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Zweimal hat der Dichter Friedrich Hölderlin zu längerem Verbleib in Homburg geweilt, das erstemal 1798-1800. Sein Studienfreund, der damals Legationsrat des Landgrafen Friedrich V. von Hessen-Homburg war, hatte dem hochstrebenden Jüngling eine Hauslehrerstelle bei dem reichen Bankier Gontard in Frankfurt a. M. vermittelt. Aufs liebenswürdigste wurde er von der Hausfrau Susette, eine geborene Hamburgerin, aufgenommen, und an seinen Zöglingen, einem Mädchen und zwei Knaben, hatte er seine helle Freude. So konnte er damals schreiben:
... nimmer vergess' ich dich,
So fern ich wandre, schöner Main! und
Deine Gestade, die vielbeglückten.
Gastfreundlich nahmst du, Stolzer! bei dir mich auf
Und heitertest das Auge dem Fremdlinge.
Und stillhingleitende Gesänge
Lehrtest du mich und geräuschlos Leben.
Mit Verehrung und Bewunderung schaut er zur Herrin des Hauses auf; sie erscheint ihm die lebendige Verkörperung seines griechischen Ideals. Aber bald wandelt sich diese Verehrung in Liebe, in glühende Leidenschaft, und sie bleibt seitens der Angebeteten, die liebeleer neben dem ungeliebten Gatten durchs Leben geht, nicht unerwidert. Leicht ertrug er dabei die beinah täglichen Kränkungen, die er von dessen Seite erdulden mußte. Dieser zeigt stets »unhöflichen Stolz, geflissentliche tägliche Herabwürdigung aller Wissenschaft und aller Bildung, er äußert, »daß die Hofmeister auch Bedienten wären, daß sie nichts Besonderes für sich fordern könnten, weil er sie für das bezahle«. Die Beziehungen zwischen den Liebenden müssen Gontard wohl zu Ohren gekommen sein, und eines Tages, als er beide wieder im Gespräch beieinander trifft, beschimpft er den Dichter nicht nur aufs gröbste, sondern vergreift sich auch an ihm. Bei Nacht und Nebel verläßt dieser das Haus und eilt nach Homburg, wo Sinclair Rat und Hilfe weiß. Er verschafft ihm eine freundliche Wohnung im Reinemerschen Hause in der Nähe der jetzigen Haingasse. »Für mich hab' ich,« schreibt er an seine Schwester, »was meine Wirtschaft betrifft, genug. Ein paar hübsche, kleine Zimmer, wovon ich mir das eine, wo ich wohne, mit den Karten der vier Weltteile dekoriert habe, einen eigenen (eichenen) großen Tisch im Speisesaal, der auch zugleich Schlafzimmer ist, und eine Kommode daselbst, und hier im Kabinett den Schreibtisch, wo die Kasse verwahrt ist, und wieder einen Tisch, wo die Bücher und Papiere liegen, und noch ein kleines Tischchen am Fenster, an den Bäumen, wo ich eigentlich zu Hause bin und mein Wesen treibe, und Stühle hab' ich auch für ein paar Freunde ... Wohlfeile Kost, die doch gesund ist, einen Garten am Hause, wo der Hausherr mir die Laube vergönnt, schöne Spaziergange in der Nähe.« In einem Briefe an die Mutter ergänzt er diese Angaben dahin, daß er für Zimmer, Bedienung und Wäsche jährlich 70 Gulden (etwa 125 Mark) zahle. »Für das Mittagessen, welches wirklich im Verhältnis mit seinem Preise außerordentlich gut zubereitet ist, zahle ich 16 Kreuzer (etwa 80 Pfennig). Abends bin ich lange gewohnt, nur Tee zu trinken und etwas Obst zu mir zu nehmen.« Sinclair machte ihn auch mit der Fürstenfamilie bekannt: »Die Familie des Landgrafen besteht aus echtedeln Menschen, die sich durch ihre Gesinnungen und ihre Lebensart von anderen ihrer Klasse ganz auffallend auszeichnen.