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Im Festgeleit ihrer waldumrauschten Berge kommt sie einhergezogen, »die liebliche Lahn«. So haben sie die Dichter erkannt und besungen, seitdem Goethes elegischer Wertherschmerz an ihren Ufern geweint, Brentanos romantische Liebe auf ihren Inselchen erblüht war. Eine ganz besonders getönte Heimseligkeit ruht auf diesem »stillen Fluß der Ruhe«, und das deutsche Geschick ist auch auf ihr lebendigen Weges gezogen von den keltischen Zügen bis in jüngste Vergangenheit. So ganz Fluß wird sie, das kleine Wiegenkind basaltischer Berggründe am Ederkopf, erst in den Sandsteinbetten bei Marburg.
Weit öffnet das Lahntal hier sein Herz. Bis Gießen hin gleicht es einem Seengrund; nirgends mehr wird es so weiträumig. Kleine Dörfer begleiten den Flußlauf, und an seinen Ufern reiht sich das hessische Bauerngehöft mit seinen schmucken Fachwerkbauten, Hessentrachten sieht der Fluß an seinen Saumpfaden wandeln, Hessenburgen liegen um seine verzweigten Wasserläufe, bis im Gießener Becken der ursprüngliche See den Fluß aufzusaugen scheint in der weiten Niederung der beginnenden Wetterau. Doch scharf biegt er um nach Westen, und in dem wundervollsten rechtsrheinischen Durchbruchtal sucht die Lahn sich Weg und Ziel zum Rhein. Gießen ist der geographische Drehpunkt dieser Richtungsänderung, zugleich die Angel, an der sich die fruchtbare Wetterau an die Lahn klammert. Weit wie flatternde Tücher breitet sich die Landschaft gen Osten hin, und südwärts lacht flaches Land. Romantik aber verheißt der westliche Flußweg. Schon springen Landschwellen und Ufertreppen auf, mählich gestalten sich die Berghänge der Lahn. Enger und winkliger wird ihr Bett, heimseliger schließt sich der Horizont ihrer Ufer. Hier war die Stätte mittelalterlicher Raubritter, hier brach Adolf von Nassau die trotzigste Ritterburg. Und hierhin flüchtete sich wie in ein wohlbehütetes Nest der Gelehrsamkeit und weltscheuen Lebensfremde jene pedantische Juristenkunst der bunten Maximilianszeit: »unmittelbar« ihm gehörig, schützte die Stadt Wetzlar des Deutschen Reiches langsam mahlende Rechtsmühle. Da steht wie ein gegürteter Schwertritter der Turm des Domes in der Landschaft, um ihn schweben die Gedanken an des größten Dichters Liebe und Leid. Durch die gewinkelten Gassen aber hallt noch heute der Wertherschritt in gepflegter Erinnerung, und in dem Häuschen einer wehmütig-edlen Liebe spürst du den Hauch unsterblicher Erlebnisse.
Doch weiter drängt der Fluß sich durch die Schiefer der Rheinischen Scholle. Auf breit hingelagertem Basaltkegel trotzt in eigentümlich zerrissener, turmgezackter Silhouette Schloß Braunfels. Die Lahn schlingt einen anmutigen Bogen durch das gehügelte Land. Flußabwärts treten steil und trotzig von beiden Seiten die Felsufer heran, und ein reizvoller Wechsel zwischen Vorwärtsstürmen durch Schieferschichten und Seitwärtsfließen von mancher harten Quarzitbank läßt tausend Windungen, enge Durchlässe, Uferterrassen entstehen und fügt in Kulissen ständig neue und eigen gegliederte Bilder aneinander. Perlenschnüre einzelner Ausschnitte und Einblicke in märchenschöne Seitentäler sind hier aufgereiht, und vor dem stolzesten Bergsattel stehst du still wie vor dem Höhepunkt eines Dramas uralter Bergkräfte: Weilburgs Schloß beherrscht Landschaft und Geschichte dieser Gegend. Es liegt etwas wie Wehmut über dem weitgespannten, den Rücken des ganzen Berges einnehmenden Bau: ein altes Geschlecht saß hier, und keines der ewig vergessenen. Schöner liegt nicht das Heidelberger Schloß; idyllischer ist nicht sein Schloßhof. Wenn das glührote Herbstlaub um die Arkaden hängt, mußt du in Weilburg stehen – eine Symphonie aus Schönheit und Kraft, aus Tod und Leben schwingt in den Farben und Stimmungen, die das altnassauische Residenzschloß jedem Heimatfreund auslöst. Über der Stadt aber liegt ein Hauch humaner Gelehrsamkeit. In der Nähe aber ragen die Trümmer von Löhnbergs Burg – ein wuchtiger Akzent in der lieblichen Romantik dieser Landschaft. Gewaltiger freilich nicht als Runkels massige Burg! Nirgends wächst ein Ritternest straffer aus dem Fels seines Untergrundes, nirgends erdrückt ein Felsen so herrisch das Städtchen zu seinen Füßen. Finsteres Herrentum versinnbildlicht sich hier am Lahnufer.
