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Melander von Holzappel

Von Otto Anthes

Wenn man von Laurenburg der Straße folgt, die hier das Lahntal verläßt und über die Berge nach Diez führt, kommt man nach kurzer Zeit zu dem Dorf Holzappel, das mit Peter Melander, dem berühmten General des Dreißigjährigen Krieges, in die Weltgeschichte eingegangen ist. Besagter Melander, von Haufe aus auf gut Deutsch Äppelmann geheißen, armer Bauern Kind, war durch die Kriegsläufte mächtig emporgekommen und hatte Witz genug, seine in niederländischen, venezianischen und hessen-kasselschen Diensten erworbenen Reichtümer auf den Kauf der Reichsgrafschaft Holzappel zu verwenden, mit der ihn dann auch bald darauf der Kaiser, als er dessen General wurde, förmlich und feierlich belehnte. Als er im frühen Frühjahr des Jahres 1648, von der Belagerung von Marburg kommend, nach der Donau unterwegs war, wo er die Schweden zu schlagen gedachte, machte er seiner Grafschaft einen Besuch und kam auch nach Holzappel, das der Hauptort des Ländchens war und ihn mit allen Ehren empfing. Man gab ihm auf dem Schloß ein Festmahl, zu dem man allerdings nicht sehr viele Personen von Stand aus der Grafschaft hatte auftreiben können; aber man hatte doch eine kleine Gesellschaft von Leuten zusammengebracht, denen man zutrauen konnte, daß sie mit einem Grafen, der früher ein Äppelmann gewesen war, anständig zu Tische sitzen würden.

Beim vierten oder fünften Gang stand der Schultheiß auf und hielt eine Rede, die der Pfarrer ihm aufgesetzt hatte. Der Krieg, sagte er, sei das gerechte Schwert Gottes, damit die Bahn gehauen würde, auf der die wahrhaft Großen und Gewaltigen zu ihrem vorbestimmten Ziele kämen. So sei der anwesende Herr Reichsgraf, Erlaucht, durch mächtige Kriegstaten dahin gelangt, daß jetzo sein Name wie eine große Glocke durch die Lande schalle. Und wenn auch die Grafschaft in der Schale der Früchte, die ihm gereift wären, nur ein elender Holzappel sei, so werde dieser doch von dem Ruhme seines jetzigen Herrn derart beglänzt, daß er erscheine wie einer von den goldenen Äpfeln in den Gärten der Hesperiden. Darum solle der Krieg, der den Herrn und seine untertänige Grafschaft gleicherweise beglückt habe, gepriesen sein als ein scharfes, aber wohltätiges Werkzeug Gottes. So redete der Schultheiß und kam dann, indem er Gott mitsamt der Grafschaft wieder sachte in den Hintergrund treten ließ, zu einem dreimaligen »Vivat« für Seine Erlaucht den Herrn Grafen.

Nun saß an der Tafel auch der Jakob Birnbaum aus Laurenburg, dem im Jahre vorher bei einem Durchzug der Kurkölnischen die kranke Frau im Bett erstochen, das Haus niedergebrannt und der einzige Sohn verschleppt worden war und der, während er vorher ein wohlhabender Mann gewesen war, nur als armseliger Flickschneider von Haus zu Haus sein kärglich Brot erwarb. Man hatte ihn aber trotzdem zugezogen, weil an gescheiten Leuten die Auswahl nicht groß war und an solchen, die auch mit einem hohen Herrn einmal ein Wörtlein reden könnten. Der hatte sich, des guten Weins seit langem ungewohnt, schon vorher in eine stille Wut hineingetrunken, daß es ihm nun so übel ging; als er aber nun auch noch das Lob des Krieges hörte, der ihm alles genommen hatte, da stach ihn der Hafer, daß er an sein Glas schlug und einen Spruch tat, der die ganze versammelte Grafschaft zum Erzittern brachte.

