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Die Madonna mit der Scherbe. Eine rheingauische Legende

Von Otto Stückrath

Es hatte der Klaus Sybold aus Hausen auf der Höhe in Hallgarten ein Faß firnen Weines erworben, denn er gedachte mit seiner Sippe die Hochzeit der einzigen Tochter zu begehen. Sie heiratete auf die Arde, bekam einen reichen Bauern aus der güldenen Grafschaft zum Manne und deshalb sollte bei der Hochzeit etwas draufgehen; denn der Mann von der rauhen Höhe dachte dem Freier aus dem Weizenlande zu zeigen, daß man auch auf dem Gebirge zu leben verstehe, und daß seine Annelies imstande sein würde, die Taler so gut unter die Leute zu bringen wie die armen Weißpfennige.

Heiß war es hergegangen bei dem Kaufe, denn der Freund Kunz Baldringer zu Hallgarten geleitete ihn in den Keller, der wie ein unterirdisches Kapellchen eingerichtet war, schöner als die schönste Staatsstube in Hausen, legte einen tüchtigen Kringen Wurst auf ein Faß, Milchwecken dazu und begann dann bald von diesem, bald von jenem einzuschenken. Es waren immer kleinwinzige Pröbchen, Fingerhüte voll, die Klaus zu schlucken bekam, und er merkte im Keller nicht eine Spur von Weindunst im Kopfe. Mit fröhlichem Mute suchte er sich unter den zwölf kleinen Propheten, recht handlichen Fässern, eines aus, das auf den Namen Maleachi hörte, hieß den Freund die Schröter herbeiholen und stand breitbeinig neben seinem Gefährt, als die zünftigen Männer das Faß aus der Tiefe heraufschroteten und auf dem Wagen so wohl versicherten, daß es, wenn Gott wollte, nicht schalkhafter Weise herunterspringen und in Stücke gehen konnte. Darauf bezahlte er seine Schuld, tat noch einen mächtigen Umtrunk mit dem Freunde und den Schrötern, knallte mit der Peitsche und fuhr wohlgemut seines Weges.

Nun macht dieser Weg nach der Höhe wenige hundert Schritte hinter Hallgarten eine scharfe Biegung, die Klaus Sybold, obwohl er bei der Hinfahrt des Weges gekommen war, nicht mehr recht im Sinne hatte. Die beiden Braunen gingen wacker los, und Klaus knallte einmal über das anderemal mit der Peitsche. Plötzlich sah er sich in der Wegbiegung, packte das Handpferd am Kopfe und drängte es ungestüm herum. Die Pferde standen einen Augenblick, der Wagen rollte zurück, wurde hart angezogen und schwenkte in scharfer Kehre zur Seite. Auf dem Wagen gab es einen Laut, als sei eine Saite auf einer Baßgeige gesprungen, das Faß schwankte und schlug mit einem hellen Krach auf den Boden. Wie ein goldener Springquell ergoß sich das köstliche Naß auf die Straße; süßester Weinduft erfüllte die Luft.

Einen Augenblick stand Klaus Sybold wie betäubt. Dann schleuderte er die Peitsche weg, warf die Arme gen Himmel und rief: »Heilige Maria, Mutter Gottes, hilf mir!«

»Schrei nicht, Klaus, pack an!« sagte da eine schlichte Frau, die das Kleid geschürzt hatte, als käme sie eben von der Arbeit im Wingert, griff nach der zersprungenen Faßdaube und preßte die Rande des Bruches fest zusammen. Und so künstlich fügte sich Riß an Sprung, daß der herausquellende Wein zurückgehalten und der Sprudel geendet wurde. Nun aber bückte sie sich flink und schöpfte mit der Scherbe, die sie in der Hand trug, den Wein aus den Lachen der Straße, hieß Klaus den Spunden vom Faß nehmen und goß den geschöpften Rebensaft zurück. Er rann so klar und hell, daß Klaus kein Bedenken trug, ihn zu dem geretteten Weine gelangen zu lassen. Die Pfützen wurden trocken, und selbst die feinen Weinspritzer an Gräsern und Blumen nahm die Scherbe der Frau auf. Spundvoll wurde das Faß; nichts war verloren.