An diese Stätte einer romantischen Unvergänglichkeit hat die Kunst gern ihre Jünger gesandt, die Schönheit des Lahntals zu künden in einem ihrer charakteristischsten Zeugnisse. Hier haben Fritz von Wille und Friedrich Scheidemantel ihre Staffelei in die Uferwiesen gestellt und das Riesenwerk der Burg über der alten Lahnbrücke geschaut und gestaltet. Und wie diese Burg, so steht Dietkirchens Kirche im Lahntal. Fast wehrhaft, mit zwei verschieden hohen Türmen, die ein Wehrgang verbindet, ragt diese Stätte des lahnischen Christentums auf steilem Fels auf. Herrisch war der Gottesglaube, trotzig wie der Fels, der seinen Tritt ins Lahntal setzt. Und nun: die Berge treten zurück, ein weiter Grund öffnet sich zu einem Kessel, flach wird hier die Erde und reich wie eine Fruchtschale, köstlicher Gaben und täglichen Brotes voll – das Limburger Becken reißt die Lahntalufer auf und faltet seine engräumige Schönheit auseinander in nützliche Flächen, dem Bauer ein Paradies, dem Städter ein Segen. Denn hier entwickelte sich die größte Landstadt des Mittellaufes. Gewerbefleiß und Kaufmannsgeist sind hier zu Hause und gepaart mit einem frischen, hellen Menschentum voll Selbstbewußtsein und rascher Tatenlust. Der Dom aber steht als Mittelpunkt der Stadt und des Bistums, ein Meisterwerk des Übergangsstils und selbst ein eigener Stilbau; denn wo gibt es eine solche vollendete Harmonie zwischen Fels und Bau, zwischen Natur und Kunst, wie bei diesen Organen der göttlichen und irdischen Schöpferkraft? Als Kunststätte aber ist Limburg bedeutend. Sein Ruhm ist hinausgetragen worden in die Welt durch Leo Sternberg. Hier dichtete Dippel: »Es liegt eine Krone im tiefen Rhein.«
Und nun läuft die Lahn, gleichsam als wollte sie noch einmal ihre ganze Schönheit auf ihrer letzten Strecke spiegeln, gestärkt durch die Ruhe im Limburger Becken und gegliedert durch einen nun immer stärker, bunter, belebter werdenden Wechsel der Ufer, ihren schönsten Lauf, ein prachtgekränzter Sieger. Dauernd zwischen bunten Mischwäldern, stetig in überraschenden Wendungen verschwendet hier das Lahntal seine Reize in unübersehbarer Fülle. Da ragt die Oranierfeste in Diez über giebelschöne, feinsinnig gepflegte Balkenhäuser. Gewaltig liegt das Schloß auf seinem steilen Herrschersitz im Herzpunkt einer Stadt, die ihre geschichtlichen Erinnerungen wachhält durch Geschlechter einer in seltener Geschlossenheit gefestigten Gemeinschaft. Vorbildlich ist der Schutz der Denkmäler aus alter Zeit, mag es ein Schloßbrunnen sein oder ein Grabmal der Diezer Dynasten, und hier sprechen noch der Name des Gäßleins, das Schild an der Hauswand ihre Sprache. Die Aarstraße ist mit ihrem Ufergerümpel, den Brücken über »die Bach«, den Fachwerkhäusern