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Die Dornburg

Von Georg Roedler

Lautes Lärmen und Poltern hallt von den einst so still und verträumt daliegenden Kuppen und Hügeln des Westerwaldes. Menschenhände sind am Werk, die Steine, die Basalte, die erstarrte Lava, die in Vorzeiten glutflüssig aus den Spalten der Erdrinde gequollen, nutzbar zu machen.

Wild mag es damals zugegangen sein, als die unterirdischen Steinströme den Schieferboden durchbrachen. Wenn auch nicht ganz so stürmisch wie drüben im Brudergebirge der Eifel, wo aus den Kratern kochendes Wasser, heiße Dämpfe und gespannte Gase mit aufstiegen und die Schmelzmasse zerrissen und zerstäubten, daß Tuff- und Bimsstein- und Sandregen weithin über das Land ging, und wo tiefe Trichterlöcher zurückblieben, die Maare. Hier bei uns im Westerwald mag es ruhiger geblieben sein, die aufsteigende Lava blieb in den Kratern stecken und ist wohl nur wenig über den Rand geflossen.

Im Abkühlen hat sich dann die glühende Masse zu riesigen Kristallen zusammengeordnet. Als Basalt zu blauschwarzen, fünf- bis sechsseitigen Prismen, arm- bis fußdick und oft viele Meter lang mit senkrecht zur Längsachse gerichteten Endflächen; bald Säulenreihe auf Säulenreihe stehend, mehrere Stockwerke übereinander und Reihe neben Reihe zu gewaltigem unterirdischem Block; bald schräg oder wagrecht aus den Bergwänden ragend, drohend wie Geschützrohre; bald in breiten, dicken Platten; bald in groben oder feinen Brocken, Knollen, Kugeln und Schalen. Oder etwas anders zusammengesetzt und mehr grau bis hellgrau, mit kürzeren Säulen, aber oft über einen Meter dick und dann Trachyt, Phonolith genannt.

Zu diesen Steinköpfen kamen die Menschen, mit Brecheisen, rissen die Steine auseinander, sprengten sie mit Pulver, nutzten die längsten und schönsten zu Uferbefestigungen bis weit nach Holland für Strom und Meer, spalteten mit geübten Händen Pflastersteine von genau vorgeschriebener Größe und Form. Als Menschenkraft nicht mehr ausreichte, stellten sie gewaltige Steinmühlen auf, Gesteinsbrecher, in deren unersättlichen lärmenden Rachen die Blöcke und Brocken und Abfälle verschwanden, um zwischen stählernen Kinnbacken zermalmt zu werden. In langen Schneckengängen rollte das Mahlgut durch riesige Zylindersiebe, bis es als grober Schrottel, als rauh- oder feinkörniger Splitt wieder zum Vorschein kam, um dann meist auf langer Luftseilbahn in munter surrenden Hängewägelchen dem Bahnhof drunten zuzuschweben, zur Verwendung bei Straßenbau, Betonarbeiten bis zum feinen Zierkies für Gartenwege.

Rheinisches Geld meist war es, das die Brüche und Werke entstehen ließ in immer rascherer Folge. In ständig dichter ausgebautem Schienennetz rollten Tag und Nacht die immer längeren Eisenbahnzüge mit den Steinen hinab in die Randtäler des Westerwaldes. Aufschwung und Wohlstand kam: Geld in die Gemeinden, denen die waldbestandenen Kuppen vorwiegend zugehörten, Geld in die Familien, deren Ernährer nun nicht mehr auszuwandern brauchten wie früher, Brot und Verdienst fern der Heimat zu suchen. Freilich auch änderte sich mit der Abtragung der Basaltberge und der Steinwände manch Landschaftsbild. Doch wird sich in dem friedlichen Kampf zwischen Wirtschaftsleben und Landschaftseigenart wohl ein Ausgleich finden, der beiden Teilen gerecht wird. –

Schon frühzeitig und fast mehr als andere Berge ist die Dornburg in die Basaltausnutzung einbezogen worden. Jener von Westen her das Elbtal, den nördlichen Ausläufer des Limburger Beckens, abriegelnde Steilabfall der mittleren Westerwaldstufe, der fast ein Ganzes bildet mit dem Kleesberg, dem Blasiusberg, und die Wacht hält von jeher da droben mit dem Ausblick hinunter auf das Land bis fernhin über die Lahn und jenseits hinauf nach dem Taunuswall im verdämmernden Süden. Stätten der Verehrung von Thor, von Donar, von Fricke, nach denen die Dornburg den Namen trägt und die beiden Dörfer Dorndorf und Frickhofen am Fuß der Berge.