« Daneben hatte er anregenden Verkehr mit jungen Männern »voll Geist und reinen Triebs«. »Sonst machen«, so berichtet er an die Schwester, »die seltenen Schönheiten der hiesigen Gegend mein einzig Vergnügen. Das Städtchen liegt am Gebirg, und Wälder und geschmackvolle Anlagen liegen rings herum; ich wohne gegen das Feld hinaus, habe Gärten vor dem Fenster und einen Hügel mit Eichbäumen, und kaum ein paar Schritte in ein schönes Wiesental. Da geh' ich dann hinaus, wenn ich von meiner Arbeit müde bin, steige auf den Hügel und sehe über Frankfurt in die weiten Fernen hinaus, und diese unschuldigen Augenblicke geben mir dann wieder Mut und Kraft zu leben und zu schaffen. Es ist so gut, als ob man in der Kirche gewesen wäre, wenn man so mit reinem Herzen und offenem Auge Licht und Luft und die schöne Erde gefühlt hat.« Aber all das konnte ihm die Ruhe der Seele nicht wiedergeben, die von der Sehnsucht nach der geliebten Diotima – unter diesem Namen besang er Susette – verzehrt wurde. Immer wieder wanderte er hinauf zu den nahen Höhen des Hardtwaldes und blickte von dort, unter den hohen Eichen am Waldrand sitzend, gen Süden, wo die feine Silhouette des Frankfurter Domes ihm zeigte, wo der Gegenstand seines Sehnens und Dichtens sich gleichfalls abhärmte im Verlangen nach dem geliebten Jüngling. In Briefen voll glühender Ergüsse tauschten sie ihre Gefühle und Empfindungen aus, und am ersten Donnerstag jeden Monats eilte Hölderlin zu Fuß nach Frankfurt, wo er heimlich Gelegenheit hatte, die Geliebte zu sprechen. Der letzte Brief Susettens stammt aus dem Anfang das Mai 1800. Sie schreibt: »Wirst Du nun kommen? – Die ganze Gegend ist stumm und leer ohne Dich! und ich bin so voll Angst. Wie werde ich die starken Dir entgegenwallenden Gefühle wieder in den Busen verschließen und bewahren? – wenn Du nicht könntest!« – Ende des Monats sahen sie sich dann zum letztenmal.
Der Homburger Aufenthalt trug wohl herrliche Früchte seines dichterischen Schaffens: mit wahrem Eifer förderte er seine Tragödie Empedokles, eine stattliche Reihe herrlicher Gedichte – darunter »Die Eichbäume« – entstanden, in denen er »die grelle Dissonanz seines Lebens in wunderbare Akkorde auflöste, und in denen die bitteren Qualen, die seine Brust zerrissen, zu süßem Wohllaut wurden«. Die Krone aber seiner Tätigkeit war der Roman Hyperion, auf eigenstem Erleben beruhend, denn er schilderte in dem Verhältnis Hyperions zu Diotima seine eigene Liebe zu Susette Gontard. Aber er erlebte auch schwere literarische Enttäuschungen, vor allem, daß der ihm sonst wohlgewogene Schiller eine Mitarbeit an einem von Hölderlin geplanten Journal ablehnte. Nun mußte er einsehen, daß eine bloß schriftstellerische Tätigkeit nicht imstande war, ihm ein auskömmliches Leben zu sichern. So verläßt er denn Homburg. Dreißig Jahre alt, wendet er wieder seine Schritte der Heimat zu. Mutter und Schwester fahren erschreckt zusammen, als sie ihn wiedersehen, nicht mehr den frischen, lebensmutigen Jüngling, als der er einst hoffnungsfreudig auszog, sondern nur einen Schatten von ihm, krank, abgehärmt, körperlich und seelisch zusammengebrochen. Unter ihrer Pflege erholt er sich langsam, die Bronnen seiner Poesie beginnen wieder zu fließen, und er strebt nach einer dauernden Festigkeit. Ein Vierteljahr ist er Hauslehrer in der Schweiz, dann nimmt er eine Hofmeisterstelle bei dem hamburgischen Konsul Mayer in Bordeaux an. »Ins abhängige Leben muß ich hinein, es sei, auf welche Art es wolle, und Kinder erziehen ist jetzt ein besonders glückliches Geschäft, weil es so unschuldig ist.« Über seine neue Tätigkeit am Ufer der Garonne wissen wir nichts; es ist nur ein Brief aus Bordeaux an die Mutter erhalten, und in diesem steht nichts davon.
