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Seid mir gegrüßt! – Ihr kennt mich nicht?
Ihr zeigt verwunderte Mienen?
Doch bin ich eurem Angesicht
Wohl tausendmal erschienen.
Oft saht ihr mit Augen tränenfeucht
Die Scheinwelt meiner Gestalten,
Oft hab' ich von eurer Stirne verscheucht
Der Sorge grämliche Falten,
Bis ihr den Sturm, der das Leben durchrauscht,
Nur leiser gefühlt und linder
Und gläubig meinen Liedern gelauscht
Wie märchenbegierige Kinder.
Mich schuf die Gottheit im Weltbeginn,
Um ihre Schöpfung zu krönen:
Ich bin die Muse, die Herrscherin
Im weiten Reiche des Schönen. –
Ihr denkt: Wie kommt die griechische Maid,
Die sonst verhüllte die Glieder
Im weißen langen Faltenkleid,
Zu buntem Rock und Mieder?
Und hat sie nicht gar ins lockige Haar,
Das auf dem Olympos droben
Geschmückt mit Lorbeerzweigen war,
Die Blumen der Berge gewoben?
So wisset nur: Die Griechin fand
Eine zweite Heimat im Norden
Und ist im neuen Vaterland
Eine gute Deutsche geworden.
Nicht länger an ferne fremde Welt
Mag ich mein Lied vergeuden,
Bin schwesterlich zu euch gesellt,
Zu euren Leiden und Freuden.
Mein Herz ist jung, mein Blick ist hell,
Und statt in Lüften zu schweben,
Schöpf' ich vom nächsten klaren Quell
Das ganze lebendige Leben.
Bleibt ihr mir hold und wohlgesinnt,
Was gelten Gewand und Name?
Oft komm' ich als schlichtes Bürgerkind
Und oft als vornehme Dame;
In Bildern bunt und tausendfach,
Im Schloß, in stiller Klause,
Dachstüblein oder Prunkgemach,
In allen bin ich zu Hause. –
Doch eines Tags kam frisch und traut
Ein wackrer Gesell gegangen,
Und als ich dem in die Augen geschaut,
Da war mein Herz gefangen.
Er sang so kühn, er sang so stark
Von Menschenleid und Wonne;
In seinen Schritten war Felsenmark,
In seinen Blicken war Sonne;
Seine Wange war so rot und warm
Wie abendglühende Firne;
Ich aber schlang um ihn den Arm
Und küßt' ihn auf die Stirne
Und litt, daß er mich liebend umfing
Und gab ihm beide Hände
Und wär' ihm gefolgt, wohin er ging,
Bis an der Welten Ende.
Er aber blieb im Vaterland,
Und heimlich und verschwiegen,
So sind wir beide Hand in Hand
Ins deutsche Gebirge gestiegen,
Und dort, von Felsenriesen umschränkt,
Am sonnigsten Sommertage
Hat er mir dieses Kleid geschenkt,
Das ich mit Stolz nun trage.
Er pflückte mir vom Hange geschwind
Einen Strauß von Alpenrosen
Und ließ den frischen Gletscherwind
Um unsere Schläfen tosen;
Er lauschte dem Sturzbach, der niederfuhr
Von lautem Donner geleitet,
Und als der Atem der Gottnatur
Sein enges Herz geweitet,
Da trat er mit mir in die Hütten hinein
Und sah von Mitleid getrieben,
Wie ferne der Welt und künstlichem Schein
Die Menschen irren und lieben,
Wie ihren freien Adlerschwung
Noch hemmt ein finsteres Wähnen,
Wie noch in ahnender Dämmerung
Sie nach dem Morgen sich sehnen.
Da riß er kühn und kraftgeschwellt
Von ihrem Auge den Schleier;
Da ward mein Sänger ein Sonnenheld,
Ein leuchtender Befreier.
Da rief er gellend ins fernste Tal:
»Wacht auf! Der Tag ist kommen!
Seht hin, schon sind von dem ersten Strahl
Die Gipfel feurig erglommen;
Der gleitet die Wände hernieder schnell:
Triumph! In einer Stunde,
Da wird es auch in den Hütten hell
Und in der Herzen Grunde.«
Die Sonne ging auf, der Morgen kam;
Er rief ihn nicht vergebens:
Sein Aug' erspähte, sein Ohr vernahm
Die volle Flut des Lebens,
Und was in buntem Glück und Weh
Sich seinem Geist entsiegelt,
Das hat er klar wie der Alpensee
Und treulich widergespiegelt.
Er schuf kein Bild, das blendet und trügt;
Der Bau, den er erhoben,
Der steht so fest und stolzgefügt
Wie seine Berge da droben.
In seinem Reich ist freie Luft
Und heiteres Volksgewimmel,
Ist Frühlingshauch und Kräuterduft
Und klarer blauer Himmel. –
Doch ach! Auf diesen herrlichen Tag
Sank schnell der Abend nieder,
Und wenn ich des gedenken mag,
Quillt neu die Träne wieder.
Noch beugte das Alter den Nacken nicht,
Die Stirn war ohne Falten;
Noch wetterleuchtete sein Gesicht
Von ungeschaffnen Gestalten;
Noch wollte sich kein mürrischer Rost
Auf seine Harfe legen,
Noch jauchzte sein Herz im Winterfrost
Dem kommenden Lenz entgegen;
Noch wuchs sein Ruhm; noch wollte die Welt
Ein lauschend Ohr ihm neigen –
Da sank in tiefe Nacht mein Held
Und in unlösliches Schweigen.
Wohl wißt ihr, als ihn die Erde barg,
Wie heiß die Zähren träuften,
Wie über dem weißbeschneiten Sarg
Die Blumen der Liebe sich häuften . . .
Nun will auch ich zum letztenmal
Meinen toten Liebling beschenken;
Seine Muse stieg vom Berg zu Tal,
Um dankbar sein zu gedenken,
Und daß sich nun die duftige Zier
Zum reichen Kranze füge,
Hebet euch, Ranken, und zeiget mir
Noch einmal die teuren Züge. |