Als zusammengesunkene Ringwälle hat man die breiten Gürtel von Gesteinsblöcken und -splittern um die Berghöhe erkannt. Das Volk aber hat in den losen Gesteinsscherben, die unter dem Fuße des darüber Hinklimmenden hellaufklirren, die Reste riesiger Mauern einer Stadt gesehen, droben auf der Höhe, reich an Gut und Ehren. Die Sage hat verklärenden Schimmer über die Trümmerstätte gebreitet vom Untergang der unglückseligen Stadt. Verschuldet durch Jung-Hildegard, das Töchterchen des Bürgermeisters, das den Junker auf der Burg Ellar drüben am anderen Elbhang liebte, den die Dornburger um alter Fehde willen in ihrer Stadt gefangen hielten und dessen Waffengesellen das törichte Kind auf geheimem Gang in die Stadt eingelassen. Was in unbedachter Tat nur zur Befreiung des Ritters führen sollte, ward zur Zerstörung und Vernichtung der Stadt und ihrer unglücklichen Bewohner. Noch heute kann der Wanderer, der in nächtlicher Stunde an den Steinhalden vorbeihastet, im Rauschen und Raunen des Windes durch Bäume und Geklüft das Klagen und Stöhnen der von Entsetzen gepackten Hildegard hören, die noch immer in den Trümmern der Stadt umherirrt.

Aber nicht nur aus geheimnisvollen Steinwällen entstand Sage und Mär. Als die Stadt zugrunde ging, sanken auch die zwölf Apostel, die aus Gold oder Silber in der Kirche standen, dahin. Doch kristallener Panzer aus Eis legte sich schützend um ihre Gestalten. Wer am Rande der Schutthalden nachgräbt, kann das unterirdische Eis sehen, in froststarrender Winterzeit wie in heißer Sonnenglut. Die Kellerräume des Wirtshauses an der Dornburg sind eisigkalt; so kühl weht es bei geöffneten Türen heraus, daß der Aufenthalt im Freien davor im Sommer unbehaglich wird. Eis und Schnee, im Winter in die kleinen, in das Geröll getriebenen Stollen, die Eishöhlen, eingebracht, halten sich ohne Verwahrung das ganze Jahr hindurch. Schneekrusten, und ein paar Schritte davon blühende Sommerblumen!

Das Wundersame findet natürliche Erklärung. Eishöhlen, Eiskeller sind nicht allzu selten. Die Bierkeller von Niedermendig in der durchlöcherten feinporigen Lava der Eifel sind bekannt. Basaltgestein wird an der Oberfläche bei Witterungswechsel feucht, der Basalt »schwitzt«, jedes Straßenpflaster zeigt es. Durch die Poren, durch die Kanäle zwischen den Steinscherben streicht der Wind. Wie stark er durch unterirdische Klüfte wehen kann, ist in alten Bergwerksgängen öfters wahrzunehmen, und mancher hat's draußen in stollenartig verzweigten Unterständen empfunden. Die Verdunstungskälte mag so stark werden, daß sie die Luftwärme bis zum Gefrierpunkt des Wassers herabsetzen kann.

Ob Eis und Schnee unter dem Steinschutt sich aus tropfbarflüssigem Wasser und feinem Nebelhauch gebildet oder sich gar noch immer weiterbilden, ob die Steintrümmer über winterliche Eis- und Schneefelder niedergeprasselt waren und sie unter schützenden Geröllmassen vor dem Abschmelzen bewahrt haben, oder ob Eis und Schnee gar noch als letzte Reste einstiger Eiszeit gelten sollen, wie schon aufgestellt wurde, ist vielleicht noch nicht geklärt.

Und noch ein weiteres Wunder, wenn auch harmloses, weist die Dornburg auf. Die Magnetnadel wendet sich in der Nähe der Dornburg von der Nordrichtung ab und kehrt sich dem Innern des Berges zu. Ebenfalls eine Erscheinung, die an Vulkangesteinen nicht allzu selten ist. Spuren von Eisen oder Magneteisen in der einstigen Ausbruchmasse mögen den merkwürdigen Vorgang unschwer erklären.


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