So kommt der Sommer 1802. In Stuttgart hielt sich damals der Dichter Matthisson auf. Da pochte es eines Tages an seine Tür, und eine hohe Gestalt trat ein, »leichenblaß, abgemagert, von hohlem, wildem Auge, langem Haar und gekleidet wie ein Bettler«. Mit »dumpfer, geisterhafter Stimme« stellte er sich vor: »Hölderlin!«, um dann wieder wie ein Schemen zu verschwinden. In Nürtingen taucht er wieder bei der Mutter auf. Mit Entsetzen sehen alle, daß der Wahnsinn ihn ergriffen hat. Am 10. Mai hatte er Bordeaux verlassen, welche Gründe ihn dazu veranlaßten, wissen wir nicht. Jedenfalls war jetzt seine Gemütsstimmung eine verzweifelte, denn wiederum sieht er das Scheitern seiner Hoffnung auf eine gesicherte Existenz, wiederum steht er vor einem Nichts. Und kurz darauf eine neue und furchtbare Erschütterung: Diotima ist am 22. Juni 1802, während er ruhelos durch Frankreich der Heimat zuwanderte, verschieden!
Wiederum ist es der treue Sinclair, der helfend eingreift; er schreibt der bekümmerten Mutter: »Ich glaube, daß nichts für ihn Besseres sein könnte, als bei jemand zu sein, der ihn und sein Schicksal ganz kennt, und vor dem er nichts Verborgenes hat. Gäbe es einen andern solchen Freund, als mich, so wollte ich es nicht sein, der ihn aufnähme, weil es eine große Verantwortlichkeit ist, die Gefahr eines solchen Kleinods als es Ihr Sohn ist, auf sich genommen zu haben.« Im Sommer 1804 holte ihn Sinclair selbst ab nach Homburg. Der Landgraf verleiht ihm die Anstellung des Bibliothekars mit bescheidenem Gehalt. Da dieses zum Leben nicht ausreicht, fügt Sinclair mit Einwilligung des Fürsten 200 Gulden seiner eigenen Besoldung hinzu. Der Landgraf machte ihm eine Freude durch Übersendung der Wakefieldschen Ausgabe des Vergil, Prinzessin Auguste hatte ihm schon früher ein Klavier geschenkt, das nun in seiner neuen Wohnung bei dem französischen Uhrmacher Calame in der Dorotheenstraße aufgestellt wurde. Aber da dieser ihn wegen seiner Wutanfälle nicht mehr behalten wollte, siedelte er zu dem Sattlermeister Lattner, einem Württemberger, über, der in dem Hammelmannschen, später Schickschen Anwesen wohnte.
