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William Shakespeare: 1564-1616

Zu Stratford am Avon in Warwickshire geboren. England größter, überhaupt einer der größten Dichter; über sein Leben ist wenig Sicheres bekannt. Seine dramatische Fruchtbarkeit hielt 25 Jahre lang an; er starb in seinem Geburtsort.

 

Venus und Adonis

Als von dem weinenden Morgen schied die Sonne
Mit Purpurantlitz, eilt Adonis schon,
der rosenwangige, zu des Jagens Wonne;
Jagd liebt er, doch der Liebe lacht er Hohn.
Von Liebe siech, tritt Venus ihm entgegen
Und wirbt um ihn, wie kecke Werber pflegen.

»Du, dreimal schöner, als ich selbst,« begann
Die Liebliche mit buhlerischem Kosen,
»Süß über alles, holder als ein Mann,
Mehr weiß und rot, als Tauben sind und Rosen;
Sich selbst besiegend, da sie dich vollendet,
Sagt die Natur, daß mit dir alles endet.

Geruh, du Wunder, dich vom Roß zu schwingen,
Und an den Sattelbogen festzuzäumen
Sein stolzes Haupt; zum Lohn von tausend Dingen
Erfährst du auch, so süßen als geheimen.
O, komm – dies Moos birgt keiner Schlange Tücke! –
Daß ich mit meinen Küssen dich ersticke.

Und fürchte nicht, verhaßte Sattheit müsse
Den Mund dir schließen; nein, im Überfluß
Soll er noch hungern, wundgeküßt: zehn Küsse
Wie einer kurz, wie zwanzig lang ein Kuß.
Ein Sommertag muß einer Stunde gleichen,
Läßt unter solchem Spiel man ihn verstreichen.«

Mit dem ergreift sie seine schweißige Hand,
Die Botin seiner Kraft und Männlichkeit.
»S ist edler Balsam,« zittert sie, »gesandt,
Daß eine Göttin seiner sich erfreut.«
So rasend gibt ihr Stärke die Begier,
Ihn sich herabzuziehn von seinem Tier.

Des Renners Zügel über einem Arm,
Schlägt sie den andern um des Knaben Leib,
Der damisch schmollt, und rot wird, doch nicht warm,
Und abhold ist dem süßen Zeitvertreib.
Sie rot und heiß, wie Kohlen recht im Feuer;
Er rot vor Scham, allein ein frostiger Freier.

O, Lieb ist schnell! – um einen knorrigen Ast
Weiß sie behend den bunten Zaum zu winden;
Das Roß ist aufgestallt, und jetzt in Hast
Versucht sie auch den Reiter festzubinden.
Ihn rückwärts stoßend, wie er sie es müßte,
Lenkt seinen Leib sie, doch nicht seine Lüste.

Kaum sinkt er hin, so fällt auch sie zur Erde,
Gleich ihm auf Hüft und Ellenbogen lehnend;
Sie streichelt ihn, doch er mit Zorngebärde
Verweist es ihr; – ihn zu beschwichtgen wähnend,
Vor Wollust stammelnd, sagt sie unter Küssen:
»Ja, wenn du schmälst, muß ich den Mund dir schließen.«

Er brennt vor Scham; sein mädchenhaft Erglühn
Löscht sie mit Tränen; drauf mit ihren Locken
Und ihren Seufzern wieder kühlt sie ihn,
Und fächelt seine Wangen wieder trocken.
Er nennt sie frech und schilt ihr zuchtlos Werben;
Was folgen soll, läßt sie durch Küsse sterben.

Und wie ein Aar, der lange Zeit gefastet,
Den Schnabel senkt in Federn, Fleisch und Bein,
Die Schwingen schüttelt und nicht eher rastet,
Als bis er voll ist, und der Raub herein:
So küßt sie Stirn ihm, Kinn und Mund und Wangen,
Um, wo sie endet, wieder anzufangen.

Er muß es schmollend wohl zufrieden sein;
Er liegt und keucht, und atmet ihr entgegen.
Sie saugt begierig seinen Odem ein,
Und nennt ihn Wonnedüften, Himmelsregen;
Und wünscht, Ihr Antlitz trüge Blumenbeete,
Daß ewig sie ein solcher Tau umwehte.

Nie lechzt ein Wandrer in der Hitze so
Nach einem Trunk, wie sie nach diesem Kusse;
Dem Heile nah, wird sie des Heils nicht froh,
In Flammen stehnd trotz ihrer Tränen Gusse.
»O, Mitleid,« ruft sie »kieselherziger Knabe!
Ein Kuß nur ists, drum ich gebeten habe!