Tiefen Dankes voll wollte Klaus ihr ein Geschenk reichen, aber als er die Geldtasche aus seinem Büchsenranzen genestelt hatte und sich umschaute, war die Frau verschwunden. Beschämt ließ Klaus das Haupt sinken und wandte sich mit schweren Schritten dem Orte zu. Als er barhaupt – der Hut war ihm entfallen – vor seinen Freund trat und ihn bat, ihm die Schröter noch einmal zu rufen, damit sie ihm hülfen, das Faß wieder auf den Wagen schroten, lachte der Baldringer hell auf: »Das Faß vom Wagen gefallen, und die Schröter sollen es wieder hinaufschroten? Sybold, da nimm dir eine Mahn mit und einen Stalleimer; in den Stalleimer tu den Rest Wein, der vielleicht noch im Fasse hängt, in die Mahn aber lege die Dauben und komm mit deinem Gefährt ruhig zurück. Daß der Maleachi solche Geschichten machen würde, hätte ich ihm nicht zugetraut!« Als aber der Sybold auf seinem Wunsche beharrte und eine krause Geschichte erzählte von einer zersprungenen Daube, die wieder ganz geworden war, von klarem Wein aus der Straßenlache, da dachte er, es möge dem Überhöhischen der im Keller genossene Trunk doch so schwer zu Kopf gestiegen sein, daß er in einer seltsamen Art von Betrunkenheit, wie sie bei Leuten, die des Weines ungewohnt sind, als eine besondere Rarität dann und wann gefunden wird, von seinem Gefährt umgekehrt sein und es seinem Schicksal überlassen haben. Deshalb erhob er sich lachend von seinem Stuhle, setzte die Kappe auf, packte den Freund unter dem Arme und ging mit ihm die Straße hinauf. Er stand bei dem Fasse, pochte daran, fand es heil und ganz, schüttelte den Kopf, klopfte abermals an das Faß, ließ sich die ganze Geschichte noch einmal erzählen und sagte dann: »Klaus, da steckt die heilige Jungfrau dahinter, so wahr ich der Kunz Baldringer bin!« Dann wandte er sich mit raschem Schritte dem Orte zu, holte die Schröter herbei, erzählte ihnen, was er wußte und hieß sie dann ihre Schuldigkeit noch einmal tun. Die Schröter packten zu, und als Meister Konrad Tilemann sein »Gut und richtig!« gesprochen hatte, hieß Klaus Sybold die Pferde anziehen und trottete mit seiner Fuhre von dannen.

s. Bildunterschrift

Wilhelm Thielmann, Töpfer aus Breitscheid

Meister Konrad aber, nachdem der Bauer davongefahren, nahm die Mütze vom griesen Kopf, begann seine Ansprache an die Gesellen und Zunftgenossen und sprach also: »Werte Freunde! Herzliebe Zunftgenossen, Gesellen und Brüder! Da ich Konrad Tilemann, einer ehrsamen Schröterzunft zu Hallgarten Obermeister, den Maleachi des Kunz Baldringer zum ersten Male heute fest machte und mein »Gut und richtig« sprach, da war es mir in meinem Herzen, als müsse mit diesem Fasse, mit dem mein Vater selig eine absonderliche Freude gehabt, weil er es, noch ledig des Weines, als ein junger Gesell mutterseelenallein in den Keller von Kunz Baldringers seligem Vater geschrotet und darob einen halben Gulden zum Lohn erhalten, – als müsse mit diesem Fasse etwas Besonderes geschehen. Und so gab ich ihm ein Sprüchlein heimlich mit, also lautend: So, du wohlgefügtes Faß, gebunden nach Binders Macht und Gewohnheit, geschrotet nach Schröters Wert und Brauch, so du ein Leid haben solltest, möge dir Maria helfen, die jungfräuliche Magd. Und geschähe dir etwas, und hülfe sie dir, so will ich, Meister Konrad Tilemann, dir Maria, verloben ein fein Standbild oder Statuettlein, dir gewidmet von einer ehrsamen Schröterzunft zu Hallgarten.«

Als er diese Worte gesprochen hatte, warfen die Gesellen die Mützen in die Höhe und schrien Vivat, und Kunz Baldringer nahm seine Kappe, warf einen harten Taler hinein und ging von Mann zu Mann. Da neigte sich die Kappe zum Umkippen und ward voll harter Taler.

Ein halb Jahr später aber kam ein Mann aus Aulhausen, ein Bossierer in Wachs und Ton, dem hatte Meister Tilemann die Geschichte erzählt, und nun trug er, wohl verhüllt durch ein Tuch, in seinen Armen das verlobte Standbild der Madonne. Sie hatte die wunderlieblichen Züge einer rheinischen Frau und trug in der Hand die Scherbe. Und hätte sie nicht die Krone getragen, so hätte man wohl meinen mögen, sie käme eben aus dem Wingert von schwerer Arbeit, aber fröhlichen Mutes und allezeit bereit zu helfen.


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