Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gedenktag

        Weißt du noch? Zwei Jahre schon ist's her,
Und uns beiden war das Herz so schwer,
War von Liebe bis zum Rand gefüllt
Und die Zukunft nebelgrau verhüllt.
Leiden sah ich dich mit bittrem Gram,
Als ich früh am Morgen zu dir kam
Und sich leis die Frage mir entrang:
Willst du mit mir gehn ein Leben lang?

Und du saßest bleich und ruhig da;
In den Augen glomm ein stilles Ja;
Wie von einem Schauer überweht,
Schlossen sich die Hände zum Gebet;
Nur der Mund blieb reglos, ohne Laut,
Und wir waren Bräutigam und Braut.

Weißt du noch, wie weit, wie endlos weit
Damals dir erschien die frohe Zeit,
Wie dein blasses, schmerzgebeugtes Haupt
An des Glückes Botschaft nicht geglaubt,
Bis zuletzt nach langer banger Pein
In dein Stübchen fiel der Sonnenschein
Und du endlich frei von hartem Joch
An die Brust mir sankest? Weißt du noch?

Schon zwei Jahre! Wie die Zeit entrann!
Wieder schlich der Zauberer heran,
Welcher uns verhext hat alle zwei,
Der gewalt'ge Tausendkünstler Mai.
Wieder tret' auch ich zu dir herein,
Und ich spreche: Du Geliebte mein,
Schaltest eine Weile schon im Haus,
Forschtest meiner Seele Tiefen aus,
Hast geprüft an manchem bunten Tag,
Ob ich wohl dir noch gefallen mag,
Und die Frage hat nun andren Klang;
Willst du mit mir gehn ein Leben lang?

Voll Erwartung steh' ich vor dir da.
Sprich ein mutiges und helles Ja!
Gib die Hand mir; presse Mund auf Mund,
Neu besiegelnd unsern alten Bund;
Denn obgleich vor Jahr und Tag getraut,
Sind wir wieder Bräutigam und Braut.
Und so laß getrost die Jahre fliehn,
Wie am Himmelszelt die Wolken ziehn.
Selten blinkt ein ungetrübtes Blau;
Manche Saat verhagelt, liebe Frau.
Aber bleiben unsre Herzen warm,
Wollen siegreich wir aus allem Harm
Uns erheben leichtbeschwingt und frei,
Und wenn über fünfzig Jahr' der Mai
Einzieht in die festgeschmückte Welt,
Dann vom letzten Frühlingshauch geschwellt
Wird mein Herz mit leiserem Gepoch
Wiederum dich fragen: Weißt du noch?

 

 


 << zurück weiter >>