Wie ich um dich, so hat um mich gefreit
Der fürchterliche, rauhe Gott des Krieges,
Der seinen Nacken bog in keinem Streit,
Der, wo er wandelt, sich erfreut des Sieges;
Doch hab ich ihn zu Füßen mir gesehn,
Erflehend das, was dir wird ohne Flehn.

An meinen Altar hängt er seine Lanze,
Sein beulig Schlachtschild und sein Helmgefieder,
Ließ sich herab zu Tändelspiel und Tanze,
Und lernte Lächeln, Schmeichelworte, Lieder,
Verschwörend Fahn und Trommel; – sieh, sein Feld
Ward diese Brust, mein Bett ward sein Gezelt.

So den Besiegenden hab ich besiegt;
An Rosenketten hielt ich ihn gefangen.
Er, dessen Stärke starker Stahl sich biegt,
Ließ meiner Schönheit dienen sein Verlangen,
O, sei nicht stolz! nicht rühme deines Sieges
Dich über sie, die schlug den Gott des Krieges.

Laß deine Lippen auf den meinen ruhn –
Sie sind ja rot, wenn auch nicht schön, wie deine!
Der Kuß soll dein sein, wie er mein ist! – nun,
Das Haupt empor! Was suchst du auf dem Raine?
Sieh mir ins Aug, sieh dich auf seinem Grunde!
Wenn Aug in Aug, warum nicht Mund auf Munde?

Schämst du, zu küssen, dich? O, schließ geschwind,
Gleich mir, das Auge! Nacht so scheint die Helle!
Die Liebe schwärmt, wo zwei beisammen sind;
Beginne kühn! kein Aug sieht diese Stelle!
Die blauen Veilchen unsres Lagers wissen
Nicht, was wir tun, und plaudern nicht von Küssen.«

Adonis aber, schläfrig und verdrossen,
Die Stirne runzelnd, finster seine Brau,
Das zornige Auge mürrisch halb geschlossen,
Wie wenn den Himmel einhüllt Nebelgrau –
Mundziehend spricht er: »Laß mich fort! Zu sehr
Brennt heut die Sonne! Nichts von Liebe mehr!«

»Weh mir!« ruft Venus, »wie so jung und kalt!
Welch leerer Vorwand, dich mir zu entziehn!
Himmlischen Odem seufz ich dir alsbald,
Daß er dich kühle bei der Sonne Glühn.
Mein wallend Haar soll Schatten dir gewähren,
Und brennt es auch, so lösch ich es mit Zähren.

Die Sonn am Himmel wärmt nur und gibt Licht,
Und schau, ich liege zwischen ihr und dir!
Von dort die Hitze sengt mich wahrlich nicht,
Nur deiner Augen Glut bringt Hitze mir!
Wär ich unsterblich nicht: – dahingegeben
Zwei solchen Sonnen, könnt ich fürder leben?

Bis du von Stein denn, bist du hart wie Stahl?
Den harten Stein doch höhlt des Regens Guß!
Gebar ein Weib dich, und du fühlst die Qual
Des nicht, der liebt und einsam lieben muß?
Glich dir die Mutter, die dich trug, du Schlimmer:
Sie starb als Jungfrau, und gebar dich nimmer.

Wer bin ich denn, daß du mich fliehst, Verächter?
Bringt meine Werbung dir denn auch Gefahr?
Macht denn ein Küßchen deine Lippen schlechter?
O sprich! – doch hübsch! – sonst schweige ganz und gar!
Nur einen Kuß! – du sollst ihn wieder haben,
Und willst du Zinsen, sollen zwei dich laben!

Pfui, kalt Gemälde, lebenloser Stein,
Buntschimmernd Bildnis – all dein Glanz erlogen!
Das Aug erfreust du; – ach, das Aug allein!
Ding, wie ein Mann, doch nicht vom Weib erzogen!
Du bist kein Mann, was auch dein Aussehen sagt,
Denn Männer, wahrlich, küssen angefragt!«

Kopfschüttelnd nun erfaßt sie seine Hand,
Senkt dann die Augen auf des Bodens Grün;
Mit ihren Armen jetzo wie ein Band,
Wie er sich sträuben mag, umschlingt sie ihn.
Und will er fort, der weiberscheue Ringer,
Verschränkt sie heftig ihre Lilienfinger.

