Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Epilog zu Goethes »Tasso«

(Weimar, 27. Mai 1899)

(Nach den letzten Worten des Dramas beginnt leise Musik. Die handelnden Personen treten in den Hintergrund; die übrigen gesellen sich, langsam eintretend, zu ihnen. Die Büste Goethes wird sichtbar)

Die Prinzessin (schreitet nach vorn und spricht)

        Und so noch einmal wandt' ich meinen Schritt,
Nicht mehr Prinzessin, nur die stolze Tochter
Des größten Vaters, nun sein Lied verklang.

»Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder . . .«

Ihr fühlt es stillbewegt, und wir mit euch,
An dieser Stätte, von ihm selbst geweiht
Durch seines Wirkens hohe Gegenwart;
Denn jedes große, vielgeliebte Wort,
In dem er sich geprägt, hier tönt es doppelt
Lebendig, doppelt heilig. Seine Stimme
Hat diesen Raum erfüllt; der Morgenweckruf,
Mit dem er deutsche Kunst entzauberte,
Von diesen Wänden hallt er noch zurück.

Und weht sein Geist nicht liebend um uns her?
Bestrahlt uns nicht in trauter Erdennähe
Sein klares, zuverlässiges Gestirn,
Das vor nun anderthalb Jahrhunderten
Aufging der Welt, um nimmer zu verlöschen?
Hoch über unserm kurzen Dasein atmet
Der Genius, des Wandels unbekümmert,
Das heitre Leben der Unendlichkeit.
Nicht Eile drängt ihn, Weihrauch zu empfangen;
Nur wir sind eilig, Weihrauch ihm zu streun,
Damit uns Kinder, Enkel nicht beschämen,
Und ehren, ihn vergötternd, uns in ihm.

Ferrara, Weimar! – Nein, mit Tasso nicht,
Dem unstet suchenden, dem leidenschaftlich
Zum Abgrund eilenden vergleich' ich ihn.
Nein, wenn er hier zwei Männer abgespiegelt,
Die darum Feinde sind, weil die Natur
Nicht einen Mann aus ihnen beiden formte,
Als diesen Einen, einzig Einigen
Erfanden wir ihn selbst. Feindliche Mächte,
Sogar die tausendjährigen Widersacher
Gestaltung und Gedanke, Welt und Geist,
Schönheit und Kraft, Germanien und Hellas
Vermählten sich im Einklang seines Wesens,
Und aus der wundervollen Ehe sproß
Des reichsten Sommers goldne Frucht empor.

Und wir, in diesem Überfluß geboren,
Erwuchsen drin. Die Sprache, die wir lernten,
Hat er gebildet, unser erstes Fühlen
Uns vorgedeutet, unserm Denken Inhalt,
Dem Inhalt erzgegoßne Form verliehn,
Die leere Welt mit sinnigen Gestalten
Bevölkert, Freunden, Führern und Gespielen,
Die Nacht verscheucht, der harten Erde Kinder
Mit ihrer Mutter festlich ausgesöhnt.
Er hat auf unsrer heimatlichen Flur
Den heiligen, verschwiegnen Hain gepflanzt,
In dessen Schatten unsre Taten reifen,
Hat unsrer Andacht unsichtbaren Tempel
Mit ewigen Götterbildern ausgeschmückt.

Wir sind sein Werk. Wenn wir uns Deutsche nennen,
So tun wir's mit erhöhtem Stolz, weil er
Ein Deutscher war, er, den die Welt uns neidet.
Ferrara, Weimar – Sehnsucht und Erfüllung!
So drück' ich meinen vollen, frohen Kranz
Dem Meister Wolfgang auf die hohe Stirne.
Denn jeder neue Kranz, zu tausend andern
Vom heißen Dank der wechselnden Geschlechter
Gewebt für dieses Haupt, ist eine Krone,
Mit der das Menschentum sich selber krönt.

 

 


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