Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Wandelbilder

Tivoli

        Trümmertempel der Sibylle –
Eines toten Geistes Hülle,
Unvergänglich festgebannt –
Wo du starrst vom schroffen Rand
Auf die goldne Lebensfülle,
Wo den Weg im Sprung verkürzend
Donnert in die Kluft der Strom,
Sehnsuchtsvoll hinunterstürzend
In das weite Tal von Rom,

Stiegen wir auf lichten Pfaden,
Muntre Wanderkameraden,
In die Dämmerung der Schlucht;
Blüte sahen wir und Frucht
In dem sprühnden Tau sich baden;
Wie zur ersten Frühlingsfeier
Wob der Felsen, dicht belaubt,
Einen feuchten Funkelschleier
Um sein immergrünes Haupt.

Wo der Bergpfad, übersponnen
Von dem Flimmer kleiner Sonnen,
Steil sich nach der Tiefe bog,
Langsam aufwärtssteigend zog
Eine Schar von jungen Nonnen.
Ernst beschaulich uns entgegen,
Paarweis schritten sie dahin,
Wohlbehütet allerwegen
Von der würd'gen Oberin.

Plötzlich klärte frohes Staunen
Ihre stillen, sonnenbraunen
Mienen wie mit Zauberzwang:
»Unsrer Muttersprache Klang;
Deutsche!« hörten wir sie raunen.
Ihre frommen Augen lohten
Wie von längst versagtem Glanz
Einen Gruß den flücht'gen Boten
Ihres fernen Vaterlands.

Kaum gefunden, schon gemieden,
Und auf ihrem Weg zum Frieden
Nimmer hemmten sie den Lauf;
Wir hinab und sie hinauf,
Für die Ewigkeit geschieden.
Nieder klommen wir zum Grunde,
Wo des Stromes Riesenkraft
Aus dem dunklen Höllenschlunde
Wütend eine Bahn sich schafft.

Übermächtig scholl das Toben;
Aber hoch am Felsen droben
Sahn wir schwarze Frauen stehn,
Sahen weiße Tücher wehn,
Winkend in die Luft gehoben.
Bei dem Tempel, drin der Heiden
Göttin schläft in ew'ger Ruh,
Winkten ein vertraulich Scheiden
Uns die Gottesbräute zu.

Ihr, entrückt dem Vaterhause,
Fern dem frischen Stromgebrause,
Rastet noch ein letztes Mal,
Bis ihr aus dem Sonnenstrahl
Wiederkehrt in eure Klause.
Wir, die noch das arge, süße
Leben warm am Busen hält,
Wir bestellen eure Grüße
An die Heimat, an die Welt.

 

 


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