»O, du mein Liebling,« spricht sie lächelnd, »seh
Ich endlich dich in diesem schneeigen Hag!
Ich will dein Park sein, so sei du mein Reh!
Geh nach Gelüst hier deiner Weide nach!
Fang auf den Lippen an! Wenn die versiegen,
Dann tiefer, wo die lustigen Quellen liegen!«

Auf dies, wie spöttisch, lächelt er; – o sieh,
Wie seine Wangen jetzt zwei Grübchen tragen;
Kupido selbst, der Lose, machte sie,
Daß er drin ruhe, möcht ihn wer erschlagen.
Er wüßt es wohl: nahm er den Sitz der Liebe
Zum Grabe sich, daß er lebendig bliebe.

Was soll sie sagen jetzt, wohin sich wenden?
Zu End ihr Reden, aber nicht ihr Glühn!
Die Zeit ist um; er will sich ihren Händen,
Die ihn umschlingen, mit Gewalt entziehn.
»O Mitleid,« ruft sie, »bin ich nichts denn wert?«
Doch er springt auf und eilt nach seinem Pferd.

Jetzt aber sieh: – vom Dickicht her erschaut
Den Hengst des Knaben eine flüchtge Stute;
Sie jagt heran, sie schnaubt, sie wiehert laut,
Jung, ungebändigt, voll von Kraft und Mute.
Da reißt der Renner wild sich los vom Baum,
Sie zu begrüßen mit zerriß nem Zaum.

Vor seinem Lieb dann bleibt er wiehernd stehn;
Sie wiehert auch, als freute sie sein Spiel;
Doch bald, wie Weiber: stolz, ihn heiß zu sehn,
Macht sie die Spröde, tut sie fremd und kühl,
Weist ab sein Werben, stampft in sein Verlangen,
Schlägt mit den Fersen sein verliebt Umfangen.

Dann, wie betrübt und voll von Mißbehagen,
Senkt er den Schweif wie eine fallende Feder,
Läßt ihn der Schenkel weiße Schaumflut schlagen,
Schnappt nach den Fliegen auf des Riemwerks Leder;
Sein Lieb, gewahrend, wie so wild er tut,
Wird gütiger, und nach läßt seine Wut.

Sein zorniger Reiter naht, daß er ihn fange;
Doch sieh, die Stute faßt ein plötzlich Scheun;
Sie eilt von dannen, aufgeschreckt und bange,
Der Hengst ihr nach – Adonis steht allein.
Fort nach dem Walde jagen sie, die Tollen,
Schneller als Krähn, die Wette fliegen wollen.

Erschöpft und heiß setzt sich Adonis nieder,
Verwünscht sein Tier und seine Störrigkeit;
Und jetzo kehrt die günstige Stunde wieder,
In der sich Venus ihres Redens freut.
Denn dreifach Leiden fühlt ein Herz, das liebt,
Fehlt ihm der Beistand, den die Zunge gibt.

Und noch einmal jetzt hebt sie stürmend an:
»Du schönster Wandler auf dem irdischen Runde!
Wärst du, wie ich, doch! war doch ich ein Mann!
War mein Herz heil, und trügest du das wunde!
Ein süßer Blick – und Rat wollt ich dir geben,
Müßt ich dich retten auch mit meinem Leben!«

»Schmach!« ruft er aus, »was hältst du mich gefangen?
Hin ist mein Tag! Mein Renner jagt im Hain!
Nur deine Schuld ists, daß er durchgegangen!
Fort, sag ich, fort! und laß mich hier allein!
Denn nicht gedenk ich heut noch andrer Dinge,
Als wie zurück ich meinen Flüchtling bringe!«

So ihr Erwidern: »Zürne nicht den Pferden!
Der Brunst zu folgen ist des Tieres Pflicht.
Lieb ist die Kohle, die gekühlt muß werden,
Soll sie das Herz in Flammen setzen nicht!
Die See hat Grenzen, keine das Verlangen:
Warum denn staunen, daß dein Roß gegangen?

