Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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November

Gevatter Tod

        Gevatter Tod durchschritt der Erde Fluren,
Die nun besiegt zu seinen Füßen lag;
Die Menschen fröstelten vor seinen Spuren
Und ehrten ihn am Allerseelentag.

Ein armer Mann, der viel herumgelaufen,
Weil sich bei seiner Dürftigkeit und Not
Kein Pate fand, sein jüngstes Kind zu taufen,
Erbat sich diesen Freundschaftsdienst vom Tod.

Und als das Kind zum Jüngling war geraten,
Begegnet' ihm der Tod im Waldesgrund:
Hier nimm dies Kräutlein als Geschenk des Paten;
Wer mir verfallen scheint, den macht's gesund.

Doch darfst du so den Kranken nur erquicken,
Wenn du mich siehst zu seines Lagers Haupt;
Wirst du zu seinen Füßen mich erblicken,
Dann ihn zu heilen ist dir nicht erlaubt. –

Bald scholl der Ruhm des Jünglings tausendtönig:
Ein Arzt, der nirgend seinesgleichen fand!
Und zur erkrankten Tochter ließ der König
Auch ihn weither berufen in sein Land.

Da lag das Maidlein auf dem Siechenbette,
Schön wie der Morgen, wie der Abend bleich,
Und wer sie vor der dunklen Gruft errette,
Den, hieß es, werde lohnen Braut und Reich.

Der Jüngling wollte schon den Trank ihr geben;
Doch weh', sein Pate stand zu Füßen ihr!
Ihn jammerte das junge, süße Leben,
Und nach der Krone brannt' ihm die Begier.

Er drehte schnell den Körper, daß beim Haupte
Der Tod nun stand, und gab ihr von dem Trank.
Da war sie heil. Doch der Gevatter schnaubte:
Betrogen hast du mich; jetzt nimm den Dank!

Er zog ihn fort in eine weite Halle,
Die strahlte von unzähl'ger Kerzen Schein;
Schau hier der Menschlein Lebenslichter alle,
Groß die der Jugend, die des Alters klein.

Sie flackern auf, wenn ihr zur Welt gekommen,
Sie löschen aus, wenn ihr euch legt zur Ruh',
Und dieses Stümpfchen, das nun gleich verglommen,
Mein ungeratner Schüler, das bist du.

 

 


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