Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Jeremiade

        Ihr Ahnen, ihr seligen Ahnen,
Mit Fiedel und Leier beglückt,
Wie habt ihr auf sonnigen Bahnen
Die Welt mit Tönen geschmückt!
Ihr kanntet kein Grübeln und Kränkeln,
Kein staubiges Stubengedicht,
Wie's euren betrüblichen Enkeln
Einbläst die reimende Pflicht.

Schon lang ist dem Zügel entglitten
Das stolze geflügelte Pferd:
Ihr Ahnen, ihr waret beritten,
Uns ist nur ein Fußweg beschert.
Ihr sprengtet als freie Poeten
Heidi! durch blumige Trift;
Wir Enkel mit Schreibergeräten,
Wir sitzen und stellen die Schrift.

Sucht Fiedel und Leier mit nichten!
Längst sind sie beiseite geschafft;
Dagegen gebraucht man zum Dichten
Die Tinte, den gräßlichen Saft.
Aus gallig geschwollnen Gewächsen
Und schrecklichen Giften erstellt,
So füllt sie mit Flecken und Klecksen
Und schmutzigen Fingern die Welt.

Euch blieb im frischen Gedächtnis
Der Lieder vergnügliche Zier;
Uns ward zum schlimmen Vermächtnis
Das weiße, fatale Papier.
Wir müssen das Herzblut pumpen
Auf solch ein plebejisches Blatt,
Das ganz gewöhnliche Lumpen
Zu nächsten Verwandten hat.

Und während von euch ein jeder
Die Hand in den Saiten verfing,
Wir führen darinnen die Feder,
Dies spitze, abscheuliche Ding,
Das uns zerschneidet die Märchen,
Bald trocken und bald zu feucht,
Und oft durch ein kleinliches Härchen
Den größten Gedanken verscheucht.

Wenn euer Sang in die Herzen
Des Volkes lebendig troff,
Uns müssen die Drucker erst schwärzen
Mit zähem, mit klebrigem Stoff.
Wir werden gepreßt und geschunden,
In widrige Pappe geschnürt
Und höchstens in Goldschnitt gebunden
Prosaisch zu Markte geführt.

Und doch! Wir wollen nicht jammern,
Solange die innere Kraft
In Stuben und Zellen und Kammern
Sich ihren Himmel erschafft,
Und was wir da schufen und sangen,
Steigt auch aus Tintenflor
Mit Farben und roten Wangen
Zum Herzen des Volkes empor.

 

 


 << zurück weiter >>