zur Seite eine Triumphgasse verblichener Gemütlichkeiten. Aber das Diezer Menschentum ist rasch und eifrig, und Mensch und Stadtbild stehen hier oft in wunderlichem Gegensatz. Flußabwärts liegt Fachingen. Wie ein sonderbares Launenspiel der Natur perlt die berühmte Quelle durch das stille Wasser der Lahn, die unterhalb des Brunnens in quirlend raschem Lauf an den uralten Eisensteingruben des Ortes vorübereilt. Nun liegt ein schweres Menschenschicksal in steingewordener Tragik am Flußufer; denn vom benachbarten Berg grüßt die mächtige Schaumburg. Hier baute der einsame Erzherzog Stefan seine Revolutionserlebnisse in die noch immer unvollendete Pracht des stolzesten Schlosses an der unteren Lahn. Da sperrt sich der in Trümmern noch ansehnliche Balduinstein ins enge Bergtal und offenbart noch heute den Sinn seines streithaften Daseins. Einsam ragt wie ein verwunschenes Märchen der Bergfried der Laurenburg; über dem Wald aber steht feierlich die letzte Wand des Klosters Brunnenburg und fängt in ihrem Rundfenster das Himmelsblau. Hier liegt die Heimat der Lahnwälder. Herrlich, im Herbste durchs Land zu schweifen: in reizvoller Nähe mit bergkletternden Wiesen und Weiden, umschmeichelt vom sanften Wasser eines lieblichen Stromes ruhen da die Bergwälder mit feinmodellierten Linien, und Wolken schweben lustig über ihre Häupter, und wir ziehen mit ihnen flußabwärts. Wechselreiche Kulissen werden in jeder neuen Flußkrümmung, an jeder Waldecke, bei jedem Bergvorsprung vor uns hingestellt. So hat sie der unvergeßliche Ubbelohde geschaut und ihre Schönheit in seinen Lahnbildern nachgezeichnet. Wo aber Gel- und Dörsbach in die Lahn fallen, versammelt sich zu Obernhof wohl ein ganzes Stück mittelalterlicher Kulturgeschichte: Kloster Arnstein und die mächtige Talburg Langenau in nachbarlicher und friedsamer Freundschaft gesellt.
Einer der schönsten Lahntalblicke bietet sich hier in dem sogenannten Dreitunnelblick, der zunächst die Ausschau freigibt auf Kloster Arnstein und Langenau, dann auf das Schloß Langenau und schließlich nach der dunklen Endstrecke eines kleineren Tunnels auf das Dorf Obernhof. Wie ans Land gespült liegen die Häuser einer richtigen Ufersiedelung im Berggelände. Kaum findet sich Platz für die Hofanlage; denn schroff schneidet im Rücken der steile Berghang den Hintergrund der langgestreckten Häuserreihe, die sich am Ufer hinzieht, ab. So haben denn die Bewohner ihre Hausgärtchen nach dem Fluß angelegt; und zwischen engen »Ullesgäßchen« steigen niedliche Gärtchen mit alten Zäunen ans Wasser hinunter, unterbrochen von den alten Wasserstegen zur Lahn, die wohl auch mitunter den Weinschrötern dienten. Denn Obernhof ist heute noch der Mittelpunkt des lahnischen Weinbaus.
