen offen. Der Salon
Warf grelles Licht hellschimmernd in das Freie,
Und breite strahlen spielten auf dem Rasen.
Auf die Orchestermelodien gab
Von fern der Park mit leisem Rauschen Antwort.
Allüberall war Heu- und Blätterduft;
Die warme Nachtluft, wie ein linder Atem,
Umschmeichelte die Schultern, und es mischte
Sich Wald- und Wiesenhauch mit dem Parfüm
Des Fleisches, und das alles ließ wie spielend
Die Kerzenflammen auf und nieder flackern.
Vom Frauenhaar, vom Feld kam Blumenduft.
Bisweilen schien, aus tiefen Schatten wehend,
Ein kalter Wind auf seinen leichten Schwingen
Der Sterne Wohlgerüche herzubringen.

Die Frauen träumten, lässig hingesunken,
Stumm, feuchten Blicks, wenn zeitweis die Gardinen
Gleich Segeln schwollen – wohl von einer Reise
Durch jenen großen Sternenozean,
Den goldnen Himmel. Eine Zärtlichkeit
Erfüllte sie, ein stärkeres Bedürfnis,
Zu lieben, leise schmeichelnd zu gestehen
Die süßen Heimlichkeiten voller Herzen.
Voll Wohlgeruch schien die Musik, die Nacht
Schien rhythmisch sich auf Balsamduft zu wiegen;
Es klang, als ob ganz fern die Hirsche röhrten.
Da drang ein Frösteln durch die weißen Kleider,
Und man stand auf, und das Orchester schwieg.
Denn hinterm schwarzen Waldrand, überm Hügel,
Sah man, wie Feuer in den Weidenzweigen,
Den ungeheuren Mond rot sich erheben.
Er ruhte auf dem Gipfel, völlig rund,
Und stieg einsam zur hohen Himmelswölbung,
Ein bleiches Antlitz, das die Welt durchirrt.

Man wandelte im Schatten auf den Wegen,
Wo gelber Sand wie schlafend Wasser lag,
Auf das der Mond sein Silberlicht hinsäte.
Die milde Nacht schuf Liebe, und die Augen
Der Männer strahlten von verborgnem Feuer.
Die Frauen gingen ernst, die Stirn gesenkt,
In ihren Seelen etwas von dem Mond,
Etwas, worin sündhafte Sehnsucht wohnt.

Ich irrte umher, unklaren Drang im Herzen.
Ein leises Lachen ließ den Kopf mich wenden,
Und bei mir stand die Dame, die ich liebte,
Ach, ganz bescheiden, denn noch niemals hatte
Sie meinen Wunsch erhört. Sie aber sagte:
»Gebt Euren Arm, wie wandeln durch den Park!«
Sie scherzte ausgelassen über alles;
Der Mond, sprach sie, säh ganz aus wie ein Witwer,
Und dann: »Der Weg hier ist wohl allzu weit,
Denn meine Schuhe sind leicht, mein Kleid ist neu;
Kehren wir um!« Ich bot den Arm, wir gingen.
Drauf lief sie aufs Geratewohl umher,
Und ihres Kleides Wehn, zufällig fächeln,
Störte die eingeschlafne Lust ganz plötzlich.
Sie hielt, Luft schöpfend an. Wir schritten langsam
Geräuschlos nun durch einen Baumgang hin.
Vom Dunkel kam ein zärtliches Geflüster,
Und im Gesumme, das die Finsternis
Belebte, klang es manchmal wie ein Kuß.
Da sang sie einen Triller laut zum Himmel!
Und schnell war alles still. Man hörte laufen
In eiliger Flucht; manch wütender Verliebter,
Jetzt schnell verlassen, schimpfte ob der Störung.
Im Laub, ganz nah, schlug eine Nachtigall,
Und in der Ebene lockte eine Wachtel.