Er sagte: Die Jahre sind verschieden. Einmal gedeihen die Äppel, das andere Mal die Birnen. Das Weltenjahr, das nun mit Krieg und Getös der Waffen schon so lange dauert, hat es mit den Äppeln gut gemeint; wie man an dem Herrn Grafen sieht, der ja auch aus der Familie ist, und an dem unbeschreiblichen Glück der Grafschaft Holzappel, von dem der Schultheiß so schön gesprochen hat. Ich will an der Gerechtigkeit Gottes nicht mäkeln, aber nun müssen auch einmal die anderen drankommen, denen es nicht so wohl ergangen ist. Ich wenigstens stehe da als ein gänzlich gerupfter und entlaubter Birnbaum. Und darum wünsche ich für meine geringe Person, daß nun bald das andere Weltenjahr mit Frieden und neuem Saft für die Birnbäume anfangen möge.

Die rings um den Tisch duckten die Köpfe immer tiefer auf die Teller, während er sprach. Der Graf am oberen Ende saß aufrecht und starr wie eine Bildsäule von Erz, nur daß sein spitzer Kinnbart sich immer mehr nach vorn und nach oben schob. Aber er tat, als ob nichts Besonderes geschehen wäre, erkundigte sich nur unter der Hand, was das für ein Wesen wäre, das da so ungebührlich das Maul aufreiße, und erst als er genauen Bescheid wußte, befahl er den Birnbaum zu sich heran. Er drehte sich halb auf seinem Stuhle um, funkelte den Flickschneider an wie die Wildsau das Karnickel und sagte, nicht laut, doch so, daß jedes Wort den Anwesenden wie ein Messer ins Herz fuhr: Die Geschichte, sagte er, sei nicht dazu da, daß sie sich um jeden kleinen Lauskerl und sein Schicksal kümmere; sondern daß die großen Dinge der Welt gerichtet würden, wie es die Zeit erheische. Darum sei es jeden ehrlichen Mannes Pflicht, so lange den Krieg zu wünschen, bis seiner Großmächtigkeit dem Kaiser all das zugefallen sei, was er nach göttlichem und menschlichem Recht als das Seinige fordere.

Der Birnbaum hatte sich schon schnell ernüchtert, als der Ruf zur oberen Tafel an ihn erging. Nun, da der Graf schwieg, machte er einen hastigen Kratzfuß und drückte sich. Worauf das Mahl seinen Fortgang nahm, und bald dachte keiner mehr vor überströmender Seligkeit an den Birnbaum und seine törichte Rede. Auch reiste der Graf am anderen Tage ab, ohne seiner noch einmal erwähnt zu haben.

s. Bildunterschrift

O. Ubbelohde, Laurenburg.

Als er aber wenige Wochen später bei Zusmarshausen von einer Schwedenkugel tödlich getroffen war, da nahm der Jakob Birnbaum in seiner elenden Kammer sein Käpplein ab und sagte: Es ist dafür gesorgt, daß auch die Äppelbäume nicht in den Himmel wachsen.

Und als wiederum nur ein paar Monate darauf die Kunde vom Frieden zu Münster nach Laurenburg gelangte – es war früh am Morgen im Oktober und die Sonne kam gerade über den roten Wäldern gegen die Schaumburg herauf – da rannte der Jakob Birnbaum wie ein Unsinniger an die Lahn hinaus, warf mit beiden Händen seine langen grauen Haarsträhnen wie Fahnen in die Luft und schrie: Es kommt, es kommt, das Angesicht Gottes! Friede, Friede auf Erden! Und den Birnbäumen ein Wohlgefallen! Dann aber ging er, plötzlich ganz ruhig geworden, zu der Stätte, wo sein Anwesen noch immer in schwarzen Trümmern lag, und fing bedächtig an, den Schutt hinwegzuräumen. Denn er fühlte zum erstenmal wieder Mut, sein Haus und Leben von neuem aufzubauen.


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