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Das Elslein von Caub

Von Hermann Harry Schmitz

Ich habe hier meine kurzsichtige Tante Anisplätzchen Wilbert zwei Tage zu Besuch gehabt.

Am ersten Tag ging ich mit ihr zum Blücherdenkmal. Kopfschüttelnd blieb sie eine Weile schweigend davor stehen. Dann sagte sie, sie finde die Auffassung des Bildhauers immerhin merkwürdig. Aus dem Kostüm werde sie vor allem nicht so recht klug. Der Kopf gehe ja, die Züge seien von einem außergewöhnlichen Liebreiz.

Ich guckte sie groß an. So konfus hatte man den famosen Marschall Vorwärts noch nicht kritisiert.

»Das ist doch ein sehr verständliches Monument«, warf ich ein.

»So, findest du? Ich kann mir nicht helfen,« beharrte Tante Wilbert, »ich habe mir das Elslein von Caub anders vorgestellt.«

»Das ist doch das Blücherdenkmal«, belehrte ich sie.

»Ach so, warum hast du das nicht gleich gesagt?«

Fast jedes Nest am Rhein hat seine «Reminiszenz an einen deutschen Dichter. Meistens nehmen Gasthäuser für sich die Ehre in Anspruch, daß gerade ihr Wein oder ihre Wirtin einstens die Anregung zu dem oder jenem bekannten Gedicht gegeben habe.

Häufig wetteifern mehrere Prätendenten um dieselbe Ehre.

In Königswinter gibt es eine Wirtschaft »Zum kühlen Grunde« und eine andere »Zum wirklich kühlen Grunde«. Wie ich höre, soll noch ein dritter Wirt den kühlen Grund für sich in Anspruch nehmen und sein Lokal »Zum amtlich beglaubigten und privilegierten kühlen Grunde« nennen.

Original-Lindenwirtinnen, Original-Mädchen von Stolzenfels usw. gibt es hier massenhaft am Rhein. So sagt wenigstens Toni Bender, der sich darüber ärgert, daß die Dichter gerade gut genug sind, um als Aushängeschild für spekulative Hoteliers zu dienen.

Toni Bender ist und bleibt ein Nörgler. Auch geriet er in Wut, als ich ihn nach dem Elslein von Caub fragte.

»Nicht weniger als vier behaupten, das echte Elslein von Caub zu sein«, sagte Toni Bender, »davon heißt eine Mathilde, die scheidet mal sofort aus. Die zweite hat die Gicht, die dritte wiegt 280 Pfund, und die vierte ist vor einigen Tagen Großmutter geworden. So viel Phantasie kann ich nicht aufbringen, in diesen Matronen, so rüstig sie auch sein mögen – selbst wenn sie die Tradition auf ihrer Seite haben –, das im Cauber Nationallied gepriesene Elslein von Caub, die ›Schönst‹ im ganzen Reich' zu sehen. Ein Elslein von Caub, an das ich glauben soll, muß einen roten Mund zum Küssen haben und mit den blitzenden Augen der siegenden Jugend in die Welt lachen. Dann braucht sie von mir aus nicht einmal Else zu heißen!«

»Das ist ja Quatsch,« warf ich ein, »ein Elslein von Caub kann nicht Marie oder Stina heißen. Das ist meines Erachtens die Hauptbedingung.« –

Es war mir aufgefallen, daß Toni überall von den bezüglichen Wirtstöchtern mit einer außergewöhnlichen, direkt verblüffenden Liebenswürdigkeit behandelt wurde. Sämtliche Backfische Caubs schienen für ihn zu schwärmen. Ich, der ich doch viel schöner war, wurde fast gar nicht beachtet, so große Mühe ich mir auch gab. Ich wechselte geradezu beängstigend häufig meine Krawatte, sorgte peinlich dafür, daß die Strümpfe in der Farbe zur Krawatte stimmten, band die Schnürbänder an den Halbschuhen zu höchst graziösen Schleifen.

Ich versuchte als angenehmer Gesellschafter zu glänzen, indem ich Kartenkunststücke machte, launige Schnurren erzählte, eine gedachte Zahl zu erraten versuchte, auf einem mit Seidenpapier überzogenen Kamm trompetete, mir die Haare ins Gesicht strich und schwermütige Lieder sang. Ich bot mich an, Garn zu halten oder Ableger von Geranien zu besorgen. Alles umsonst. Es gelang mir nicht, diesen Toni Bender auszustechen.

Ich beschloß, ihn mit einer gewissen Kälte zu behandeln.

Eines Tages erfuhr ich vom wackeren Turmwirt die Ursache von Tonis Erfolgen.

Er hatte es verstanden, sich ein unerhörtes Ansehen zu geben und so nebenbei verlauten lassen, er werde dafür sorgen, daß Caub wieder eine Attraktion in einem einwandfreien Elslein von Caub erhalte.

Das hatte sich bei den ehrgeizigen Backfischen herumgesprochen.

Jetzt ging mir ein Licht auf.

Er hatte eine Schwäche für eine gemütliche, altertümliche Schenke, in der ein braunlockiges Mädel den Wein kredenzte.

Eine ausgeschlissene Steintreppe führte in die braungetäfelte Gaststube.

Wenn Toni Bender sagte, er habe eine wichtige Besorgung zu machen, fand ich ihn stets hier bei der braunen Else. Auch umgekehrt überraschte er mich, wenn ich eine dringende, höchst wichtige Kommission vorgeschützt hatte, sehr häufig hier.

Diese höchst seltene Übereinstimmung des Geschmackes brachte uns wieder näher, und eines Tages, als Toni gerade besonders guter Laune war – er hatte mich erfolgreich angepumpt –, erzählte er mir seinen Plan, das entzückende Wirtstöchterlein hier offiziell zum Elslein von Caub zu stempeln.

Bei einer monumentalen Bowle haben wir in Gegenwart von alteingesessenen Bürgern die Belehnung vor sich gehen lassen. Es fing höchst feierlich im Gehrock und mit wohlgebauten Reden an und endete in höchst unfeierlicher Trunkenheit.

Jetzt hat sich plötzlich das Interesse der hiesigen Backfische auch mir zugewandt. Und ich finde das nicht mehr als recht, denn ich bin wirklich schöner als Toni Bender.


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