Der Aufenthalt in Homburg übte nicht den gewünschten günstigen Einfluß aus. Vielleicht wäre der Besuch einer anderen, ihm fremden Gegend für den Kranken heilsamer gewesen. Aber hier in der kleinen Residenz erinnerte ihn jeder Schritt, den er tat, jede Örtlichkeit an die Tage, wo er zum ersten Male hier geweilt, gleich verzweifelt wie jetzt, und riß die alten Wunden aufs neue auf. Immer häufiger erfolgten die Wutanfälle, auf der Straße brachte er den Pöbel gegen sich auf, das Klavier, das ihm einst seines Fürsten Tochter verehrt, zerschlug er, so daß Sinclair am 3. August 1806 folgenden Brief an des Dichters Mutter zu richten gezwungen war:
»Hochzuverehrende Frau Kammer-Rätin! Die Veränderungen, die sich leider! mit den Verhältnissen des Herrn Landgrafen zugetragen haben, die Ihnen auch schon bekannt sein werden, nötigen den Herrn Landgrafen zu Einschränkungen, und werden auch meine hiesige Anwesenheit wenigstens zum Teil aufheben. Es ist daher nicht mehr möglich, daß mein unglücklicher Freund, dessen Wahnsinn eine sehr hohe Stufe erreicht hat, länger eine Besoldung beziehe und hier in Homburg bleibe, und ich bin beauftragt, Sie zu ersuchen, ihn dahier abholen zu lassen. Seine Irrungen haben den Pöbel dahier so sehr gegen ihn aufgebracht, daß bei meiner Abwesenheit die ärgsten Mißhandlungen seiner Person zu befürchten stünden, und daß seine längere Freiheit selbst dem Publikum gefährlich werden könnte, und, da keine solchen Anstalten im hiesigen Lande sind, es die öffentliche Vorsorge erfordert, ihn von hier zu entfernen.
Wie sehr es mich schmerzt, können Sie glauben, aber der Notwendigkeit muß ein jedes Gefühl weichen, und in unseren Tagen erfährt man nur zu oft diesen Zwang. Ich werde mir es auch für die Zukunft zur Pflicht machen, für Hölderlin möglichste Sorgfalt zu tragen, die Umstände aber erlauben mir jetzt nicht, mich hierüber bestimmt zu äußern.«
So mußte man denn den Kranken in die Heimat zurückbringen. Sein Hauswirt Hammelmann gab ihm das Geleite. Sinclair gelang es, ihn zur Reise zu bewegen, nachdem man ihm gesagt hatte, er solle als Bibliothekar Büchereinkäufe in Tübingen machen. Und nun wich die Nacht des Wahnsinns nicht mehr von ihm; in kurzen lichten Momenten griff er zur Feder und warf flüchtige Verse aufs Papier, wie:
Das Angenehme dieser Welt hab' ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Junius sind ferne,
Ich bin nichts mehr; ich lebe nicht mehr gerne.
Manchmal taucht die Erinnerung an die Homburger Tage auf; er sieht den weißen Turm, den alten Bergfried des Schlosses, das Wiesental, den eichenbestandenen Hügel und den durch das Wiesengrün hineilenden Bach:
Das grüne Feld ist herrlich ausgebreitet,
Da glänzend schon der Bach hinuntergleitet,
Die Berge stehn bedecket mit den Bäumen,
Und herrlich ist die Luft in offnen Räumen,
Das weite Tal ist in die Welt gedehnet
Und Turm und Hang an Hügeln angelehnet.
36 Jahre lebt oder vielmehr vegetiert er so dahin, bis ihn ein sanfter Tod erlöst und aus der Nacht zum Licht führte. Alle, die er geliebt, waren ihm im Tode vorangegangen, die Mutter, der hochverehrte Schiller, der treue Sinclair, dem er in seiner Ode »An Eduard« ein so schönes Denkmal setzte. Nur die homburgische Prinzessin Auguste, später Erbgroßherzogin von Mecklenburg, überlebte ihn († 1871). Mehrfach hatte er sie in dankbarer Verehrung besungen, und was er in einer dieser Oden so herrlich zum Ausdruck gebracht, das gilt so recht von ihm selber:
Aus stillem Hause senden die Götter oft
Auf kurze Zeit zu Fremden die Lieblinge,
Damit, erinnert, sich am edlen
Bilde der Sterblichen Herz erfreue.
Homburg hat dem edlen Sänger in dem herrlichen Kurpark ein Denkmal gesetzt: eine dreiseitige Pyramide in klassischen Formen aus rotem Sandstein mit einem in weißem Marmor ausgeführten Oval, das des Jünglings edles Angesicht zeigt. Sinnsprüche aus des Dichters Werken schmücken die beiden andern Seiten.