Plötzlich traf unsre Augen grelles Licht,
Und eine blendend weiße, hohe Mauer
Stand da, wie ein metallnes Schloß im Märchen.
Sie schien uns aufzulauern aus der Ferne.
»Das Licht ist gut, will man vernünftig bleiben,«
Sprach sie. »Zu finster ists Gebüsch, wir wollen
Uns dort vor jene helle Mauer setzen!«
Sie setzte sich und lachte, weil ich fluchte.
Mir wars, als lachte selbst der Mond am Himmel!
Ich wußte nicht warum, doch schiens, als wollten
Sich beide über mich recht lustig machen.
Also, wir saßen vor der hellen Mauer,
Und, schüchtern, sprach ich nicht: »Ich liebe dich!«
Doch, fast erstickend, nahm ich ihre Hände.
Sie ließ, kokett und leicht die Lippen kräuselnd,
Mich kommen, wie ein Jäger auf dem Anstand.

Auf dunklen Wegen sahen wir zuweilen
Gestalten schattenhaft vorüberhuschen.
Der Mond bedeckte uns mit blassen Strahlen
Und hüllte uns in seinen feinen Milchglanz,
Und zärtlich schmolzen unsre weichen Herzen.
Er glitt lautlos und langsam durch die Sterne
Und weckte süße Sehnsucht aus der Ferne.

Ich spähte nach ihr hin und fühlte wachsen
In mir, in meinen Sinnen, meiner Seele
Den sonderbaren Aufruhr, den ein Weib
In uns erregt, wenn unsre Wünsche fiebern!
Wenn man im Traumrausch nächtlich fühlt den Kuß,
Der zusagt, und das »Ja« geschloßner Augen,
Geheimnisvolles Glück enthüllter Reize,
Wenn sich der Körper hingibt, machtlos, reglos;
Trotzdem die Dame wirklich nur gewährt
Hoffnung auf einen Augenblick der Schwäche!
Mein Hals war trocken, und mit Zähneklappen
Befiel mich heißer Schauer und die Wut
Des Sklaven, der sich frei macht, und die Lust.
Der Kraft, als Beute jetzt zu packen
Dies ruhige Wesen, dessen sichrer Stolz,
Ich wußt es, nun in Tränen bald zerschmolz!

Sie lachte spöttisch, reizend unverschämt;
Ihr Atem sandte einen feinen Dampf,
Nach dem ich dürstete – Mein Herz hüpft; Torheit
Ergriff mich. – Ich umschlang sie. – Sie erhob sich
Voll Furcht. Ich faßte aufgeregt die Taille
Und küßte, pressend ihres Busens Rund,
Stirn, Augen, Haare und den feuchten Mund.

Der Mond schien triumphierend, hell und freundlich!
Schon faßte ich sie stark und stürmisch, als sie
Mit angestrengter Kraft zurück mich stieß.
Und neuen Liebeskampf gabs an der Mauer,
Die einer ausgespannten Leinwand glich.
Da sahen wir bei einer schnellen Wendung
Ein Schauspiel, sonderbar und äußerst komisch:
Wie auf der Wand die Schatten unsrer Körper,
Von unbestimmter Form, ganz seltsam mimisch,
Sich suchten, flohn und wechselnd sich vereinten.
Es war, als spielt man eine Hanswurstiade
Mit wilden Gesten eines Hampelmannes,
Der drollig die Liebhaberrolle nahm.
Sie drehten possenhaft sich oder krampfhaft.
Sie stießen sich wie Widder mit den Köpfen,
Dann wieder sich zur vollen Höhe reckend,
So wie zwei große Pfeiler standen sie.
Sie zerrten sich mit vier Gigantenarmen
Bisweilen auch, schwarz auf der weißen Mauer,
Und plötzlich schmelzend in den Liebesflammen
Schloß schmachtend sie ein heißer Kuß zusammen.

Das war sehr lustig und ganz unerwartet,
Und sie begann zu lachen. – Und wie soll wohl
Die zürnen und dem Nahn der Lippen wehren,
Die lacht? – So kann entschwundner Ernst oft mehr
Als Glut des Herzens beim Verliebten helfen!

Die Nachtigall schlug im Gezweige. Neugierig
Wollte der Mond helleuchtend uns bescheinen;
Verdutzt sah statt zwei Schatten er nur einen.

*


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