Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Es war einmal

(Prolog zu einer Friedensfeier)

        Ein Märchen gibt's; die Mutter singt's den Kindern,
Der Bettler hört's, vergessend seiner Qual;
Wie Trostgesang, um jede Not zu lindern,
Durchtönt's die weite Welt: Es war einmal. –
Geheiligt wohnt es in den Herzen drinnen
Und zwingt sie, noch im blutig wilden Streit
Den liebsten Traum der Menschheit fortzuspinnen:
Es war einmal – es war die goldne Zeit.

Es gab ein wunderselig Blütenalter,
Da Freude Pflicht war, Hoffnung nie betrog,
Da noch das Menschenvolk wie Frühlingsfalter
Aus nie verwelkten Rosen Düfte sog,
Da nur im Tod erkaltete die Treue,
Kein Bund der Liebe noch vom Haß entzweit,
Da dem Genuß noch nicht gedroht die Reue,
Da noch dem Glücke nicht gefolgt der Neid.

Wir träumen's gern, wie einst in Kindertagen;
Das holde Traumbild macht uns still und froh,
Als hörten wir das Herz der Mutter schlagen,
Und doch, wir wissen: es war nimmer so.
Kein Gotteswort beschwor der Kämpfe Toben,
Die Erde blieb von rotem Blute feucht,
Die Liebe war ein flücht'ger Gast von oben
Und schwebte heimatwärts, vom Haß verscheucht.

Nur eine Zufluchtstatt war ihr beschieden,
Nur eine Macht auf Erden bot ihr Gunst
Und sprach zu ihr: »Tritt ein, bei mir ist Frieden;
Wärm' dich an meinem Herd.« Es war die Kunst.
Ein herrlich Obdach wölbte sich zu Ehren
Der Göttlichen, so fern vom rauhen Zwist,
Daß sie vergaß, zum Himmel heimzukehren,
Und siehe da, was nimmer war, es ist.

Die goldne Zeit, von der die Märchen schwärmen,
Lebt in der Dichter gläubigem Gesang;
Die Glut, an der im Frost sich Herzen wärmen,
Beseelt den toten Stein zum Werdedrang.
Ein schimmernd Band von Worten, Farben, Tönen
Umschlingt der Erde Kinder allzugleich
Und formt aus weit geschiedner Länder Söhnen
Des Geistes unbegrenztes Kaiserreich.

Die Flammen, die an diesem Bund entlohten,
Noch sprühn sie nur im engen Tempelhaus;
Doch wir, der Künste priesterliche Boten,
Wir tragen sie getrost ins Land hinaus,
In alle Seelen, die nach Licht verlangen,
In jedes Heim, dem Zwietracht grimmig droht:
Die goldne Zeit, von der die Dichter sangen,
Wir zünden ihr ein erstes Morgenrot.

Es war einmal? O nein, wir müssen's schaffen,
So süß der Kindertraum auch schmeicheln mag.
Vom lauten dröhnenden Geklirr der Waffen
Sind wir erwacht und blicken in den Tag.
Die Himmelsliebe, noch im Grau verborgen,
Wirft ihren oft umsonst erflehten Strahl
Mit goldnem Märchenlicht auf diesen Morgen,
Und jauchzend rufen wir: Es wird einmal!

 

 


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