Laß mich entschuldigen deinen Renner, Knabe!
Und lern von ihm, ich bitt dich herzlich drum,
Wie du benutzest dargebotne Gabe!
Dies eine lehr ich dich, und war ich stumm:
O, lerne lieben! Leicht ja ist die Müh,
Und kannst dus einmal, du verlernst es nie!«

»Ich wills nicht lernen!« ruft er, »wärs ein Schwein,
Ein Eber noch: dann wollt ichs jagen gehen!
Es ist ein Borgen – ich mag nichts entleihn!
Meine Lieb zur Lieb ist Lieb nur, Lieb zu schmähen!
Im Tod ein Leben ist sie, sagt man mir,
Das lacht und weint in einem Atem schier.

Du ringst die Hand mir aus! Auf, uns zu trennen!
Dein nutzlos Reden, laß es endlich sein!
Hör endlich auf, die Brust mir zu berennen –
Nie durch ihr Tor doch zieht die Liebe ein!
Fort deine Heucheltränen, dein Gewäsche!
Mein Herz ist hart – sie machen keine Bresche!«

Sie drauf: »Du sprichst? Was, hast du eine Zunge?
Es sei! doch war ich jetzt nur ohne Ohr!
Denn wie Sirenen redest du, mein Junge!
Zwiefach jetzt duld ich, duldend schon zuvor!
Melodischer Mißlaut! Himmelslied voll Strenge!
Herztötende, tiefsüße Erdenklänge!«

Doch er: »Wenn du mich lieb hast – immer nenne
Mich blöd, doch halt es meinem Flaum zugut!
Willst du mich kennen, eh ich selbst mich kenne?
Fängt denn der Fischer auch die zarte Brut?
Abfallen reife, nimmer grüne Pflaumen,
Und brichst du sie, so sind die herb dem Gaumen.

O sieh, wie müd die Sonne niedergeht;
Ihr heißes Tagwerk endigt sie im West.
Die Eule kreischt, Herold der Nacht; s wird spät:
Zum Pferch das Lamm, der Vogel eilt zum Nest.
Kohlschwarz Gewölk verhüllt den Himmel weit,
Und ruft: Gut Nacht nun! es ist Scheidenszeit!

Drum gute Nacht! und sag auch du gut Nacht!
Ein Kuß, wenn du es sagst, wird noch gezollt!«
»Gut Nacht!« ruft sie, und eh er auf sich macht,
Reicht er ihr dar des Scheidens Honigsold.
Um seinen Hals die Arme schlägt sie dicht,
Sie scheinen eins, Gesicht wächst an Gesicht.

Bis atemlos er endlich sich befreit,
Und ihrem Durst das selige Naß versagt,
Den Purpurmund, in dessen Süßigkeit
Sie schwelgt, und dennoch über Dürre klagt.
Vor Mangel sie, er matt vor Überfluß,
Hinfallen sie, nochmals vereint im Kuß.

Jetzt hat sie ihn! Ha, wie er blöd sich fügt!
Ha, wie sie nie zu sättigen ihn zerfleischt!
Ihr Mund ist Sieger, seiner zahlt besiegt
Die Lösung aus, die der Beleidiger heischt,
Und geierhungrig heischt so hohen Satz:
Versiegen muß des Zahlers Lippenschatz.

Und nun der Beute Süßigkeit sie kennt,
Beginnt zu prassen sie mit blinder Wut;
Heiß kocht ihr Blut, ihr Antlitz raucht und brennt,
Achtlose Wollust facht verwegnen Mut,
Nicht Ehre mehr, nicht Sitte mehr ermessend,
Taub der Vernunft, des Rots der Scham vergessend.

Von ihrem Ungestüm heiß und zerschlagen,
Dem Falken ähnlich, den man zahm gekirrt,
Dem Rehe gleich, das matt vom langen Jagen,
Dem Kinde, das durch Tändeln ruhig wird,
Gehorcht er jetzt, und sie zur selben Zeit
Nimmt – nach Gelüst nicht, doch nach Möglichkeit.

Kein Wachs so hart, das Wärme nicht erweichte,
Drauf jeder Druck zuletzt nicht haften bliebe!
Kein Ding so schwer, das Kühnheit nicht erreichte
Und Stetigkeit – vor allem in der Liebe!
Neigung ermattet nicht nach Feiglingsart:
Nein, wirbt am besten, wenn verschmäht sie ward.

Wich seinem Zürnen alsobald ihr Schmachten,
Von seinen Lippen Nektar sog sie nie.
Wer Liebe hegt, soll keiner Ungunst achten –
Die Ros hat Dornen, dennoch pflückt man sie!
Wie manchem Schloß die Schönheit auch verfalle,
Die Liebe mit dem Dietrich bricht durch alle!

(Freiligrath)

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