Nassau folgt und öffnet das Tor zu einer neueren Zeit: des Freiherrn vom Stein Gedächtnis webt hier in den Trümmern seiner Stammburg und in dem freundlichen Schloß im Städtchen. Auf dem Burgberg aber liegt die Stammburg der Nassauer Grafen. Nassau selbst öffnet sein Herz in mittelalterlicher Geruhsamkeit. Schon Konrad I. hat hier geweilt auf königlicher Hube. Holzgeschnitzte Fassaden, enge Gassen, malerische Durchblicke, hier und da ein Mauerrest, hin und wieder ein trotzig-düsterer Turm lassen uns eine Zeit schauen, von der man sagt, daß sie gut gewesen sei, weil sie alt ward. Die natürliche Schönheit in und um Nassau wird bedeutsam ergänzt durch die Heilwirkung des Klimas und das Kurhaus, dessen sanitäre und medizinische Einrichtung den höchsten Anforderungen entspricht die ein moderner Mensch an eine Heil- und Erholungsstätte stellt. Um die Stadt liegt die Landschaft wieder offener. Frei schweift der Blick hinüber nach der sattelförmigen Berglehne von Bergnassau. Eine nassauische Rezeptur hat sich hier in trutzig-gemütlicher Behäbigkeit in den Sattel des waldigen Grates gesetzt. Wundervoll öffnet sich der Eingang zum Mühlbachtal, eine geradezu herausfordernd geeignete Naturbühne. Und über ihr das Steindenkmal des größten Sohnes dieser Erde, die geschichtssatt ist seit den Tagen der Nassauer bis in das dunkle Schicksal unserer Zeit. Lahnabwärts ist die Romantik daheim, wo Dausenaus Dorfbild auftaucht und das »Wirtshaus an der Lahn« den Wanderer einladet. Wie eine gewaltige Komposition des Schöpfers baut sich das wehrhaft gepanzerte Dorf am Lahnufer auf, gesammelt um die romanische Kirche mit ihrem warm gegliederten, heimselig beschirmenden Turm, überwölbt von dem mächtigen Berg des Hintergrundes. In schwingenden Linien umgürtet von Mauerresten und gebuckelten Giebeln, von heimatlich-alten Häusern und umlagert von einem geradezu idealromantischen Gelände. Wie aus der Fernansicht, so bietet Dausenau unendlich viele Innenansichten voll malerischer Schönheit: den Blick durchs Tor, den Aufstieg zur Kirche, den Straßenblick der gedoppelten Straße den Bach hinauf – es sind keine Maleraugen dazu nötig, diese Schönheit zu entdecken. Sie ist einfach da! Und es braucht nur eines winterlichen Sonntagsnachmittags, einen Blick in die landschaftliche Schatzkammer dieser Stätte zu tun! Seine Romantik wird nur überstrahlt durch das benachbarte Bad Ems. Berühmt als »Perle der deutschen Bäder«, vermittelt diese Stadt gewissermaßen in einer Schale den ganzen Reichtum der Lahnlandschaft. In dem gesunden und naturschönen, waldumrauschten Tal verbindet sich die Frische der ozonreichen Luft mit der Sonnenwärme des ungewöhnlich milden Klimas in diesem »deutschen Nizza«. Und die wechselvolle, stets liebliche Schau der reizenden Naturbilder innerhalb einer bildhaft geformten Landschaft gibt jene nervenstärkende Ruhe und Freude ins Gemüt, die den feinsinnigen Menschen vor vollendeter Naturschönheit überkommt. Man versteht hier die deutsche Landschaft in ihrer bergumkränzten Freundlichkeit – gleich weit entfernt von pittoresker Romantik wie langweiliger Weitschweifigkeit. In wundervoll gemäßigten, edlen Horizontlinien umranden die waldumschmeichelten Höhen das Bad im Flußtal, dessen große geschichtliche Vergangenheit seine anmutige Gegenwart so gar nicht antiquarisch werden läßt: wie traumversonnene Erinnerungen umschlingen die reichen Kränze der abgelaufenen Zeiten den bunten Spiegel des heutigen Lebens. Und mit den »abgelebten Tagen« Goethescher Stimmung und dem großen Zeitalter Wilhelms I. verbindet sich in der alltäglichen Gegenwart eine zwar kleinere, aber doch reizvolle Lebendigkeit voll kräftiger Eindrucksfülle und anmutiger Abwechslung der fließenden Tage.
An der großartigen letzten Flußschleife der Lahn, zwischen Nievern und Lahnstein, grüßt über dem uralten Bergbaunest Friedrichssegen von der Früchter Höhe herab ein stilles, stolzes Gehölz, und ein Kapellchen darin ist zu erkennen. Ein Nationalheiligtum des Nassauer Landes: dort oben schläft in schlichtem Mausoleum der Freiherr vom Stein seinen letzten Schlaf.
In Niederlahnstein zieht der rheinische Verkehr das Lahntal in sein Netz. Da ragt die sagenberühmte Lahneck, wo die letzten Templer ihr Leben ließen. Da taucht die Erinnerung an die christliche Mission der Lahn auf, an der Johanniskirche, wo die Lahn dem Rhein ihr in Schönheit erfülltes Dasein zum Opfer bringt.