Felix (und Therese) Dahn
Gedichte
Felix (und Therese) Dahn

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An Frau Anna in Neuseß.

I.
            Das war vor vielen, vielen Jahren,
    Daß ich durch dies Gelände zog,
Ein Jüngling, dem von braunen Haren
Ein dicht Gelock das Haupt umflog.

Und lächelnd wie dies Thal-Gefilde
    Lag meine Zukunft hell vor mir:
Rings sah ich gold'ne Traumgebilde
    Und meinen schönsten Traum – in Dir!

In Dir, Du Kind von fünfzehn Lenzen,
    Scheu wie das Reh am Waldes-Saum:
Da hing die Welt voll Blüthenkränzen,
    Und Alles war mir wie ein Traum!

Heut' abermals durch dies Gelände
    Thu' ich erinn'rungreiche Fahrt.
Schon neigt mein Leben sich zu Ende:
    Im Herbstwind weht mein weißer Bart.

Da seh' ich helle Flammen glimmen:
    Das ist Dein Herd, – dort waltest Du:
Da hör' ich frohe Kinderstimmen, –
    Dein Töchterlein hüpft auf mich zu.

Dein Töchterlein von fünfzehn Lenzen –
    Bist Du's nicht selbst? Ich weiß es kaum!
Doch feucht seh' ich mein Auge glänzen,
    Und Alles ist mir wie ein Traum!

Nein, nicht wie Traum! – Was wir gesonnen,
    Was wir gelebt, gewirkt, erreicht, –
Das ist kein Schatte, rasch zerronnen,
    Das ist kein Schein, der flüchtig weicht.

Was einmal schön in sich vollendet,
    Von edelstem Gefühl geweiht,
Das wird uns nie mehr rückgewendet:
    Das ward ein Tropfe Ewigkeit!


II.
                Wir stritten um die große Räthselfrage
Vom Menschenlos am Schluß der Erdentage,
Und meine düst're Weisheit, schmerzerkauft,
Von mancher Thräne bitt'rem Naß getauft,
Nicht wollte weichen Deinem hellen Glauben.
Nie möcht' ich Dir doch freud'ge Hoffnung rauben!
Und gestern trat – vernimm – in unsrem Streite
Ein neuer Grund fast sieghaft Dir zur Seite:
Ich sah Dich an, und tief Dir in den Kern
Der Seele ließ ich meinen Blick sich wagen,
Dein Auge glänzte gleich dem Morgenstern
Noch stets so schön wie in den Jugendtagen.
Da faßte Trauer mich wie nie noch ehe,
Ich dachte still in wortelosem Wehe,
Daß so viel Reiz und Güte auch vergehe . . .
Das ist mehr Schmerz, als Menschen mögen tragen!

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