Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Begrenzung

        Laß ab, o Mensch, vom Kinderwahn,
Der noch durch deine Träume zittert,
Dein Einzelschicksal sei ein Span,
Vom großen Weltbaum losgesplittert;
Es sei dir auf die flache Hand
Gelegt zu völligem Besitze,
Damit dein künstelnder Verstand
Es nach Gefallen form' und schnitze.

O nein, am großen Lebensbaum
Ist's nur ein Zweig von tausend Zweigen,
Dem vorbestimmt sein Rang und Raum,
Und dem kein Sonderdasein eigen.
Es wächst aus ihm; es wird genährt
Von seinen tiefsten Wurzelsäften,
Und all dein stolzer Menschenwert
Entspringt aus dir verborgnen Kräften.

Was wiegt dein Wunsch? Was gilt dein Plan?
So kühn sich auch dein Geist erhoben,
Du bleibst dem Ganzen untertan,
Bleibst unzertrennlich ihm verwoben.
Du kannst nur werden, was du bist;
Jahrtausende, bevor hienieden
Du angetreten deine Frist,
War über dich bereits entschieden.

Was vor dir war äonenlang,
Was dich umringt in stetem Werden,
In klammerndem Zusammenhang
Webt's mit an deinem Los auf Erden.
Was hundert Meilen weit geschieht,
Durch ungezählte Zwischenglieder,
Die nur dein enger Blick nicht sieht,
Erhöht's dich oder wirft dich nieder.

Laß ab, o Mensch, vom Kinderwahn,
Du könntest, weil dein freies Denken
Hinschwebt auf selbstgewählter Bahn,
Auch dein Geschick nach Willkür lenken,
Du bist, wie leicht sich auch dein Hirn
Befreit aus unsichtbarem Netze,
Wie jedes Staubkorn, jed' Gestirn,
Der Spielball ewiger Gesetze.

 

 


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